Tag 39, Sonntag, 26.06.2011,

(Tag 12, Aplasie - Chemo-Zyklus, 2. Runde)

Die Berliner Philarmoniker in der Waldbühne. Wäre ich nicht alleine, wäre nicht mit Decortin gedoped, hätte ich mir doch glatt dieses wunderschöne Konzert "Die Nacht der Liebe" heute Morgen (ich bin wirklich krank, 08.45 Uhr!) auf SWR entgehen lassen.

So einfach und schmucklos kann das zufriedene Leben eines Krebskranken aussehen.

Wie Alt und Jung dort nebeneinander auf dem Rasen hocken, der grandiosen Musik von Strauss, Mussorgsky und Wagner lauschen und völlig beseelt dreinblicken, so schön! Braucht man da einen Gottesdienst, braucht man da Gott? Wenn wir uns besinnen, sind wir alle Gott, ganz besonders in solchen Momenten. Sorry, mein lieber James Hetfield, unser Metal-God, bei Rock am Ring sehe ich da niemand so beseelt, höchstens  er steht am Zaun und pinkelt. Und Laola auf der VIP-Lounge, unvorstellbar. Wer sind hier die Spießer, fragt man sich. So sieht das würdige Altern aus: Lieber auf dem Heizkissen in der Waldbühne als auf ner Urinlache am Ring. Nimm's mir bitte nicht krumm, und einen schönen Sonntag noch, Sir James!

Uiiiiiii...uiiiii.uiiiiiii...guckt euch diesen Ausschnitt an!

Robert Stadlober über seinen neuen Film "Der Mann über Autos sprang" (Achtung: Hat nix mit dem Wetten-Dass-Typ zu tun).

Ein Film für uns alle...vor allem für Parkplatzsucher, Roy, mich und alle anderen Visualisierungsfreunde. Die Storry des Films, der absolute Hammer. Aber ich verrate nix - ne, ne...nur so viel: die Zeitenwende hat auch im Kino begonnen.

Da gehe ich rein, wer geht mit?

 

 

Heute Mittag kam mir bei Rührei und Pflaumenmusbrot folgende genialer Gedanke:

 

Schaut euch die Narben der anderen an,

dann werden auch

eure eigenen Wunden geheilt!

 

Beuys und Schlingensief umgedreht, das ist dann Schnur.

 

Wow, das gefällt mir.

Von Bärten und Mündern

 

Der Bart. Mann! Das macht doch einen Mann überhaupt erst männlich. Der morgendliche Griff ins Gesicht, die Feststellung, wow, ich bin ein Kerl. Hart, kratzig, und so verdammt sexy. Der Bart. Schafft Identität, erhöht das Selbstwertgefühl, verleiht uns den Unterschied. Mein Bart. Ich habe ihn geliebt, ja verehrt. Gehegt, gepflegt, liebkost.

Mein Bart - er wächst nicht mehr. Nix. Null. Nothing. Glatt wie ein Poolboden.

Männer, könnt ihr euch vorstellen, heute, morgen, übermorgen usw. in eure Feige zu greifen, ...und... nix, gar nix, und das alles ohne Rasur. Für manche ein Traum, für mich ein täglicher Horrortrip. Der Bart. Mein Bart. Er ist tot. Mausetot. Es gibt Sachen an dem Krebs, die gefallen mir ganz und gar nicht. 

 

Der Mund. Unser tägliches Werkzeug. Benutzen ihn, jeden Tag, für Speis und Sprache. Die Wichtigkeit des Mundes wird einem erst bewusst, wenn er streikt, klebt, trocken und geschwollen, er mit  Pusteln und Eiterpickeln übersät ist. Einen schönen Mund will man gern küssen. Den Mund eines Nielpferdes nicht. Der Mund, nie erschien er mir bedeutender als heute.

Simplify your life. Jeder will es, keiner macht's. Auch eine Möglichkeit den Sonntag zu verbringen.

Weg mit dem Scheiß. So viel ist kaputt, oder überhaupt nicht in Betrieb.

Man meint stets, man bräuchte es irgendwann nochmal. Und dann hält man es nach zig Jahren wieder in den Händen und ist verblüfft, dass man dieses Ding immer noch besitzt. Ich glaube, ich muss aufpassen, nicht in einen Wegwerf-Wahn zu verfallen. Ein Test: wieviel Schreibgeräte besitzt ihr? Mit wievielen schreibt ihr? Na? Ist das Verhältnis zehn zu eins, dann: simplify your life! Aber hurtig!

 

Ich dachte, dass Coldplay-Konzert auf Rock am Ring ist nicht zu toppen.

Doch - von Coldplay selbst, nämllich auf dem Glastonbury-Festival.

Was für eine Stimmung, was für ein Mega-Musik-Erlebnis. Das liegt wohl daran, dass die Engländer die Texte in und auswendig kennen und ein Volk von Barden sind. Coldplay und U2 auf einem Festival. Das raubt mir die Sinne. Chris Martin, was für ein Vollblut-Musiker. Spielt alles, singt alles, haut auf die Tasten wie Louis de Funes, und das 2 Stunden lang. ZDF-Kultur macht's möglich. Das ist der beste Sender seit der Erfindung des TV. Allein dieses Konzert hat mindestens für 2000 neue Leukozyten gesorgt. Fix you! Verdammt!

 

Die Frage "Wann darfst du wieder raus?" von diversen Töchtern und Mitleidenden könnte im Prinzip eine leichte Depression bei mir auslösen und mich doch mal zum Nachdenken bringen. Bin ich im Knast? Lebe ich wie Udo auf einer Insel? Schnupper ich noch einmal Waldluft, bevor ich Elvis begegne? Aber nein, ganz ruhig, euer Schnuri ist stabil wie eh und je, und ich visualisere mir einfach ein Strandhäuschen in Phuket herbei - weit ab vom Massentourismus. Das kann auch einsam und schön sein, wie bei mir im Haus 46.

 

So, jetzt habt ihr endlich ein bisschen Ruhe vor mir.

Abendmampf, die Polizei ruft und massenweise Bügelwäsche sind in den nächsten  2 Stunden die zentralen Themen meines Lebens. Ein ganz normaler Sonntagabend also. 

 

 

 

 

 

 

Was für ein Ende eines recht relaxten Aplasie-Tages: Unser aller Lieblingsband (okay, nur alle, die in ihrem Leben mal lange Schulter lange Haare gehabt haben, zwischen 1965 und 1974 auf die Welt gekommen sind und einen Pimmel von Natur aus besitzen): Them Croocked Vultures. Die auch auf dem Glanstonbury-Festival spielten. Echt das Hit-Festival. 150 000 Menschen.  Im Vergleich: Rock am Ring sind's 80 000.

Heute Morgen mit Klassik beseelt. Jetzt mit viel viel Gitarren-Rock in der Birne. Schlof, oh Schlof...