Tag 71, Donnerstag, 28,07.2011 (Tag 2 - Chemo-Zyklus 2 -

Geburtstag von Master Schlemensch und Roy Träger)

 

Bevor ich gerstern in einen 10-Stunden-Schlaf verfiel, habe ich es noch geschafft, Miss Mici eine SMS zu schicken.

Gott sei Dank konnte sie mich heute nach HD fahren. Für eine weitere Taxi-Organisation hätte mir die Kraft gefehlt. Da Miss Mici einen Termin hatte, holte sie mich schon 06.45 Uhr ab.

So früh war ich also noch nie an der Pforte zur Glückseligkeit gestanden.

War der erste Patient.

 

 

Mach Pause. Geh ins Bett. Müde. Vielleicht später...

 

19.16 Uhr

 

Wieder wach, aber noch nicht so richtig.

Sehe noch viel zu viele Sterne.

Das Zeug ballert mich diesmal ziemlich weg.

Heidewitzka!

 

 

 

Auf die Bitte einer knuffigen Dame aus dem fernen Spanien hin werde ich nun die aktuelle Nachrichtenlage „ernsthaft“ kommentieren. Ernsthaft? Ich weiß nicht, ob mir das gelingt. Aber ein Versuch ist es allemal wert.

 

Afrika

 

13 000 000 Menschen vom Hungertod bedroht. Jede 6. Minute stirbt ein Mensch an Unterernährung. Seit zwei Jahren kein Regen. Hilfsgüter können teilweise nicht in die betroffenen Regionen gebracht werden, weil Rebellen und Milizen dies verhindern. Kalt kann das niemand lassen. Kann ich mir nicht vorstellen. Trotzdem schaut man wahrscheinlich weg, weil man so viel Elend einfach nicht ertragen kann. Ich für mein Teil, hab ein schlechtes Gewissen, nur wenn ich den Kühlschrank öffne. Ein schlechtes Gewissen zu haben, macht mich das so viel besser als die Menschen ohne oder die vielen Ignoranten. Nein! Auf keinen Fall. Was bringt es den Menschen in Not vor Ort? Nichts. Mentale Solidarität macht sie nicht satt. Was für ein gebeutelter Kontinent. Wir müssen uns bewusst machen, dass jeder Krümel unseres Wohlstandes aus dem Leid der afrikanischen Bevölkerung entsteht. Wir sind die Preistreiber, wird sind die Lobbyisten, wir sind die wirtschaftlich Stärkeren, wir fegen alles vom Markt, was uns bedroht. Nicht jeder einzelne von uns. Die Schuldfrage ist nicht so einfach zu beantworten, wie es scheint. Aber doch beteiligen wir uns an diesem System mit (fast) jedem Kauf. Ich habe heute nicht nur ein schlechtes Gewissen gehabt, sondern habe versucht mein schlechtes Gewissen wenigstens ein wenig zu beruhigen. 5% meines Gehalts habe ich heute online gespendet. Werde ich vielleicht monatlich spenden. Ich weiß es noch nicht. Für 180 Euro kann UNICEF 200 Packungen Proteinhaltige Kekse zusammen stellen. Frage mich zwar, wie die armen hungrigen und durstigen Menschen diese Kekse runter bekommen sollen. Mit Wasser nehm ich mal an? Wasser ist doch auch nicht so reichlich vorhanden. Es hilft nichts, wenn man sich einmal entscheidet, muss man auch vertrauen können. Das ist das Alibi-Argument vieler Nichtspender. DIE stecken doch die Spenden-Kohle alle in die eigenen Taschen. Man weiß doch gar nicht, ob das Geld bei den Notleidenden ankommt. Super. Was will man da noch drauf sagen. UNICEF ist eine Weltorganisation. ICH VERTRAUE DENEN. BASTA!!!

 

Norwegen

 

 

