Tag 82, Montag, 08.08.2011

(Chemo-Tag 12 – Aplasie – Zyklus 4)


Punkt 08.00 Uhr in der Praxis „WoistmeinBlut“ augeschlagen. Leukos 5000 (klingt wie eine Frage bei „Der große Preis“). Hb 7,9. Der könnte besser sein. Vamipir-Omi war mit meinen blauen Adern und meinem krummen rechten Arm völlig überfordert Kam nicht an meine schmackhaften Thrombozyten heran, wandelte von rechts nach links und von links nach rechts, fluchte wie ein Rohrspatz. Dem Elend nicht genug, machte sie mich noch bösehexemäßig an. Sie wirft mir vor, am Freitag nicht lange genug auf mein Pflaster gedrückt zu haben. Bin mal wieder sprachlos, fühle mich zuerst schuldig, sehe mich anstatt der Vampir-Omi auf dem Scheiterhaufen brennen, um dann anschließen wieder zu Besinnung zu kommen und in meiner Tasche nach meiner Smith & Wesson zu gramen. Sie hatte Glück, dass ich müde war, sonst hätte Omi jetzt weniger Blut und ein paar Löcher mehr als ich. Da macht man was mit, freu mich regelrecht auf Heidelberg.

 

Da satte 5000 Leuko-Babys in meiner „Gebärmutter“ umher schwammen, konnte einem Einkauf bei Rewe nichts mehr im Wege stehen. Der Wagen voller Frühstücksleckereien. Freue mich beim Aufladen an der Kasse, dass das alles in mir bleibt und ich es nicht raus kotzen muss.

 

Zuhause bei indischer Meditationsmusik die 5 Pillchen geschluckt und mir vorgestellt, ich wäre Mahatma Gandhi. Sehe ihm ja auch zu verwechseln ähnlich, bis auf, dass ich ca. 100 Kilo mehr wiege. Mein Frühstück war nicht indisch, sondern spanisch: Omelette mit Oliven und getrockneten Tomaten. Sowas zu essen macht zwar keinen Sinn, denn mein Mund ist schon salzig genug, aber ich hau mir es trotzdem so genüsslich wie möglich hinter die fauligen Kiemen. Spanische Sonne in mir, schottischer Regen draußen. Es schüttet. Mir gefällt der Regen, hab da immer das Gefühl, besser druchschnaufen zu können. Es dürfte aber ruhig ein paar Grade wärmer sein.

 

Büroarbeit. Unter anderem habe ich das Befundgespräch am Freitag schriftlich vorbereitet, indem ich meinen Gesundheitszustand während der Therapie zusammenfasste. Im Prinzip muss ich am Freitag mit Frau Dr. M(iachmichheile). am Freitag nicht mehr kommunizieren. Wenn Sie mit mir die zurückliegende Behandlung durchgehen will, brauch ich nur mein Papier auf den Schreibtisch zu pfeffern und sie kann das Heilungsfeuer anzünden. Natürlich hab ich auch wieder lustige Passagen drin, kann nicht anders. Warum sollte man ernst untergehen. Wer bitte schön hat festgelegt, dass man sich humorlos dem Krebs ergeben muss. Nicht mit mir! Bin wahrscheinlich der einzige Patient, der Frau Dr. M(achmichwiederfrisch) zum irritierten Schmunzeln bringen wird. Vielleicht stelle ich das bei Gelegenheit auch noch in den Blog, mal sehen.

Und dann – es geschehen noch Zeiten und Wunder – KEINE Post im Rechnungskasten. Das war schon Monate (Jahre?) nicht mehr. Keine Arztrechnungen. Bin tatsächlich noch einmal an die Box gerannt, weil ich es nicht glauben wollte.

 

Plötzlich überkam mich ein akuter Müdigkeitsunfall (die vielen Treppen im Haus 46, ihr versteht) und ich musste „Couching“ betreiben. Das geht manchmal von jetzt auf nachher, in der einen Sekunde noch 3 Treppenstufen auf einmal und in der anderen Sekunde penne ich schon auf der letzen Treppenstufe ein.

