Tag 72, Freitag, 29.07.2011 (Tag 3 - Chemo-Zyklus 3)
06.15 Uhr
Heute Morgen fühle ich mich seltsamerweise richtig gut. Keine Sterne mehr am Himmel zu sehen. Vielleicht ist das gespendete Blut jetzt tatsächlich bei mir angekommen und zeigt seine Wirkung. Die Übelkeit am Morgen nimmt wieder zu, aber das ist nicht so schlimm, alles erträglich. Das wird wegvisualisiert. Gleich kommt Lady I. Bin gespannt, ob sie Klein-Lady-I. mitbringt. Wenn ja, wird die Fahrt natürlich ein Erlebnis, denn Klein-Lady-I. ist das schlauste kleinste Wesen, das ich kenne. Wenn es meine Verfassung zulässt, werden wir danach noch Frühstücken gehen. Hoffentlich läuft es so wie gestern. Ankunft 08.00 Uhr, 08.30 Uhr Adieu Tagesklinik.
Lady I. war pünktlich wie eine Maurerin. Straßen waren frei und ich saß wieder als Erster auf der Liege. Könnte mich an solchen Frühfahrten gewöhnen. Meine roten Bäckchen wurden gelobt, alle anwesenden Schnuir-Hilfskräfte waren froh, dass ich nicht schlummernd vom Stuhl kippe. Banane, Apfel, Flasche Sprudel und 15 Tabletten reingepfeffert und schon war ich wieder draußen. Also bis jetzt hab ich alles gehabt, von 25 Minuten bis 8 Stunden. Man muss wirklich ein sehr umgänglicher und genügsamer Mensch sein, sonst hat man in diesem Medizinsystem schlechte Karten.
Mit Lady I. heute richtig gut gelabert. Ich glaube, es war das erste Mal, dass wir uns so essenziell ausgetauscht haben. Was so eine Krankheit bewirkt. (Vielleicht ist auch ein bisschen mein Blog schuld daran, man kriegt wohl jetzt auch eine andere Sichtweise auf meine Person, ich werde dadurch für manche zugänglicher.) Man kommt sich näher, will sich auch näher kommen. Warum hat das nicht schon vorher stattgefunden? Respektiert, aber meist ignoriert. Man läuft aneinander vorbei und hat sich doch eigentlich eine Menge zu sagen. Aber eins muss ich auch zugeben: Ich stehe nicht mehr auf so einem hohen Ross wie früher, mein Zynismus lässt in den richtigen Momenten nach. Das gibt den Menschen die Chance sich zu öffnen. Und das wiederrum find ich wieder viel besser. Dass ich das nicht schon eher geschnallt habe. Mehrfach wurde mir das schon gesagt, aber ich dachte nur, wenn die nicht mit mir klar kommen, dann ist das ihr Problem. Wie bescheuert taub und blind man doch manchmal durch die Gegend latscht.
Und dann das Highlight. Miss Einstein und Grandma Eri kamen am Cafe am Markt vorbei. Gerade als Lady I. und ich unseren letzten Schluck Orangensaft durch den Strohhalm gurgelten. Dieses kleine Kind ist irgendwie faszinierend. Ich habe noch nie ein Kind mit einem derartigen umfangreichen Wortschatz und höflichen Umgangsformen angetroffen. Wann sagt mal eine Neunjährige zu einem Erwachsenen: Wie geht es dir? Ich meine, manchmal ist das auch ziemlich schräg, aber eben weil nur ungewohnt. Sie scheint Worte aufzusaugen wie ein Schwamm. Die erste und wichtigste Stufe von Intelligenz ist wissen zu wollen. Diese Stufe hat Miss Einstein schon mehrfach mit Anlauf übersprungen. Und manchmal kann auch Miss Einstein eben nur ein Kind sein, was auch wieder gut ist. Ich sehe auf jeden Fall eine rosige Zukunft für Mini-Lady E.. Zu visualisieren brauch ich da nichts. Unter der Relativitätstheorie oder Moderatorin von RTL-Explosiv wird’s nicht gemacht. Na, ja ein paar Ängste müssen vielleicht noch in Griff bekommen werden. Aber da bin ich ganz zuversichtlich und kann vielleicht doch ein bisschen visualierungstechnisch helfen.
