Tag 91, Mittwoch, 17.08.2011 (Chemo-Tag 1 Zyklus 5)

 

Schon beim Aufstehen hatte ich heute Bammel vor dem Tag. Gestern top-fit, wusste ich, dass ich das heute auf keinen Fall bleiben würde. Auch nicht mit der Visualisierungsmethode.

Master Schlemensch musste als Taximan wieder ran. Der Arme, so früh morgens ist doch nun so gar nicht seine Zeit. Eigentlich müsste ich so um 01.00 Uhr nachts meine Termine haben. Dann wäre Mr. Nightwatch als Krankentransporter dauergebucht. Aber er schlug sich wie immer sehr sehr tapfer. Kippe, Kaffee und kein Frühstück als Antriebshilfe und los ging’s. Straßen waren frei und der Taximan durfte nach Belieben auf die Gaspedale treten. Das Fahren erweckte ihn zum Leben.

In der Klinik wurde ich erst mal durchgecheckt. Leider ging wieder etwas schief. Na ja, nicht so richtig schief. Leicht schief. Dachte, dass Frau Dr. M(uss jetzt mal die Gesundheitskeule rausholen) an die Tagesklinik weitergeben hatte, dass ich nun doch die letzten zwei Zyklen in HD absolviere. Was sie anscheinend versäumte und so waren die Damen im „Hasen-Stall“ – so wird die Rezeption von mir heimlich genannt – sehr überrascht, dass ihr Herr Schnur hier wieder auftauchte. Kurze Irritation (Ist was passiert?), Gekruschtel nach meiner Akte, aber dann doch an breiter Hasen-Front Freude darüber, dass sie mich wieder auf die Bahre schnallen durften.

Tag 0/1 ist immer ein langer Tag. Also hab ich mich natürlich darauf eingestellt, den Tag ein wenig produktiv zu verbringen. Bisschen Meditationsmusik hören, Blog schreiben und so...Nix von all dem konnte ich umsetzen. Die Antikörper-Armee (Rituximab) marschierte durch meinen Port und legte mich unmittelbar um. Wenn Sie sich komisch fühlen, dann melden Sie sich bitte, Herr Schnur. Ich füüüühleeee mich kooooomiiiiiisch...!!!! Ich glaube, so meinte die nette Krankenschwester das nicht. Die meinte nämlich, erst wenn ich eine Herzattacke bekomme oder mir meine Ohrläppchen abfallen, sollte ich nach ihr rufen. Ich hielt die Klappe und ertrug mein Elend. Und es war wahrlich ein Elend. Es fühlte sich diesmal an wie eine Akut-Grippe vermischt mit einem Wodka-Kater. Ablenken ist da kaum möglich. Der Körper will einfach zu viel Aufmerksamkeit. Ich fing an zu frieren. Seltsamerweise musste ich gar nichts sagen, ich bekam ohne ein Wort zu jammern, die Kuscheldecke über meine Gebeine geworfen. Sind echt fix die Mädels. Wahrscheinlich habe ich aber auch gezittert wie Espenlaub. Ist bei Rituximab normal. Wird dann Infusionsgeschwindigkeit runter gestellt und noch eine Extraladung NaCl drangehängt. Dann geht’s besser. Eine Schönheit von einer Frau, nein von einem Mädchen, vielleicht so um die 20, saß mir gegenüber. Hatte was von Schneewittchen und Milla Jovovich. Sie bekam das gleiche Programm wie ich. Ihr erster Zyklus. Ich hatte wahnsinnig Mitleid mit dem Mädel. Sie wird bald ziemlich im Arsch sein, die Hübsche und vielleicht gar nicht mehr so hübsch in meine Richtung blinzeln. Noch lächelte sie und war unwissend. Ich beschäftigte mich gedanklich mit ihr und mit ihrer Zukunft, das lenkte mich einen kurzen Augenblick von meiner eigenen Lage ab. Die Leute, die da mit mir in dem Behandlungsraum liegen, wachsen einem mit der Zeit richtig ans Herz. Vor allem die, die man jede Woche wieder sieht. Und nochmal ganz besonders die, in deren Gesichtern man lesen kann: Du blöder Krebsarsch, von dir lasse ich mich nicht klein kriegen! Und es gibt davon einige. Leider kommt man nicht ins Gespräch. Der Respekt ist vielleicht zu groß oder die Angst, sich schlimme Geschichten, anhören zu müssen, überwiegt einfach. Es gibt aber auch die, die sich bereits aufgegeben haben, die schon als Häufchen Elend durch den Behandlungsraum humpeln – an Stöcken oder anderen Gehhilfen, manchmal gestützt von Ehefrau, Ehemann, Tochter oder Sohn. Manchmal verliert da sogar jemand wie ich seine positive Grundeinstellung bei dem Anblick von so viel Krankheit und traurigem Schicksal. Ich kann es nachvollziehen, dass man von Krankheit nichts wissen will. Das zieht einfach zu sehr runter. Wir schimpfen so schnell über die etwas gefühllosen wirkenden Krankenschwestern und Ärzte. Aber bitteschön, wie will man diesen Knochenjob sonst ausüben können, wie will man sonst überleben. Ich fang ja schon an zu flennen, wenn mir ein Schüler erzählt, dass er einen bösen Vati hat, der ihn immer haut.

