Tag 93 - Tag 94 - Samstag - Sonntag, 20.08. - 21.08.

(Tag 4 und Tag 5 - Chemo-Zyklus 5)

 

Samstag - Spritzentag


Die Wunderspritze besorgt. Seltsam, ich hätte sie schon am Freitag kaufen können. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Ich habe mich daran gewöhnt sie am Samstag kurz vor Ladenschluss um 12.30 Uhr abzuholen. Die Apothekerin grinst immer breiter, was mich nervt, vielleicht sollte ich ihr das nächste Mal mit einem Apotheker-Wechsel ein Schnippchen schlagen. Auf jeden Fall ist die Abwicklung problemlos. Einen Nervenzusammenbruch bekomme ich auch nicht mehr. Die Löcher auf meinen Konten lassen mich mittlerweile ziemlich kalt. Und was sind schon Löcher auf Konten gegen Löcher im Korpus. Also Alter, bleib cool!

Hab mich dann noch ein bisschen in der Stadt rumgetrieben. Bisschen auf dem Wochenmarkt durchgeschnorrt. Oliven, Frischkäse, getrocknete Tomaten, Pfirsichschnitten...ein Schlaraffenland so ein Wochenmarkt. Die Hitze gab mir aber den Rest. Ihr freut euch, dass endlich der Sommer da ist, verstehe ich. Mich töten 30 Grad. Komme mir vor als hätte man mich in der Mikrowelle vergessen. Nicht mal Schatten ist da so richtig eine Alternative. Also rettete ich mich kurz in einen klimatisierten Supermarkt, dessen Namen ich nicht erwähne – Schleichwerbung, ihr wisst. R och E rheblich W iderwärtig E kelig, war aber extrem kühl.

Kann mich immer noch nicht überwinden, mir diese Spritze selbst zu geben. Wie gesagt, es ist nicht der Vorgang, der mich hemmt, sondern einfach das fehlende Zutrauen, es richtig zu machen. Ich könnte auch nie ein guter Kletterer werden, weil ich immer Bedenken hätte, irgendeinen Haken zu versemmeln.

Schwester Ulrike musste mal wieder ran. Gut, dass ich so mutige und kompetente Frauen, immer an meiner Seite weiß. Mit der teuersten Kühltasche der Südpfalz trottete ich ins Spritzengässchen. Das Ding war innerhalb 24 Sekunden erledigt. Nun können in den kommenden Tagen wieder ein paar Leukos das Licht der Welt erblicken. Die Gelegenheit genutzt, um noch ein wenig darüber zu plaudern, wie schwer es ist, Vater, Mutter, Tochter zu sein. Immer wieder stößt man da an Hürden und Grenzen. So viel muss in Einklang gebracht werden: seine eigenen Defizite mit den Defiziten des anderen. Verständnis, Toleranz, Empathie, Zeit. Alles muss permanent gegeben sein. Eltern wollen immer das Beste, tun es aber nicht. Töchter wollen auch das Beste, wollen dabei aber in Ruhe gelassen werden. Wer erfindet endlich eine Zeitmaschine, dann könnte man kurz schauen, wie sich so alles entwickelt, dann wüsste man, dass sich alle Sorgen in Luft auflösen werden.

Was gibt es sonst noch zu erwähnen?

Eigentlich nur abgehangen und geruht. Immer mal wieder weggedöst.