Ein Wahnsinniger mit Engelsgesicht massakriert 76 unschuldige Menschen. Strategisch geplant, perfide ausgeführt. Alleine oder unter dem Dach einer Organisation, noch weiß man das nicht mit Sicherheit. Heute wurden die Opfer in der Norwegischen Zeitung abgebildet. So bekommt der Horror ein Gesicht. Und es sind nicht nur 76 Menschen, die ihr Leben an diesem Tag gelassen haben: Väter, Mütter, Verwandte, Freunde, Kollegen werden bis zum Nimmerleinstag dieses Geschehen verarbeiten müssen, werden niemals wieder unbeschwert leben können. Wenn man ein Land vorher hätte nennen müssen, das vom Terrorismus demnächst Heim gesucht wird, wäre man da auf Norwegen gekommen? Also ich nicht. Dieses harmlose, unbescholtene, unschuldige Land, mit dieser wunderschönen ursprünglichen Natur. So groß ist die Bevölkerung doch gar nicht, dass man annehmen kann, dass da so ein Irrer beheimatet ist. Prinzessin Uteb hat mir noch vor Kurzem sagenhafte Urlaubsbilder gezeigt. Fotos voller Idylle und Harmonie. Sofort würde man gern seine Sachen packen und dort auch diese Ruhe genießen wollen. Und jetzt. Der Vergleich ist wohl angebracht, wie ich finde. Zumindest soziologisch. In Norwegen steht die Welt Kopf wie in Amerika nach den Anschlägen vom 11.09.2001. Dort hatte man an einen derartigen Angriff im eigenen Land auch nicht glauben mögen. Und nun haben auch die Norweger ihre Unschuld verloren. Heute hat das Gericht festgelegt, dass wohl erst nächstes Jahr die Verhandlung beginnen wird. Man möchte jedes Opfer damit würdigen, indem man es auch in der Anklageschrift separat behandelt. Das macht wohl Sinn. Was würde ich wollen, wenn mein Kind von diesem Monster hingerichtet worden wäre? Ich weiß es nicht. Mein Innerstes würde nach Vergeltung schreien. Aber der Typ ist komplett durchgeknallt. Ohne Gefühl, ohne menschliche Züge. Da verpufft jede Rache ins Leere. Kann man so eine Tat überhaupt verstehen? Die Gesellschaft will bzw. muss immer verstehen, um entsprechende Maßnahmen gegen zukünftige Verbrechen einzuleiten. Sicherlich kann man die Befindlichkeiten zwischen Norwegern und Amerikanern nach einer solchen grausamen Tat vergleichen, aber nicht die Täter und auch nicht die Tat an sich. Das glaube ich nicht. Dies unvorstellbare grauenhafte Massaker in Norwegen war das Verbrechen eines Irren. Die Gesellschaft ist gegen so etwas völlig machtlos. Und wird es auch immer bleiben. Da dürfen wir uns nichts vormachen.

 

Amy Winehouse

 


Tja, die Suffnudel ist tot. Die Suffnudel mit der einzigartigen Soul-Stimme. Eingereiht in die 1. Liga der begabten Selbstzerstörer dieser Welt: Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Kobain. Mitleid? Nein. Nur, weil Amy berühmt war? Bullshit. Ich habe Mitleid mit den vielen Depressiven, Suchtkranken, Einsamen. Mit den Nonames. Noch nie hat mich eine Todesmeldung einer Person der Zeitgeschichte so kalt gelassen wie diese. Ich gebe es zu. Schlimm? Herzlos? Wenn überhaupt, bin ich wütend, dass das Umfeld es zugelassen hat, dass sie sich immer weiter in die Scheiße reitet. Ein solches Ende war doch abzusehen. Sie hätten jede Möglichkeit gehabt, Amy zu helfen. Jede Klinik, jeder Spezialist hätte sich sofort auf den Fall gestürzt. Viele Normalos sind mittellos und können eine derartige Hilfe gar nicht in Anspruch nehmen. Mit diesen Menschen habe ich Mitleid. Was können wir noch für Amy tun? Wir können die CD „Back to Black“, die jeder von uns im Regal stehen hat, in den Recorder schmeißen und dieser famosen Soul-Stimme lauschen. Die auch nur so einzigartig klingt, weil sie sich eben stets am Abgrund bewegte.

 

Amerika

 

Amerika Pleite! Ein dreifaches Hossiana, gepriesen sei der Herr! Was für eine Zeit. Das Weltwirtschaftssystem scheint endgültig ins Wanken zu geraten und evtl. bald vor dem Totalausfall zu stehen. Noch nie dagewesene Krisen. Nicht mal vor der größten Macht dieser Erde macht die Krisenwelle halt. So eine Meldung gelangt irgendwie gar nicht in unser Kleinhirn. Amerika Pleite? Pah, dat gibbet doch nit. Die habbe doch For Nocks. Und doch. Es ist wahr. Amerika stand vor einer Zahlungsunfähigkeit. Man muss kein Wirtschaftswissenschaftler sein, um sich auszumalen, was das für die Märkte bedeutet hätte und vielleicht ja auch noch bedeuten wird.

Hungersnot in Afrika, Amerika Bankkrott. Irgendwie mag ich da nicht an einen Zufall glauben. Irgendwer hat hier die Hand im Spiel. Mao Tse Tung? Lenin? Che Guevera? Franz Josef Strauß? Es klingt so esoterisch, aber ich glaube, wir stehen vor einer Zeitenwende. Wenn wir die Probleme unserer Zeit nicht bald in den Griff bekommen werden, und dazu gehört vor allem die gerechte Verteilung der Besitzstände, dann neigt sich das Schiff ganz bedenklich zur Seite. Und ich kann dann mein iphone vielleicht nur noch dazu benutzen, um mir ein anständiges Feuerchen zu machen.