Tag 29, Donnerstag, 16.06.2011 (Tag 2 - Chemo-Zyklus, 2. Runde)

 

Die Nacht war bescheiden. Siehe den gestrigen Eintrag. Hab mich heute Morgen gefühlt als hätte mich eine A380 überrollt und das mehrmals. Um die Augen hatte ich fette schwarze Augenringe. Wenn ich lebend schon so beschissen aussehe, wie sehe ich dann erst tot aus? Nix mit Mr. Willis, eher Meister Popper auf Überdosis Decortin. Attraktiv ist anders.

Nach dem Packen in Zeitlumpentempo klopfte ich ganz zart bei Master Schlemensch an die Tür. Ei der Daus, der war ja schon quietsch fidel. War ja schließlich schon um 22.00 Uhr im Bett. Der Holundersekt hat noch nachgebeamt, hihihi...

Brumm...brumm...brumm...und schon waren wir im Klinikum. Wenn ich nicht durch die horrenden Arztrechnungen Bankrott gehe, dann durch den Evel Knievel der Südpfalz. Der bläst vielleicht Benzin durch seinen Fahrstil in die Atmosphäre. Aber man kann nicht sagen, dass wir bis jetzt eine Minute unpünktlich gewesen wären. Hat auch was!

Die Raserei ging in der Tagesklinik gerade so weiter. Kam – überraschenderweise – sofort dran. War dann auch schon nach einer dreiviertel Stunde abgestöpselt. So schnell konnte ich die Visualisierungs-CD gar nicht laden wie mein Etoposid leer war. Judy Winter war auch wieder da, aber Gott sei Dank am anderen Ende des Saals, so musste ich ihre Liege nicht sabbotieren und ein bisschen Daniel Düsentrieb spielen. Noch Blutabnahme und schwuppdiwupp war ich um 10.30 bereits fix und fertig zur Abreise bereit. Theoretisch. Praktisch musste ich noch ca. 5 Stunden ausharren. Bzw. harre immer noch aus. Warte auf Kollegin Mici, die mich heute unbedingt mal fahren wollte. Ja, ja, sie will bestimmt nur zu meiner Heiler-Party eingeladen werden. ;-)

Frösche geguckt, 2. Frühstück eingenommen, zu Mittag gegessen (Riesen Eimer Omas Kartoffelsuppe für 2,50 €. Die Klinik ist wie für Schwaben gemacht.) In der Uni-Klinik kann ich das Patienten-Netzwerk nutzen. Das habe ich bis zur Stunde auch reichlich getan. Außerdem noch die Krankenkasse wieder mal Rund gemacht. Bekam am Telefon die Antwort: „Entschuldigen Sie Herr Schnur, wir machen gerade so viele Überstunden.“ Wir würde das ja alles nichts ausmachen, normalerweise hat man 4 Wochen Zeit die Rechnungen zu begleichen, ca. 3 Wochen braucht die Krankenkasse um mir 50 % von den Kosten zu überweisen. Wenn ich aber am Samstag schon wieder ein Rezept über 2800 Euro einlösen muss, dann muss ich mein armes Sparschwein schlachten. Und ich bin doch Vegetarier, Mann! Das alles kostet Stunde um Stunde. Wenn ich jetzt noch ca. 2-8 Jahre lebe, wie es so in mancher Literatur prognostiziert wird, dann habe ich auch 50 % Lebenszeit damit vergeudet, mich mit Behörden rumzuschlagen und Rechnungen einzureichen. Die ganzen Listen von Arztrechnungen zu erstellen, den Überblick zu behalten, was ich von wem jetzt schon bezahlt bekommen habe. Das stresst mich ehrlich gesagt am meisten. Ich gebäre zwar locker mal 6000 Leukos am Tag allein durch die Kraft der Vorstellung, aber mit einem einzigen Telefonat mit der bekloppten Krankenkasse hab ich auch schon wieder mindestens 8000 verloren. Sollte die auf Leuko-Schadenersatz verklagen. Bin dann noch ab und an weggenickt vor Müdigkeit. Etoposid ballert einen echt auch ganz gut weg. Aber hab mich immer wieder gezwungen, was geregelt zu kriegen. Wie z.B. auch diesen Blog-Eintrag. Uuuups, das Telefon klingelt gerade...Mici, irrt noch umher. Muss einpacken und zum Zoo rüber. Dort ist Treffpunkt. Fortsetzung folgt...

Hier sitze ich, wenn ich auf meine Taxis warte. Wie in alten Studentenzeiten.

Und noch besser: die Bibliothek liegt direkt gegenüber der Tagesklinik. Kann mich also von der Infusion direkt zum "Nobel-Warteraum" schleppen.

 

 

 

..Miss Mici irrte dann nicht mehr umher und fand mich doch noch. Die Fahrt heimwärts war lustig, war gar nicht mehr so gerädert wie gestern. Viele neue Infos und einen regen Austausch über dies und das. Vor allem das Das war ziemlich interessant. Aber noch Pssst darüber, das bekommt ihr erst zu lesen, wenn aus diesem Blog ein Buch hervorgeht. ;-)

Ein dicker fetter Ast in HD hätte uns fast noch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Durch diese Begebenheit wurde mir aber Schlagartig bewusst, dass man mit mir wohl in Zukunft nicht mehr ganz unbefangen umgehen kann, da man natürlich gleich denkt: Oh Shit, der Schnur schreibt das ja bestimmt in seinem Blog! Aber ich kann euch versprechen, wenn ihr irgendwas hier nicht über euch drin stehen haben möchtet, dann schnell eine Email an mich und wischwaschwusch, alles wird flux von mir bereinigt.

Außerdem: So richtig Schlimmes hab ich jetzt doch echt noch nicht geschrieben, oder? Die mich kennen, wissen, ich kann auch anders. ;-)

Zum Ast zurück. Muss schon sagen, ohne meinen Krebs würde mir so manche amüsante Begebenheit entgehen.

Da ich total geschwächt von der Chemo war, und mich total ausruhen musste, hatte ich natürlich ein total schlechtes Gewissen, dass Miss Mici unter ihr Auto krabbelte und sich einen abröhrte wie nen Elch, diesen blöden Ast zwischen den Achsen rauszubaldowern. Was für ein herrlicher Anblick: meine zukünftige Chefin so aufm Heidelberger Highway mit Po Richtung Himmel vor mir rumzukrabbeln zu sehen.

Na, was glaubt ihr wohl was Miss Mici, dann wohl zu mir sagte, als sie Schweiß gebadet wieder am Steuer saß? Na? Hihihi...

Nachmittags und abends ruhte ich mich dann von den Strapazen des Vormittags aus und versuchte nicht an die noch ausstehende Kohle von der Herr-Schnur-wir-machen-gerade-soooo-viele-Stunden-Krankenkasse zu denken. Was mir nicht so wirklich gelang.