Tag 64, Donnerstag, 21.07.11
Ich hab gerade verrückte Eingebungen:
- Ein Klick auf Löschen und ich bin wieder annonym.
- Lympphom und so... wird mit einem Passwort belegt.
- Ich schreib kein Internet-Blog mehr, sondern ein Buch.
Wirklich verrrückt, was?
Hmmm...bin bisschen am Grübeln.
Selbstmitleid und Gelaber wurde mir hier vorgeworfen.
Okay. Ein bisschen tue ich mir wirklich selbst Leid, das gebe ich schon zu.
Macht halt Aua, der ganze Mist. Wenn ich aber erstmal mit dem Jammern so richtig los lege, dann ist Schlingensief noch harmlos dagegegen. Selbstmitleid? Davon hätte ich noch einiges auf Lager, ganz bestimmt.
Gelaber. Der Angeklagte erkennt sich schuldig. Ein Lehrer schreibt einen Blog. Was bitteschön soll da Anderes raus kommen als Gelaber. Hää???
Bin schon ein bisschen irritiert. Fundierte Kritik sieht anders aus.
Natürlich stellt sich generell die Frage, ist es richtig, mich hier in gewisser Weise zu entblösen und meine Psycho-Therapie für alle Welt öffentlich zu machen. Das kann man durchaus sehr zwiespältig diskutieren. Wäre ich unbefangen, würden mir bestimmt viele Argumente einfallen, die gegen so ein Vorgehen sprechen. Aber ich bin nicht auf der anderen Seite. Ich sag nur: Stiller lesen! Jeden Tag hab ich Zweifel daran, ob es richtig ist, was ich hier tue. Ob ich mich vielleicht doch nicht enfach löschen soll. Zack...und weg...Dann werde ich weiderrum von Vielen bestärkt, dass alles seinen Sinn hier hat, das alles richtig ist. Ich würde nie den Gläsernen Menschen propagieren, würde immer mich äußerst kritisch gegenüber so eine Gesellschaftsform äußern, aber die Krebserkrankung hat dazu geführt, dass ich nichts mehr zu verlieren habe, und dass ich das, was ich schon Jahre lang mit mir rum trage, endlch bearbeiten muss. Und es liegt in der Natur der Sache, dass ich erst als geheilt entlassen werden kann, wenn ich mir meine Haut abstreife und mich "gläsern" mache. Wer bin ich? Wenn ja, wie viele? Auf jeden Fall nicht der Alte. Auf jeden Fall nicht der, den ihr glaubt zu kennen. Ein Neuanfang. Nicht nur körperlich.
Die Schmerzgrenze der Entblösung liegt in der Verantwortung gegenüber meinem Umfeld. Sie müssen sich trotz allem auch gut fühlen bei dieser ganzen Geschichte. Deswegen ist es mir so wichtig, in irgendeiner Form Resonanz zu erhalten. Sie war überwiegend positiv. Hin und wieder zu Recht kritisch.
Der Tag mit Anna heute war hierfür sehr bedeutsam.
"Paps, durch deinen Blog komme ich besser mit der Situation zurecht. Bis jetzt habe ich noch nichts gelesen, wo ich sagen muss, was schreibt er denn da. Alles gut."
Das hat mich umgehauen!
Damit hätte ich nicht gerechnet.
Ich hatte regelrecht Angst davor, dieses Thema anzuschneiden.
Trotzdem. Ich muss die Tage mit mir in Klausur gehen. Muss mir bewusst machen, welche Konsequenzen das hier alles hat. Muss drüber nachdenken, ob ich wirklich will, dass jeder und das bestimmte Menschen, Zugriff auf meine innersten Gedanken haben, ihre Nase an meinem Leben platt drücken.
Dann ist aber auch ganz klar, es wird eine Zeit kommen, da schreib ich nur noch an meinem Marathon-Blog und sonst nichts.
Wenn ihr also die Tage auf Lyphom und so...klickt und es ist schwarz, dann bin ich nicht tot (keine Sorge, ich sterbe sowieso nie), sondern dann habe ich eine Entscheidung getroffen: für das Löschen, für das Passwort oder für das Buch.
Schwarz passt dann vielleicht auch, am Mittwoch beginnt nämlich mein 4. Zyklus.
Ich habe heute noch mehr von Anna gelernt.
Dass es in Amerika eine anerkannte Krankheit mit Namen Facebook-
Depression gibt.
Dass Freundinnen nicht auf Schwuchtel stehen.
Dass Freundinnen schon Facebook-Fasten gemacht haben.
Dass es ziemlich schräg ist, wenn man am Abend davor mit Leuten chattet, die dann am nächsten Tag nichts mehr von einem wissen wollen.
Dass Big Brother schon lange keine Zukunftsvision mehr ist. Wir beobachten und werden beobachtet - zu jeder Zeit.
Dass man nicht mit Händen verputzen sollte, sonst kann die Polizei keine Fingerabdrücke mehr nehmen.
Dass man niemals mit den Händen durch die Haare einer Friseurin gehen darf.
Dass auch Ratten ganz übel dran sein können.
Dass es Väter immer nur gut mit einem meinen und Mütter natürlich ganz besonders.
Dass das Urlaubsbuchen mit Freundinnen ganz schön anstrengend sein kann.
Dass man in "Moliets Plage" das Surfen erfunden hat und es dort auch ganz viele knackige Surfer gibt.
Dass man schnell buchen muss, sonst besteht die Gefahr in einem Ein-Mann-Zelt zu übernachten.
Dass Lehrer seltsam sind.
Dass Rückenmassage-Sessel eine ziemliche coole Erfindung sind und Rückenwirbel einrenken können.
Dass Töchter und Väter wahnsinnig anstrengend sein können, aber wunderbar sind.
Dass es nichts Schöneres gibt als mit seiner 18-jährigen Tochter am Cafe am Markt frühstücken zu gehen.