Von den 8 Stunden in der Klinik habe ich bestimmt 5 schlafend und dösend zugebracht. Eine Schwester von den 3 Engeln für Charlie trat an meine Liege und schüttelte mitleidig den Kopf. Herr Schnur, Sie sind immer so luuuuustig. Wir vermissen das richtig. Heute sind Sie aber ziemlich ausgeknockt. Ich finde es schön, wie sie das Wort lustig so dehnt. Luuuuuustig. Das hat etwas Beruhigendes, eine Traumwelt, wohin man sich vor allen Ängsten dieser Welt flüchten möchte. Luuuustig, das Land, wo man hin möchte, um das Leben zu feiern. Ich flüstere zu meinem Engelchen: Können Sie nochmal Luuuustig sagen? Das klingt so schön, wenn Sie es sagen. Sie lächelt, streichelt über meine Hand und flüstert noch leiser als ich: Wird schon wieder, Herr Schnur! Ich habe die richtige Entscheidung getroffen, wieder nach Heidelberg zu fahren. Mir ist völlig schleierhaft wie ich daran zweifeln konnte.

Miss Kersti holte ich mich heute ab und hatte ebenfalls jemand im Schlepptau, der auf den Namen Charlie hörte. Aber diesmal weiblich und die Tochter von Miss Kersti. Am Vorabend war mein Hirn wieder weich wie Hafergrütze und ich dachte während eines Chats in Facebook, Charlie wäre ein Hund. Wollte schon schreiben: Klar, kann Charlie mitkommen, ich mag Hunde. Aber Charlie war kein Hund, sondern eben Charlotte. Mit mir war nicht viel anzufangen, was Charlie ermunterte den Unterhaltungspart zu übernehmen. Unterhatlungstechnisch ist Charlie ein Naturtalent. Tommy Gottschalk und Charlie in einer Sendung, da bliebe kein Augen trocken. Im Delirium konnte ich einige witzige Gesprächsfetzten wahrnehmen, an die ich mich natürlich jetzt nicht mehr erinnern kann, denn ich befand mich ja im Delirium. Schade, sehr schade.

Zuhause, war ich gerade noch in der Lage, Schuhe und Klamotten auszuziehen und mich aufs Sofa plumpsen zu lassen. Die 3. Deliriumsrunde wurde eingeläutet. Irgendwann in Nacht erwachte ich und beendete die 4. Runde in meinem Bett. Ich bin mir sicher, so muss man sich fühlen, wenn man am nächsten Tag einen Tisch, an dem James Dean, Elvis Presley und Zarah gemeinsam frühstücken, zugewiesen bekommt.

Das war der heftigste Chemotag, der hefigste Chemomittag, die heftigste Chemonacht.

Und das nach einem so guten Dienstag. Unglaublich eigentlich. Krebs ist unberechenbar.

 

Wird mich das alles wirklich heilen?

 

Wenn nicht, schicke ich meine durchgeknallten Brüder in die Ambulanz von Prof. Ho. Das wild dann bestimmt lichtig möldelisch luuuustig welden.