Der Ausflug hat mich dann doch ein wenig erschöpft. Musste ruhen. Ruhte auch. Ausgiebig. Vorbereitung auf Celebration-Mici.
Aber nach der Reihe.
Marc O., die Lerche aus Stonewoiler, war als Chauffeur angemietet. Zufälliger Weise war Marc O. auch noch ein Ex-Noch-Kollege von Ritter Schnuribold. Das traf sich ganz gut, denn man hatte sich eine Menge zu erzählen. Es war wieder sooo lustig mit dem Fordfahrer über den Highway zu schippern. Was punkto Schlagkräftigkeit und Wortwitz anbelangt, schafft Marc O. genauso den 7er beim Quatschen wie auch beim Klettern und steht Ritter Schnuribold in nichts nach. Muss Marc O. unbedingt fragen, ob er vor seinem Ritterleben auch mal in Versicherungen gemacht hat. Tja, schippern, geniale Idee eigentlich. So mit der Fähre über den Rhein, angelehnt an die mächtigen Bauchmuskeln von meinem Chauffeur, ganz entspannt zu unserer Freundin Miss Mici. Das hätte was gehabt. Leider sollte es nicht sein. Der Fährmann hat keine Gnade mit uns. 20.00 Uhr war das offizielle Schippern-Ende. 19.59 Uhr fragte Marc O. den Leinenanleger, ob noch was gehe. Wahrscheinlich weil Marc O. nur kein Mumuträger ist und nicht die Gabe des Augenliderklimperns besitzt, wurde sein Ersinnen ziemlich harsch abgebügelt. Nach einer kurzen Hetzeinlage über den Deutschen Ordnungsstaat – ich hoffe nicht Marc O. wird durch dieses Erlebnis zu einem politisch motivierten Fährschiff-Attentäter – und meiner Beschwichtigung, dass unser schönes Ländle eine Vielzahl von außerordentlichen Vergünstigungen aufweise, die man so in Bangkok oder Sardinien nicht vorfinden könne, kamen wir dann auch mal bei Miss Eggenstein 2011 an. Außerdem wurde endgültig der Beweis angetreten, dass Marc O. in die Schule von Galileo Galilei ging. Das war doch der Typ, der rausfand, dass die Erde keine gottverdammte Scheibe ist. Oder täusch ich mich da? Egal, auf jeden Fall waren wir froh, dass wir nicht vor Eggenstein irgendwo runter gefallen sind.
Außerdem meine lieben Herrschaften und Leser, Marc O. ist nicht nur ein begnadeter Quatscher, Barde und Klettersmann, sondern auch ein weltberühmter Gourmet. Eine Fahrt und ich kenne 25 leckere Fisch-Restaurant in Neupotz. Z.B. ganz raffiniert: ein Fisch-Restaurant mit dem Namen Lamm. Dort könnte ich doch mal mein Krankenhaus-Tagegeld auf den Fischkopp hauen.
