Tag 85, Donnerstag, 11.08.2011
Ein schöner Donnerstag. Alle Gliedmaßen nach dem Aufwachen zu spüren ist immer ein guter Start in den Tag. Wieder einmal in der Nacht stündlich (Ich könnte die Uhr danach stellen) Wasser gelassen, aber trotzdem gut und fest geschlafen. Es ist wohl so: Je weniger Medikamente, desto besser ist dann auch der Schlaf. Nach der ganzen Schoße werde ich einen großen Bogen um jede Art von Pillchen machen und hoffentlich mal ohne Strullern 8 Stunden durchschlafen. Ich habe die letzen 3 Monate so viel Medis geschluckt und uriniert wie andere ihr ganzes Leben nicht.
Der Tag war dafür da, den Haushalt auf Vordermann zu bringen und den Kühlschrank zu füllen. Meine Fitness lässt es zu, dass ich alles, was ich mir vornehme, auch erfolgreich umsetze. Alles, was vorher selbstverständlich war – z.B. nicht auf andere angewiesen zu sein – wird plötzlich mit anderen viel sensibleren Augen gesehen. Wenn ich Sprudelkisten hole, dann bin ich stolz, sie alleine zu mir hochtragen zu können. Ich brauch zwar drei Pausen zwischen Hof und Wohnung, aber ich schaff es und bin glücklich, dass ich es geschafft habe. Ich will nicht, dass mir das jemand abnimmt. Wenn ich diesen Wunsch äußern würde, dann müsste man sich tatsächlich Sorgen machen.
Es nervt ungemein, für alles so lange zu brauchen, und die Hände nicht unter Kontrolle zu haben. Jeder Schraubverschluss, jede Verpackung wird da zur Herausforderung, zu einer persönlichen Bestleistung. Ich versuche mein Unvermögen zu verbergen so gut es geht, aber es gelingt mir meist nicht. Wenn man Alzheimer hat, bekommt man bei vollem Bewusstsein mit, dass das Hirn nicht mehr mitspielt. Wie gut kann ich so ein Zustand mittlerweile nachempfinden. Ich bekomme bei vollem Bewusstsein mit, dass mein Körper nicht mitspielt (und das Hirn manchmal natürlich auch nicht), dass ich ein anderer bin. Die Liste meiner Unzulänglichkeiten und Handicaps wird immer länger, je länger die Therapie geht.
Ich stehe an der Kasse und muss zahlen. Ich suche die Geldkarte. Weiß nicht mehr, wo ich sie hingesteckt habe. Ich finde sie und versuche sie rauszuziehen. Es gelingt mir nicht. Meine Hand hat keine Kraft. Zeigefinger und Daumen rutschen mehrfach von der Plastikkante. Die Kassiererin blickt ungeduldig, die Schlange hinter mir tuschelt mitleidig, ich selbst werde immer hektischer. Ich habe die Karte endlich in der Hand, lasse aber das Portmonaie aus der zittrigen Hand fallen. Die Münzen rollen auf den Boden. Vorbeigehende Menschen sammeln sie für mich ein, sonst wäre ich Stunden damit beschäftigt, sie zusammenzusuchen. Tippe die Geheimzahl in das Gerät und bete, dass ich nicht die falsche eingegeben oder mich vertippt habe. Bekomme eine Hitzewallung, Schweißperlen tropfen mir von der Stirn. Höre ein Mantra in meinem Kopf: Nur nicht umkippen jetzt, nicht umkippen, nicht umkippen...
Ich schaffe es, immer wieder und wieder schaffe ich es, aber diese täglichen Herausforderungen erschöpfen mich immer mehr. Und was noch viel schlimmer ist. Ich habe immer mehr damit zu kämpfen, meine gute Laune zu behalten.
Ein Lichtblick. Ritters Schnuribolds Lichtblick: Prinzessin Uteb reist mit ihrem Pferd auf zwei Rädern schon heute an. Die Prinzessin ersetzt alle Vitamintabletten und Gemüsesäfte, sie reichert des Ritters Blut mit lauter kleinen geheimen Energiemolekülen an.
Kranke Menschen sollte man zu den ganzen Tabletten einfach noch liebe Menschen beiseite Stellen, dann ist die Chance um ein Vielfaches höher, sich auf jeden Fall ein bisschen weniger krank zu fühlen und vielleicht sogar ganz gesund zu werden.