Tag 49, Mittwoch, 06.07.2011

(einer meiner lebendigsten Tage seit meiner Geburt -

wenn nicht sogar der lebendigste Tag überhaupt)

 

PET / CT

Die Positronen-Emissions-Tomographie ist ein Verfahren der Nuklearmedizin, das Schnittbilder vom Körper erzeugt, indem es eine im radioaktive Substanz im Organismus sichtbar macht.

Premiere. Das erste Mal allein nach HD gedüst. Wieder was gelernt. Bei mir wird nicht einfach ein CT gemacht, sondern ein PET (siehe oben). Da ich von einem herkömmlichen CT ausgegangen bin, irre ich eine Weile durch die Katakomben der Kopfklinik. Dabei treffe ich eine sehr sehr sehr nette Klinik-Mitarbeiterin, die gar nicht auf den Kopf gefallen ist und sofort gecheckt hat, was sie für einen armen Patienten vor sich hat und begegne zwei Muffel-Mitarbeiterinnen, denen ein Sturz auf das Hirn vielleicht mal gut tun würde. Die Muffelhmerinnen haben gewirkt als hätten sie Rasierklingen verschluckt. Die eine sah aus wie Frau Mahlzahn aus der Augsburger Puppenkiste und die andere wie Jutta Ditfurth. Beide haben mir nur widerwillig Auskunft erteilt und mich wie ein kleiner Schuljunge aussehen lassen. Ich meine, die Chemo-Therapie hinterlässt hirnmäßig natürlich extreme Löcher, aber so als vollkommener Volldepp möchte man auch nicht gerade behandelt werden.

Muss wieder diverse Fragebögen zu meinem Gesundheitszustand ausfüllen. Welche Medikamente nehmen Sie ein? Platz: eine Zeile. Ey, geht’s noch, soll ich jetzt alle meine Pillen hier auflisten. Da brauch ich eine ganze Blankoseite für. Wenn man die Vorgehensweise bei dieser PET-Untersuchung liest (45 Minuten ruhig liegen), dann wird’s einem wieder mulmig zumute. 45 Minuten? Schaff‘ ich das? Ich kann ja unter dem vermaledeiten Cortison nicht mal 5 Minuten ruhig sitzen.

Werde vom Arzt aufgerufen. Er sticht mir meinen Port an, für Blut und das radioaktive Kontrastmittel, stellt mir die gleichen Fragen wie vom Fragebogen und klärt mich nochmal über das Prozedere auf. Der Doc, der aussieht wie ein klassischer Streber, formuliert präzise und arbeitet gewissenhaft. Er fragt mich sogar Privates („Macht Ihnen der Lehrer-Job Spaß?“) und scherzt mit mir über die fortschreitende Verblödung unserer Gesellschaft. Stellt mit mir gemeinsam die vielschichtige philosophische Frage: Sind wir da vielleicht nicht selbst dran schuld?

Schade, dass man Menschen, die einem bei der ersten Begegnung schon sehr sympathisch sind, so schnell wieder aus den Augen verliert.

Ich komme in den Ruheraum. Dort soll ich mich eine Stunde hinlegen und möglichst auch nicht bewegen, damit sich das Kontrastmittel in meinem Astralkörper gut verteilen kann. Das Ruhen fällt mir schwer, werde müde, döse vor mich hin und denke an Afrika, Schlingensief und Prinzessin Uteb. Während des ganzen Dösens und Denkens schlürf ich an einem langen dünnen Gummischlauch, der leider nicht in einer Tonne Sangria hängt, sondern in einer Wasserflasche mit irgendeiner atomaren Speziallösung, so stelle ich mir das zumindest vor. Ich soll mindestens ¾ Liter von diesem Zeug saufen. Halleluja, normalerweise ist das ein Klacks für mich (vor allem bei Sangria), aber so im Halbschlaf die ganze Zeit an einem Röhrchen nuckeln – schon etwas ungewöhnlich. Aber Schnuri ist schließlich von einem Preußen, der noch die Ausläufer der Kaiserzeit miterlebt hatte und Berufssoldat im Zweiten Weltkrieg war, erzogen worden, also macht er das, was man ihm befiehlt und macht sogar etwas mehr, indem er den verdammten Liter leernudelt. Bevor mir die Blase platzt, erschrickt mich ein Koloss von Krankenschwester. Sie stöpselt mich ab und Furcht kommt in mir auf, dass sie mir bei dem Vorgang irgendetwas brechen könnte. Sie hantiert dann doch zärtlicher als gedacht. Ich fantasiere, dass mich der Koloss von Rhodos gleich anschreit, ich solle endlich Haltung annehmen. Stattdessen lobt sie mich liebevoll in einem sexy Flüsterton: Ganz toll ham Sie das gemacht, Herr Schnur, ham die ganze Flasche fein ausgetrunken. Das griechische Weltwunder ist für mich somit noch ein wenig wunderlicher geworden. Mutter Theresa in der Gestalt einer knochenbrechenden Catcherin hat man auch nicht alle Tage.