Klingellinglingling, rein in die Mega-Geburtstag-Nachfeierfete. Lecker Mampf-Mampf und Trink-Trink. Wenn Ritter Schnuribold, der olle Vegetarier, von Miss Mici eingeladen wird, weiß er, dass er immer was Anständiges zwischen die löchrigen Kauer bekommt: z.B. eine köstliches Vegi-Chili, eine herausragende Champion-Quiche und würzige Spinatcracker. Es fiel dem Ritter extrem schwer, sich zu mäßigen und er sorgte für baldige Versorgungsprobleme, vor allem bei den Spinatcrackern. Mit den Spinatcrackern fühlte sich Schnuribold wie Ritter Poppey, der auf diese Dinger schwor, wenn er in die Schlacht zog. Schnuribold hat einmal mit angesehen, wie Poppey 1000 solcher Cracker in sich rein stopfte und 100 Feinde der benachbarten gymnasialen Ritter-Schule das arrogante Näschen vermöbelte. Ritter Schnuribold knabberte 10 und vermöbelte niemand. Mit jedem Bissen kam es ihm es so vor, als ob sich seine bisher unterentwickelten Bizeps durch die Spinatzufuhr auch ein wenig aufblähten. Aber nicht nur der Speis sorgte für Wohlbefinden, sondern auch der Trank. Aus Übersee wurde für den Rote-Beete-Retter ein Getränk eingeflogen, das nur so von Eisen und Metallen angereichert war. Die Leibärzte werden am Montag staunen. Das Blut-Analyse-Gerät wird wahrscheinlich Syntax Error anzeigen und rosten vor lauter Eisenüberfluss.
Im Außenbereich von Schloss Eggenstein erblickte Schnuri den blonden Ritter Kuh Li, ein aus China stammender blonder Badener. Lange Jahre war Ritter Kuh Li Ritter Schnuribolds Weggefährte in diversen Bildungsschlachten und Kellerschächten. Kuh Li konnte mit Brille, Zirkel und Weizenglas so geschickt umgehen, dass jedes noch so bemittelte Kind und jeder noch mehr bemittelte Kollege den Satz des Pythagoras oder Newtons Kraft-Energie-Gesetz im Schlaf trällern konne. Ritter Kuh Li freute sich sichtlich sogleich Newtons Kraft-Energie-Gesetz anzuwenden und drückte Ritter Schnuribolds Chemo-Narben etwas zu heftig zusammen. Doch die Liebe zwischen Rittersmännern ist eben meistens von schmerzhafter Natur.
Die vielen Weiber, die man für das Feste auf Burg Eggenstein herankarrte, waren alle sehr adrett und fein anzuschauen. Doch sie hatten verständlicher Weise zu große Angst vor so geballter Ritterskraft und Intelligenz. Hin und wieder verirrte sich eine Mutige zwischen den Füßen und die Ritter waren dankbar für etwas Abwechslung.
Später gesellte sich ein renommierter Wissenschaftler aus dem Fernen Orient zu uns. Wenn ich mich recht erinnere hieß er Karabenemsielbenschnur. Er saß gerade in der Wüste an einer Studie, die herausfinden soll, ob Alkohol die Birne hol macht. Und ob die Birnen von Frauen nach Alkoholkonsum hohler als die von Männern sind. Er fragte uns, ob wir als Versuchskaninchen herhalten wollten. Einer rief, Au Backe, einer schrie, sischer sischer, einer befreite sich schon vorsorglich von Körpergasen und eine rief, au ja, lass mich dein Kaninchen sein, wilder Araber.
Gesagt, getrunken, geforscht, genkippst.
Ergebnis:
Alkohol höhlt die Birne sowas von total aus.
Nach Alkoholkonsum ist die Birne von Frauen um 1/4 hohler als die von Männern.
Kaninchen mutieren nach diversen Tequilas und Caipis zu völlig orientierungslosen Ratten.
Beweisführung allgemein:
Beweisführung gesondert:
Auszug aus dem Aufsatz von Prof. Dr. Karabenemsielbenschnur:
"Nach fortschreitendem Alkoholexzess wurde festgestellt, dass das weibliche Versuchskanininchen nicht mehr zwischen Zimt und Cheyenne-Pfeffer unterscheiden konnte. Männlicher Probant 1 lutschte an den gepfefferten Orangenschalen und versengte sich dabei die Schleimhäute irreparabel. Männlicher Probant 2 kicherte zwar hirnlos, war aber noch einigermaßen zurechnungsfähig, männlicher Probant 3 holte seinen Zirkel raus und berechnete die Orangen-Pfeffer-Kurve."
Ergänzung:
Stargäste waren auf Schloss Eggenstein auch zugegen.
Unheilig, ein Wildecker Herzbube und Doris Ahnen.