Tag 98, Mittwoch, 24.08.2011 (Tag 8 - Chemo-Zyklus 5)

Das war gestern!

Das ist heute!

Heute mein letzter Chemo-Tag im Zyklus. War mächtig gespannt, wie der abläuft, nach diesen gestrigen Horrorstunden. Der Ablauf des Tages war perfekt. Die Fahrerinnen (Minna von Barnheim und Schwester Ulrike) hätten von mir nicht besser gewählt worden sein. Was man feststellen konnte: Mütter sind wohl etwas verwirrter als Nichtmütter. Es wurde nach Herzenslust abgebogen und geradeaus gefahren. Musste mich höllisch konzentrieren. Leider war das am heutigen Tag auch eine schwierige Nummer. Aber wir sind da rausgekommen, wo wir immer rauskommen wollten.

Toll, dass Minna mir per Mail angeboten hat, mich zu fahren. Das hat echt einiges entzerrt. Wie organisieren bloß andere die ganze Fahrerei? Ich hab’s schon mehrmals erwähnt: Ich bin ein Glückspilz!

In der Tagesklinik wurde mir auch der Rote Teppich ausgelegt. Mein Lieblingsplatz (am offenen großen Fenster) war bereits gerichtet. Ich konnte nach einem Vitalcheck einfach direkt zu meiner Behandlungsliege durchlaufen. Nein, stimmt nicht. Musste mir noch vorher noch die Infusionsnadel in den Port rammen lassen. Auch was ganz Besonderes heute. Zwei blonde Mäuse in Ausbildung gingen der Krankenschwester zur Hand. Man sahen die glatt aus. Wie aus einer Puppenstube. Geschminkt bis zum Anschlag. Ausgestattet mit Blümchentattoo am Fußknöchel und bunten Plastiknails. Wenn ich mir vorstelle, dass die wichtige Sachen bei mir machen sollen, dann wird’s mir mulmig. Ich weiß, das ist doof und reaktionär, aber solche Gedanken sind da einfach da. Es ist genauso, wenn ich einen Arzt mit Turnschuhen, Samurai-Zopf und vergammelten 7-Tage-Bart sehe. Ist der auch wirklich kompetent? Wo hatte der heute Morgen seine Hände drin? Das Hirn tickt manchmal schon komisch. Vielleicht ist so einer der beste Arzt von allen. Aber das ist wieder so ein Beispiel für Bilder, die man sich von anderen Menschen macht und die meistens einfach nicht der Realität entsprechen. (Stiller-Thema!) Jeder will vorurteilsfrei sein und doch wabern jeden Tag tausende Vorurteile in uns. Und es scheint, als ob wir da gar nichts dagegen machen könnten.

Hab sie natürlich alle wieder ein bisschen irritiert, in dem ich die jungen Mädels nach ihrem Abischnitt gefragt habe, bevor sie mich befummeln durften. Blondi 1 hat gegrinst, Blondi 2 reagierte geschockt. Wie ich solche Szenen liebe. Fies, gell? Aber das Leben ist doch schon so langweilig genug. Leider sehen das meine Gegenüber oft nicht so wie ich und mögen dieses spezielle Gesellschaftsspiel nicht.

Chemobeutel liefen schnell durch und im Prinzip wäre ich ja dann schon für heute fertig gewesen. Aber da mein Hb so niederig (7,3) war, gabs noch eine Ladung Blut zusätzlich. Zwei fett rote Plastikbeutel voll. Was für ein komisches Gefühl, wenn so ein roter Stoff durch die ganzen Rohrleitungen in dich rein läuft. Bissel eklig. Aber bis das geschah, lag ich noch ca. zwei Stunden auf meiner Liege rum, was e purer Luxus heute war. Denn eigentlich hätte ich aufstehen müssen, wenn sie die Liege gebraucht hätten. Ich wurde überraschenderweise in Ruhe gelassen. Einmal rief ich laut, weil ein Patient ganz traurig fragte, wann er denn endlich dran kommen würde, dass ich auch draußen warten könnte. Die Schwestern blinzelten mir zu und ignorierten mein christliches Verhalten komplett. Ich erinnerte mich an die vielen Stunden, die ich schon im Warteraum der „wilden Kreaturen“ auf eine Liege hoffen musste und entschied mich, mein wiederentflammtes Christsein an den Nagel zu hängen. Der Arme musste aber dann tatsächlich nicht mehr lange warten und nahm den Platz neben mir ein. Der Arme, weil die Krankheit, welche auch immer, ihn im Gesicht schon so gezeichnet hat, dass es schwer fällt, ihn ohne Gefühlsregungen anzuschauen bzw. anzugaffen. Erstaunlicherweise war dieser geschundene Mensch gut drauf und verbreitete gute Stimmung, in dem er auch hin und wieder einen lockeren Spruch raus haute. Ja, das scheint bei manchen Menschen wohl die Strategie zu sein, mit der Hölle umzugehen. Es kostet viel Kraft. The Show must go on. Man erhält eine Schreckensnachricht und steht wenige Minuten später doch auf der Bühne und unterhält. Nicht jeder Manns und Frau Sache. Und nach 98 Tagen auch immer schwerer zu praktizieren.

Das Blut floss und es vollbrachte unmittelbar Wunder in meinem Körper. Fühlte mich plötzlich wie ein junger Hüpfer. Machte eine Wandlung wie Brad Pitt im „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ durch. Kein Wunder, dass diese Kur auch ganz gut bei Hochleistungssportler ankommt. Ich hüpfte aus der Klinik hinaus, das war eine wahre Pracht. Vom Zeilupemodus in den Speedmodus umgeschaltet. Im nächsen Zyklus mache ich da nicht mehr so lange rum. Wenn nötig, schlürf ich das Zeug mit nem Trinkhalm, direkt aus dem Wartesaal.

Zuhause wusste ich gar nicht, wohin mit der ganzen wieder erlangten Energie. Leider waren ja meine Leukos auf 200 abgesackt. Jesus, was für ein Wert. Vor ein paar Wochen machte ich mir deswegen noch in die Hose. Jetzt ist mir das alles ziemlich schnuppe. Na ja nicht ganz, Menschenansammlungen und meine grippigen WG-Genossen versuche ich dann doch zu meiden. Hb: 200, der niedrigste Wert. 280 hatte ich schon mal. Nach Analyse meiner Blutwerte-Excel-Tabelle ist das wohl doch nicht ganz ungewöhnlich. Es dauert wohl so 8-9 Tage bis mein Leukos in einer annehmbaren Norm liegen. Über 1000 würde mich schon ein wenig zuversichtlicher stimmen. Bin gespannt, was der Aldi-Blut-Zettel sagt. Bisschen einkaufen müsste ich glaub schon übers Wochenende. Außerdem krieg ich so langsam den Hüttenkoller. Kann meine Bude bald echt nicht mehr sehen.