Jetzt wird’s ernst. Zwei weitere Krankenschwestern schnallen mich sogleich auf eine Bahre, auf der man das Gefühl hat gleich in ein Krematorium geschleust zu werden. Warum ich meine Hose bis auf zur Kniekehle runterziehen soll, ist mir zwar ein Rätsel, aber ich mach’s halt etwas unbeholfen. Gucken, die vielleicht in ihrem abgeschotteten Glaskasten auf den Bildschirm und schrubbeln sich beim Anblick meines radioaktiven Penis einen runter? Manchmal hat man echt schräge Gedanken. Is ja wohl kein Wunder bei solchen schrägen Untersuchungen.

Nun werde ich in die Röhre geschoben, die keine Röhre ist, sondern für mich ein überdimensionierter durchbohrter Plastiksessel. Ich sehe über und unter mir natürliches Licht. Gott sei Dank! Beruhigt! Das MRT im März hatte mich psychisch ziemlich mitgenommen und ich bekomme seit dem einen akuten Schweißausbruch, wenn ich in irgendwas rein soll, in das ich gar nicht rein will. Alles gut! Und trotzdem erlebe ich wieder fast den Super-Gau. Hab nämlich vor lauter Gedanken über die Rose aus Athen vergessen, auf’s Klo zu gehen. (Ihr erinnert euch, die volle Blase von vorhin...) Ich bin so eine Schnarchnase. Panik! Erinnerung! Auf dem OP-Tisch, als mir mein Power-Port gelegt wurde, ist mir damals mein Unterleib fast flöten gegangen. Kurz vor der Super-Nova, reichte man mir dann doch noch die Flaschen (eine reichte nicht). Jetzt hier gefangen in dem Plastiksessel, ohne Kontakt zur Außenwelt. Hilfeeee!!!! Visualisierung ist gefragt. Ich muss visualisieren gleich auf ein Hightech-Klosett im Wert von 150 Mio Euro zu strullern und es gleichzeitig es doch nicht zu wagen. Jede weitere Minute stoße ich noch ein bisschen mehr an meine Visulisierungsgrenze. Kurzer Anflug von Mission Impossible: Plan, mich in diesem Ein-Mann-Flug-Gerät von der Liege kopfüber abzuseilen und mich ins weite urinale Weltall katapultieren zu lassen. Plan verworfen, leider! Grausam, grausamer, am grausamsten...das Gefühl, jede Millisekunde gleich in den Schlüpfer machen zu müssen. Die Blase schwillt, pocht, hämmert, so laut, dass ich die Atemanweisungen überhöre und einen Anschiss dafür kassiere. Na, herzlichen Dank! Ich will hier raus, ihr verdammten Medizinärsche. Pinkeln, pinkeln, pinkeln!!! Bevor ich für einen noch nie dagewesenen Eklat in der Geschichte der Uni-Klinik Heidelberg sorgen kann (sehe schon die BILD-Überschrift: Mann schifft ins PET – der teuerste Schlafplatz der Welt!), werde ich aus dem WC, das leider keins war, rausgeschoben und abgeschnallt. Geht’s Ihnen gut, Herr Schnur? Ich antworte nicht, sondern stolpere ohne Schuhe und mit halb herunter gelassenen Hose in den Flur, schaue mich wie ein tollwütiger Hund um, wo das blöd Patientenklo ist, verliere meine Hose fast komplett, in dem ich die Klinke, des wunderbarsten Zimmers meines Lebens herunterdrücke. Oh Herrgott im Himmel, ich habe noch nie etwas Schöneres gesehen, wie dieses anmutig glänzende Urinal. Pissen...pissen...pissen!!! Ich weiß, ihr findet dieses Wort abstoßend und eklig, aber in diesem Raum, zu dieser Zeit und nach meinem Martyrium auf der Bahre im Hightech-Plastik-Sessel, ist dieses Wort „pissen“ mit einem Heiratsantrag vergleichbar, den man seiner Liebsten auf dem Himalaya macht. Ich bringe ja Leute gern zum Lachen, ist ja auch schließlich mein Beruf, doch als sich alle Weißkittel, Todgeweihten, Hausmeister und Elektriker bei meinem Anblick halb schlapp gelacht haben, fand ich das gar nicht lustig. Ehrlich!

