Tag 36, 23. 06.2011, Donnerstag (Tag 9 - Chemo-Zyklus, 2. Runde)

 

 

War früh wach. Das Hirn entspannt nicht unbedingt dann, wenn ich es will.

Endlich habe ich mich an den schon Wochen daliegenden neuen Roman von Philip Roth festgelesen. Wieder ein Meisterwerk! Ein wunderbarer Schriftsteller. Man müsste ihm endlch den Nobelpreis verleihen, für den er schon lange von der Kritik vorgeschlagen wird.

Es gibt keine Zufälle. Nein, die gibt es nicht mehr in meinem Leben.

Diese wunderbare Geschichte um den Lehrer Cantor und seinen Kampf gegen die in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts vorherrschende Polio-Epidemie ist wohl auch wieder so ein Zeichen. Dieses Buch hatte ich noch vor meiner Diagnose gekauft gehabt. Und viele Dinge scheinen sich in diesem Roman für mich wie von Geisterhand zusammenzufügen. 

„Zwölf Jahre hat Gott uns mit Alan Avram Michaels gesegnet“, sagte sein Onkel Isadore und lächelte tapfer. „ Er hat mich gesegnet mit einem Neffen, den ich vom Tag seiner Geburt an von Herzen geliebt habe, als wäre er mein eigenes Kind. Jeden Tag kam Alan auf dem Heimweg von der Schule in mein Geschäft, setzte sich an die Theke und bestellte eine kalte Malzschokolade. Als er in die Schule kam, war er dünn wie ein Fädchen, und ich wollte ihn etwas auffüttern; wenn ich gerade keinen Kunden hatte, machte ich die Malzschokolade selbst und tat eine Extraportion Malz hinein, damit er Fleisch auf die Knochen bekam und groß und stark wurde. Es wurde zu einem Ritual und ging Jahr um Jahr so. Und wie ich die Besuche meines wunderbaren Neffen genoss!“

Er musste einen Augenblick innehalten, um sich zu fassen. „Alan“, fuhr er fort, „kannte sich aus mit tropischen Fischen. Er wusste wie ein Fachmann, was man bei den verschiedenen Arten von Fischen zu beachten hatte. Und es gab nichts Spannenderes, als ihn zu besuchen, mit ihm vor dem Aquarium zu sitzen und ihm zuzuhören, wenn er einem alles über jeden einzelnen Fisch erklärte, wie sie sich vermehrten und so weiter. Man konnte eine Stunde mit ihm da sitzen, und noch immer war sein Wissen nicht erschöpft. Wenn man mit Alan zusammen war, hatte man gute Laune und ein Lächeln auf dem Gesicht und obendrein noch etwas gelernt. Wie hat das nur gemacht? Wie konnte dieses Kind für uns Erwachsene so viel zu tun? Was war Alans Geheimnis? Sein Geheimnis war, dass er jeden Tag lebte, dass er in allem ein Wunder sah und sich über alles freute – ob es jetzt die Malzschokolade nach der Schule war oder ob es seine tropischen Fische waren, oder das, was er in der Schule gerade gelernt hatte, oder all die Sportarten, für die er so begabt war, oder die Arbeit an seinem Siegesgarten. Alan hat in seinen zwölf Jahren mehr Freude erfahren als die meisten in einem langen Leben. Und er hat anderen mehr Freude bereitet als die meisten in einem langen Leben. Alans Leben ist zu Ende gegangen...“

Hier musste er abermals innehalten, und als er fortfuhr, war seine Stimme belegt, und in seinen Augen standen Tränen.

„Alans Leben ist zu Ende gegangen“, wiederholte er, „doch in unserem Kummer sollten wir uns ins Bewusstsein rufen, dass es für ihn zeit seines Lebens endlos war. Jeder Tag war endlos, weil Alan so neugierig war. Jeder Tag war endlos, weil Alan so scharfsinnig war. Er war sein Leben lang ein Kind, ein glückliches Kind, und alles, was er getan hat, hat er mit Leib und Seele getan. Es gibt auf dieser Welt weit schlimmere Schicksale.“

 

Tja, an dieser Stelle wollte ich eigentlich erklären, warum mir diese Rede so wichtig ist. Aber ich denke, die Zeilen sprechen für sich.

 

Lasst jeden Tag endlos erscheinen!

Mal was Anderes: ein Ausflugstipp.

Das Landrestaurant Burweiler Mühle im Modenbacher Tal. Wunderschön!

Der Slogan: ein Stück vom Paradies, könnte nicht besser gewählt sein.

Wunderschöne Atmosphäre im Garten mit Teichanlage (sehr romantisch!), tolle Küche, nette Bedienung. Und wenn ihr euch beeilt, könnt ihr noch in der Umgebung massenweise leckere Kirschen vom Baum runter mampfen.

Eichhörnchen, Gänse, Pferde, Wildschweine, Rehe, alles kann man dort auf dem Waldweg sehen. Also für unsere Kleinsten auch ein Paradies!

Leider konnte ich keine lange Wanderung machen.

Meine Pumpe macht das nicht mit. Die ganzen Medikamente gehen sowas auf die Kondition. Bin langsam wie eine Schneckennudel und muss ständig pausieren. Schon Schuhe binden, ist ein Problem. Komm mir vor, als hätte ich 10 Joints geraucht, 5 Trips geworfen und 4 Flaschen Dornfelder im Blut.

Für manche klingt das toll; ich würde so einen Zustand nicht unbedingt empfehlen.

Meine Frisur sitzt wieder. Langsam find ich meine Glatze richtig sexy.

Vor allem die Glatzenmassage ist äußerst prickelnd, klar wenn sie von einer sehr einfühlsamen Prinzessin vorgenommen wird. Bitte um baldige Wiederholung! :-)