Tag 50, Donnerstag, 07.07.2011, Befundgespräch und
Tag 1 - Chemozyklus 3
Frau Dr. M. drückt mächtig auf die Euphorie-Bremse
Frau Dr. M. ist die Ärztin, die meine Heilung organisiert, in dem sie überwacht, kontrolliert und alles pflegt und hegt, was mir in meinem Kampf gegen den bösen Grafen Tumor hilfreich sein könnte. Ich mag Frau M. aus HD. Sie wirkt immer, als ob sie sich nicht so leicht von einem Lymphom ins Bockshorn jagen lässt. Man aber meinen könnte, dass sie gleich ein Windstoß aus dem Klinikfenster fegen würde, so karg ist ihr Knochenbau. Sie duldet keine Widerrede, auch nicht von einem elenden Grafen Tumor, bleibt aber dabei stets höflich und souverän. Und was Schnuri ganz besonders gefällt, ist ihr schlagfertiger Humor. Sie kann mit meiner Art, die Dinge zu sehen und zu kommentieren bestens umgehen, was nicht viele Menschen so uneingeschränkt können.
Tja, ein Loblied auf Dr. M., aber damit muss ich jetzt Schluss machen – heute mag ich diese knochige Elfe nicht besonders. Sie holt mich nämlich auf den Boden der Realität zurück. Es ist so, als würde während des Beischlafs die Schwiegermutter auf den AB sprechen. Ich eröffne das Gespräch, in dem ich kraftvoll, wie ein Geheilter eben spricht, sage, dass ich sie viel lieber als den barfüßigen Prof PET abgeknutscht hätte. Mein zweiter Satz wird der bedeutendste seit Beginn meiner Behandlung: Kann ich mit der Chemo jetzt aufhören? Was ich jetzt aus dem Mund meiner Schamanin höre ist wieder mal ein Zeichen für ihren spritzigen Humor, den ich so liebe. Nö, nö, dann entgeht mir vielleicht noch ein fetter Knutscher von ihnen, Herr Schnur. Machen Sie bloß weiter, tun Sie es für mich. Als sie das sagt, grinst Sie schelmisch. Knutscher hin oder her, ich bin enttäuscht, stürze ab. Obwohl mir gestern klar war, dass das unmöglich schon alles gewesen sein kann, trifft mich die Gewissheit nun doch sehr hart. Auf einmal wird mir bewusst, dass ich absolut keinen Bock mehr habe von weißen Damen Flüssigkeit zu bekommen, die ohne Medikamente normalerweise einen Elefanten umhauen. Muss ich alle Zyklen tatsächlich durchmachen? Alle 6 – womöglich 8. Gott erbarme! Nur der Sicherheit wegen? Früher war ich doch auch nicht der Sicherheitsapostel – Anschnallen in der Karre, ohne mich. Frau Dr. hc. M. gibt mir aber zu verstehen, dass sie auch noch nicht so recht den Plan hat, wann meine Behandlung abgeschlossen sein wird. Da meine Erkrankung so spezifisch sei, könne man sich nicht auf ein einheitliches Vorgehen festlegen. Das Hodgkin-Lymphom sei für mein Therapieprogramm maßgebend , 8 Zyklen seien angedacht, die man aber, wenn das zweite Staging (Nur CT, kein PET) positiv ausfallen würde, reduzieren könne. Die CT-Untersuchung findet somit nach dem 4. Zyklus statt. Dort wird dann geschaut, ob meine Lymphknoten wieder auf Normalgröße geschrumpft sind. Es arbeitet zwar nichts mehr in mir, aber dennoch sind die Dinger nur um die Hälfte kleiner geworden. Somit ist ein erneuter Ausbruch der Krankheit immer noch möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich. Noch zwei Zyklen. Noch zwei Zyklen bis es wieder ein großer Tag mehr in meinem Leben gibt. Wie viel große Tage kann ein Mensch eigentlich verkraften? Die letzten Monate bestehen nur aus großen Tage, so scheint mir: Diagnose Hodentumor, Operation, gutartig, Diagnose Hodgkin, Diagnose Non-Hodgkin, bösartig, Rückenmarkspunktion, kein