In einem lichten Moment und aufgrund von akutem Eishunger, alle WG-Genossen aktiviert, den Hunger per Telefonat zu stillen. Roy: Bananensplitt, Kiwi und Banane: einen Kiwi-Becher, aber keine Bananen und ich mal wieder Frotzen-Joghurt. Lieber Gott der Geduld, war das eine Geburt mit dem Bestellen. Und es lag diesmal definitiv nicht an meinem Chemo-Hirn. Das war erstaunlich fit. Diesmal lag es an...hmmmm...dem Versagen der Schule, des Staates, des Elternhauses, der Genetik, der Vertechnisierung unseres Alltags, alles zusammen? Keine Ahnung! Auf jeden Fall dauerte die Eisbestellung per Telefon eine gefühlte halbe Stunde. Da wäre ich mit Fahrrad schneller gewesen. Zuerst hatte ich einen Typen in der Leitung, der nur gebrochen Deutsch sprach und den Hörer weitergab, als er meinen schwierigen Namen hörte. Dann fragte mich ein junges Mädchen, ob ich schon bestellt hätte. Ich bejahte dies, was ich in Zukunft nie wieder bejahen werde, und sie suchte mich im Eisdielen-Computer-System, fand mich aber nicht. Daraufhin nahm sie mich im selbigen System als Kunde auf, was ich nicht wollte. Während der Aufnahme, musste ich meinen Namen ca. 7mal wiederholen. (Schnur wie die Schnur, Schnur wie Seil, Schnur wie Bändele, Schnur mit einem r, Schnur mit Sch und ur, aber ohne h, S wie Schund , C wie Chemo, H wie Hodenkrebs, N wie Nagelbettentzündung, U wie Urininsuffizienz und R wie Rollender Rollmopps) Dann kam das gleiche Spiel mit der Adresse. Das erspar ich euch aber jetzt. Als die Neukundenregistrierung abgeschlossen war, durfte ich dann endlich bestellen, eben ein Bananensplitt ohne Bananeneis, ein Kiwi-Becher, auch bananenlos, aber dafür mit unmenschlich viel Schlagsahne und ein Frotzen-Joghurt mit viel Frotzen, aber schlagsahnenlos. Klar, da kann so eine Eisdielen-Telefon-Hilfskraft schon mal an der Hörmuschel durchdrehen und beten, dass dieser komplizierte Neukunde am Bananeneis ersticken mag. Dem Bananeneis, das man nicht bestellt hatte, aber dann doch kam. Herjemine! Außerdem rief der Eisfahrer von unterwegs an, dass er in einer Hintenburgstr. stünde und keinen Schmurr fände. Herjemine! Warum vergeudete man seine Lebenszeit nur solchen bescheuerten Dingen! Herjemine!

Die Bestellung hat mich so erschöpft, dass ich wenig später zwischen Roy und Guenther eingeschlafen bin, mit wenig Frotzen im Bauch, selbstverständlich!

 

Sonntag – Prinzessin Uteb-Tag


Ich begrüßte den Sonntag früh und fröhlich. Regen, keine Hitze, das kam mir nicht ungelegen. Wie schön das ist, im Sommer das Fenster aufzureißen, wenn es draußen regnet. Dieser Luftzug, der dann durch die Wohnung weht, herrlich! Am liebsten hätte ich mich nackt auf den Fenstersims gesetzt. Aber ich konnte ja nicht riskieren, das Prinzessin Uteb auf ihrem Bike vor lauter Schreck geradeaus fährt, anstatt die Kurve zu nehmen.

Ich habe während der Woche so viel Zeit, dass ich immer die möglichen Freizeitaktivitäten für das Wochenende ausschneide. Solche Sachen macht man halt, wenn man nix Besseres zu tun hat. Da sammelt sich einiges Geschnippsel an. Man soll kaum glauben, was man bei uns alles unternehmen kann. Heute hatte ich aber keine Lust, eine Entscheidung zu treffen. Prinzessin Uteb nahm das in die Hand und entschied sich für das „Große Mittelalterfest" in Jockgrim, was tatsächlich sehr groß war. Ein ganzes Zeltlager haben die da aufgebaut. Leider hat der Regen uns einen Strich durch ein gemütliches Gebummel gemacht. Aber nur kurz. Wir retteten uns in die Dorfkirche. Freuten uns schon auf Besinnung, die aber durch krakälende Unbesinnte nicht möglich war.

Auf der Rückfahrt noch beim Plätzelfescht in Herxheim vorbeigeschaut. War ganz drollig, haute uns aber jetzt auch nicht so vom Hocker.

Tja, und dann war der Tag schon fast wieder um. So schnell kanns gehen in der Pfalz.

Ich freue mich schon darauf, wenn ich mal wieder so richtig im Pfälzer Wald wandern kann. Zurzeit ist das nicht mehr drin. Wäre nur eine Qual.

Bin nicht viel gelatscht, und doch war ich heute ziemlich hinüber. Manchmal habe ich den verrückten Gedanken, meine ganzen Zustand zu ignorieren und einfach loszulaufen. Zu schauen, was passiert. Ob ich tot umfallen würde? Wie weit würde ich kommen? 1 km? 2? Wie ich die Menschen beneide, die sich so bewegen können, wie sie es wollen.

 

Den Abend beim neuen Polizeiruf ausklingen lassen. Ich fand ihn schräg, der Schnitt anstrengend, aber trotzdem war es eine fesselnde Storry, mit ungewöhnlichen Figuren. Am besten hat mir die letze Sequenz gefallen. So ist es. Da geht ein Kommissar, den alle für zu intellektuell und steif halten in ein Restaurant und fängt plötzlich ganz alleine für sich zu tanzen an. Diese Brüche mag ich. Diese Brüche zeichnen uns Menschen aus. Man ist nicht immer nur diese eine Person. Man ist viele und vieles.