Panisch aufgewacht, weil ich dachte, den Dapfnudeltermin mit Lady I. und Surfing Ani verratzt zu haben. Beim Pfaffi gab’s die heute. Kult! Miss Einstein schmatze auch 1,5 flaufige Nudeln weg. Die Süße besteht jetzt quasi aus Dampfnudeln.

 

Nach den Dampfnudeln musste ich mich wieder natürlich wieder hinlegen. Gott, was für ein Leben! Essen, schlafen, Rechnungen bezahlen. Bisschen gehaltvoller könnte es schon sein, das Leben.

 

Heute Morgen bin ich sehr melancholisch aufgewacht. Der 1. Schultag nach den Ferien und ich bin nicht dabei. Habe den 1. Schultag immer geliebt. Die Kinder wiederzusehen und festzustellen, wie sie sich in den 6 Wochen verändert haben, war immer sehr spannend. Mittlerweile habe ich meine Bälger ja 3 Monate nicht gesehen. Auf unserer Schulhomepage konnte ich sie dann begutachten. Klassenfotos wurden schon online hochgeladen. Jede Schülerin und jeden Schüler bin ich abgegangen und habe mir Gedanken zu ihm gemacht. Eine witzige Truppe. Anstrengend, aber witzig! So wie der Ex-Klassenlehrer halt. Nun sind sie in der 9., einig e gehen schon nach dem Schuljahr von der Schule. Ich hoffe, bis spätestens zu ihrer Verabschiedung wieder fit zu sein. Egal für was ich mich bis dahin entschieden habe. Aber an diesem Tag will ich in Wörth wieder auf gesunden zwei Beinen stehen. Lehrer ist der schönste Beruf der Welt. Das weiß man erst zu schätzen, wenn man den nötigen Abstand wieder hat. Es ist für mich heute noch ein absolutes Wunder, dass ich das geworden bin. In der 9. Klasse auf der Realschule damals hätte ich das niemals nur annähernd in Erwägung gezogen. Heute hätte ich den Schülern, wie ich es immer nach den Sommerferien handhabe, Begriffe und Zeitungsausschnitte der letzten Wochen aus den Weltnachrichten vorgelegt und sie hätten zu einem zufällig gezogenen Begriff frei sprechen müssen. Das bereitet den (meisten) Schülern große Freude und es geht oft sehr emotional bei den Berichten zu. Man glaubt nicht, wie die Schüler solche Nachrichten wie aus Norwegen oder Afrika emotional verarbeiten und welche Fragen sie sich stellen. Selbst als hart gesottener Pauker ist man da öfter mal am schlucken und staunen. Ich war schon immer der Ansicht, dass man nur lernt, wenn Emotionen im Spiel sind. Nur so setzt sich Wissen dauerhaft fest. Gespräche über den Horror im III. Reich müssen sein, aber ein Besuch in einem KZ wie Auschwitz bleibt einem für immer und ewig im Gedächtnis.

Mit Miss Kamikazi Wandfarbe gekauft. Gespannt wie ihr Wohnzimmer aussieht, wenn es fertig ist. Auch hier wurde Ritter Schnuribold völlig ritteruntypisch sehr nachdenklich. Diese melancholische Stimmung wich aber schnell einem Ärger. Ich war sauer auf meine Krankheit. Die Krankheit, die es zum wiederholten Male nicht zulässt, dass ich meiner Tochter nicht helfen kann. Das führt mir wieder plastisch vor Augen, wie unvollständig ich doch bin. Nicht zu können, wie man will, das nagt. Aber es kommen wieder bessere Zeiten und ich werde mehr können als jemals zuvor. Dann bin ich der Typ, der ständig die Welt retten muss, weil ihn eine Spinne in den Hintern gebissen hat und werde mich von Häuserwand zu Häuserwand mit noch nie dagewesener Grazie abseilen. Dabei habe ich natürlich sinnvollerweise nicht mehr die Rüstung an, sondern trage einen wahnsinnig coolen Spider-Schlafanzug.