Befall, PET usw. Irgendwann muss es doch auch mal gut sein mit diesen Scheiß großen Tagen. Ich will wieder unterrichten, meinem Leben Sinn geben. Ich hab’s doch begriffen. Ja, werde mein Leben ändern. Versprochen! Der Typ, der sich zur Aufgabe gemacht hat, mich völlig umzukrempeln, kann doch mal in den Urlaub fahren. Herrgottsack, Sakrament! Aus mir entweicht die Euphorie-Luft wie aus einem löchrigen Fahrradschlauch. Noch stecke ich den Kopf nicht in die Speichen. Hey, es läuft gut, sau gut! Was will ich eigentlich mehr? Die Nebenwirkungen der Medis beuteln mich zwar, machen aus einem Adler eine Krähe, aber die Krähe pickt noch. Und das ist doch auch schon mal was wert. Ich weiß nicht, ob ich das schaffe, sage ich zu Frau Dr. Humornudel und erschrecke mich selbst über die Worte, die ich da gerade von mir gegeben habe. Nun war die Nudel gar nicht mehr nudelich. Herr Schnur, jetzt hören Sie mal, ich hab sie jetzt ein bisschen kennengelernt, sie sind schon ein besonderes Früchtchen und das meine ich jetzt ganz ganz lieb. Sie haben ein absolutes Anti-Krebs-Gemüt. Da braucht’s schon mehr, um Sie in die Knie zu zwingen. Vor mir sitzen Patienten, die sind nach 4 Wochen der Diagnose tot. Und die sterben nicht an ihrem Krebs, sondern an ihrer destruktiven Gemütsverfassung. Für diese Menschen ist ein halbvolles Glas immer halbleer, egal wie toll das Getränk schmeckt. Sie kriegen das hin, das hab ich gleich bei unserem ersten Gespräch gespürt.
Man meint immer, tolle intelligente Leute, die haben viele Bücher gelesen, wissen viel, können zu allem Möglichen ihren Senf dazu geben, haben in der Schule immer geglänzt. Ein bisschen stimmt das wohl auch. Nein, die richtig Guten, haben Herz und Empathie, was oft genug viel wichtiger ist, so scheint es. Wie Herr Dr. M. (komisch auch M.) aus Bad Bergzabern, findet Miss Humor den richtigen Schalter bei mir. Sie haucht mir wieder Leben ein. Ich bin Ritter Schnuribold. Der tapferste aller Ritter. Pah! Sollen die mit mir doch 80 Chemos mit mir veranstalten. Das Zeug piss ich in die Tonne, wie das alkoholfreie Weizen von Welde.
Dann soll es so kommen, sprach er und konnte zum ersten Mal wieder lächeln. Er behält sich natürlich vor, nach dem 4. Zyklus vom Amt des Helden und Reichretters zurückzutreten. Klar. Man darf auch nicht vor einer Schamanin so leicht die Zügel aus der Hand geben.
Es ist zwar ein anderer Tag wie ich ihn mir vorgestellt habe, ich bin wieder auf Normalgröße gestutzt worden sozusagen, aber ich fühle mich nicht unbedingt schlecht dabei. Die Zuversicht ist doch schnell zurückgekehrt.
Draußen wartet Prinzessin Uteb auf mich und baut mich noch zusätzlich auf. Rittter Schnuribold ist schon eine Kampfmaschine, aber Prinzessin und Ritter gemeinsam als Team sind die Kampfbrummen aller Kampfbrummen dieser Welt. Mad Max und Catwomen in einer Person. Niederlage ausgeschlossen.
Die Schlacht gegen Graf Tumor geht also weiter. Wir hoffen, dass seine Schergen irgendwann doch noch die Weiße Fahne schwenken werden. Oder Massensuizid begehen. Hmmm...nette Visualisierungsvariante, wenn ich mir das so überlege. ;-)
Tag 1
Mund abwischen und weiter...
So gesehen ist es gar nicht schlecht, dass ich einfach ein paar Meter den Flur entlang die oben genannten Visualisierungsvariante einüben kann.
Harter Chemo-Tag, bollert, und das nicht zu knapp.
Mein Körper gewöhnt sich da nicht dran, auf keinen Fall.