Prof. PET rettet mich vor jeder weiteren Peinlichkeit und holt mich persönlich aus dem Wartezimmer. Ich entnehme seinem Grinsen, dass er bereits über seinen Piss-Patienten Bescheid weiß. Ich bin also der Typ, der so doof ist und fast sein kostbarstes Stück unter Urin gesetzt hätte. Wenn ich das tatsächlich getan hätte, dann hätte er wohl nicht mehr so gegrinst wie Homer Simpson.

Trotz debilem Grinsen ist Prof. Simpson extrem cool! Unmittelbar nachdem wir sein Büro betreten, pfeffert er seine Birkenstock unter den Mahagoni-Schreibtisch und läuft barfuß durch seine Gemächer. Ich war nicht nur von seinen Riesen-Zehen beeindruckt, sondern auch von dem Riesen-Apple-Bildschirm und dem größten Apple-Laptop auf seinem Arbeitsplatz. Nun durfte ich mir viele PC-Bilder anschauen (worauf ich tatsächlich meinen bunt verstrahlten Schwanz sehen konnte) und einen viertelstündigen Vortrag (über Glucose, rote Normalitäten, PET, CAD und BAD) anhören.

Ihr müsst wissen, ich war völlig überrascht, diesen sonderbaren, aber kompetenten Professor zu Gesicht zu bekommen, geschweige denn heute eine nuklearmedizinische Vorlesung zu erhalten. Ich saß da, schwieg, starr wie eine Statue, schaute klug, war aber strunz doof, fragte wissend, hatte aber null Peilung. Was war hier los? Ich dachte, morgen ist doch erst mein großer Tag. Ich sollte mich getäuscht haben. Der Typ hat diese eine gute Nachricht sowas von ausgekostet, als hätte er einen Orgasmus raus gezögert – der Schuft!

Herr Schnur, sehen Sie da rot?

Äh, nö! (Ich hoffe, ich bin jetzt nicht durch das Semester gefallen.)

Es ist gut, dass Sie da nichts sehen. Sehr gut!

Aha! (Doch nicht durchgefallen, aber vielleicht bald tot?)

Es ist keine Tumoraktivität mehr zu sehen.

Upps! (Nicht tot – quietsch lebendig?)

Herr Schnur, sie dürfen sich ein wenig freuen!

Äh, ja? Wie jetzt? Kein Krebs mehr?

Das PET zeigt zumindest keine tumorartige Aktivität.

 

Diesmal platzt mir nicht fast die Blase, sondern fast die Tränendrüse. Bevor das passiert, knutsche ich Prof. Dr. CT PET die heiligen Zehen und wanke konsterniert aus der Kathedrale der Glückseligkeit. Hüpfe durch die Toren wie ein Krüppel, der plötzlich wieder wie durch ein Wunder laufen, sehen und hören kann. Murmle dabei die ganze Zeit mehr verwundert als glücklich: Ich bin geheilt...geheilt...geheilt!!! Fange während des Hüpfens und Mumelns so hysterisch an zu flennen, dass mir unterwegs die Puste ausgeht und ich mich an eine Wand lehnen muss. So als Häufchen Elend bin ich trotzdem unendlich froh, dass es das Schicksal so gewollt hat, dass ich diesen erhebenden Augenblick für mich alleine genießen kann (und mich vor allem bei der unansehnlichen Rotzerei niemand live miterleben muss).

Dieser Tag ist vergleichbar mit

...der Geburt von meiner Tochter Anna

...mit der ersten Fahrt als Lehrer zu meiner Dienststelle in Wörth

...mit dem Gewinn der Stuttgarter Jugend-Bezirksmeisterschaft im Tischtennis.

Ich lebe und werde das voraussichtlich noch einige Zeit weiterhin tun. Nichts, aber auch rein gar nichts verlief in den letzten Monaten normal in meinem Leben. Nun erhalte ich womöglich wieder eine Chance auf Normalität. Völlig überwältigt von den Emotionen habe ich dann einige Anrufe getätigt und mein Glück in verschlafene Ohren und auf digitale Aufzeichnungsgeräte posaunt. Hey, kann euch beruhigen, das was ihr für einen Anruf von einem Alien gehalten oder als technischen Fehler interpretiert habt, war bloß der kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehende Schnuri.

 

Ritter Schnuribold hat den Grafen Tumor vernichtet!

Es lebe die Kraft der Visualisierung!

 

 

 

 

Ach, fast hätte ich's vergessen.

 

Danke an alle für's Daumendrücken!

 

;-)