Tag 21, Mittwoch, 08.06.2011
Tja, da bin ich wieder. Habt ihr mich schon vermisst? Mir kam die Tage zu Ohren, dass für einige von euch das Lesen meines Blogs zum täglichen Ritual geworden ist. Eine Dame aus Neupoz soll mich sogar seit dem richtig sympathisch finden. War ich vorher ein Arsch oder wie? ;-)
388 Besucher hatte mein Blog im Monat Mai. Diese Zahl macht mich richtig demütig.
Das Schreiben gehört mittlerweile genauso zu meinem Heilungsprojekt wie der tägliche Gemüsetrunk, das Absolvieren von Meditations- und Visualisierungsübungen und das ein-minütige Gurgeln mit der Mundspülung nach jeder Mahlzeit.
Ich bekomme sehr schöne Mails, die mich motivieren weiterzumachen. Das was ich hier so verzapfe, scheint tatsächlich einige zum Schmunzeln und zum Nachdenken zu bringen. Die schönste Passage aus so einer Motivationsmail möchte ich an dieser Stelle veröffentlichen:
"Ich lese immer fleißig deinen Blog. Der gibt mir total viel! Man sollte ja meinen du bist der Kranke, der umsorgt werden muss, aber irgendwie ist es eher umgekehrt. Du tust mir total gut!"
Das geht runter wie Öl und ist bestimmt verantworltlich dafür, dass auch ein paar von diesen heimtückischen Tumor-Biestern über den Jordan gehen werden.
Danke!
Keine Frage, das Internet bietet viel Anlass zu Kritik, aber in manchen Bereichen ist es geradezu ein Segen für die Menschheit, ein Segen für mich. Es ermöglicht, dass Krankheit nicht mehr anonym stattfinden muss. Es ermöglicht, dass Leidensgenossen sich austauschen, sich Mut zusprechen können. (Ich stehe z.B. in Kontakt mit meinen Bettnachbarn aus dem Krankenhaus). Es ermöglicht, die auch durch die Krankheit wiederbelebte Kreativität komplett auszuleben. Und es ermöglicht, dass chinesische Koryphäen an ihrem Sprachfehler arbeiten können. :-)
Ich habe bewusst mich dafür entschieden, die Internetadresse nicht in den sozialen Netzwerken zu erwähnen. Der Link zu meinem Blog wurde von mir nur einer Handvoll Menschen weitergegeben. Ich finde es schön, wenn die Mund-zu-Mund-Propaganda dazu führt, dass vielleicht ein paar Leser noch dazu kommen werden.
Nun, der hinter mir liegende Tag.
Es ist 00.56 Uhr. Ich höre Prof. Ho regelrecht sagen: "Hell Schnul, gal nich gut, so lange am Schleibtisch zu sitzen, Klebspatient muss flüh ins BettiBetti gehen."
Liebel Prof Ho, ich war heute sehl blav und habe mil das veldient.
Nach einem Anti-Krebs-Müsli waren wieder meine Arztrechnungen dran.
Mittlerweile drullern auch ein paar Rückerstattungen auf meinem Konto ein.
Somit kann ich mir die Neulasta-Spritze (ihr erinnert euch: das 1700 Euro-Ding) im zweiten Zyklus wieder leisten. Meine Leukozyten werden es mir danken.
Ich wollte heute eigentlich nach Mannheim fahren zu einem Patienten-Treffen mit Arztvortrag. Irgenwie hab ich das heute nicht auf die Reihe bekommen. Ein leckeres Mittagsmahl (Kartoffelpuffer mit Lachs und Spargel) machte mich kurzzeitig zu einem Phlegmatiker. Diese Rolle legte ich aber dann relativ schnell wieder ab. Bald stapfte Schnuri, der Wandersmann, doch noch durch den schönen Pfälzer Wald.
Leute, wenn ihr keine Gelegenheit bis jetzt hattet, dieses Dörfchen aufzusuchen, dann ist das sehr sehr schade. Oh, wie schön ist Elmstein! (liegt zwischen Neustadt und Johanniskreuz).
Das Elmsteiner Tal, die Cinque Terre der Pfalz.
Bei einem Bäcker im Ort müsst ihr die winzigen kleinen Treppen hoch und fühlt euch bald wie in Italien.
Der Rundweg auf der Höhe des Waldgebietes bietet permanent eine fantastische Sicht über das ganze Tal. In einen wunderschön gelegenen Badeweiher kann man seine heißen Wandertreter sogar ein bisschen abkühlen. Für Bier und Tüte spreche ich speziell die Empfehlung aus, ein Teechen vom viel gesichteten Fingerhut zu köcheln. Da biste dann so richtig haustürenbreit und siehst 10 Meter große Gummibärchen auf dich zustampfen, mein Lieber.
Es gibt nichts Schöneres mehr für mich, als in der Natur unterwegs zu sein.
Na ja, Glatzegraulen, Armhäarchenzupfen von Prinzessin Uteb und ein Sieg bei Kniffel vielleicht noch. ;-)
Hier ein paar Bilder von meinem Trip de Elmstein.
Glücklich-erschöpft bin ich dann zuhause mitsamt den Wanderschuhen vornüber ins Bett gekippt und war sage und schreibe sechs Stunden im Reich der Roten-Beete unterwegs.
Oh Mann, sowas ist mir schon lange nicht mehr passiert. Habe den Abholungstermin von Ronny völlig versemmelt. Bin eigentlich in solchen Dingen sehr zuverlässig. Aber das Rote-Beete-Volk hat mich einfach nicht in die Real-Welt zurückgelassen. Die wollte unbedingt, dass ich ihnen ein paar Visualisierungstricks zeige. Sorry Ronny! Ich koch dir morgen eine Hafer-Schleim-Suppe, versprochen!
Im Wald hatte ich Zeit über so manches nachzudenken.
Das Thema Freundschaft hat mich hier wieder mal sehr beschäftigt.
Wahrscheinlich, weil ich auch gestern Post von einem "Ex-Freund" aus Kirgisien erhalten habe.
Freundschaft? Was ist das überhaupt? Was bedeutet Freundschaft für mich?
Ein römischer Philosoph und Lehrer schrieb einmal in seinen berühmten Briefen an einen Freund:
Freundschaft ist der Quell aus dem die Seele trinkt. Wahre Freundschaft stirbt niemals. Freundschaft ist eine Pflanze und braucht ständig Wasser und Sonne, um zu gedeihen.
Was wäre ich ohne meine Freunde. Meine Ursprungsfamilie ist ein Trümmerhaufen. Nein, nicht ganz, ich habe einen Bruder und eine Nichte, von denen ich weiß, dass sie oft an mich denken.
Ohne Freunde bin ich ein nichts. Ohne Freunde wüde ich meinen Krebs nicht überleben, das ist gewiss!
Aber ab wann darf sich jemand als Freund überhaupt bezeichnen?
Wann darf man sagen, dieser oder jener ist mein Freund?
Ja, wahres tiefes Interesse muss da gegeben sein. Interesse, den anderen verstehen zu wollen. Die Perspektive zu wechseln, sollte nicht nur als Wunsch vorhanden sein. Freunschaft ist, sich in einem ständigen Austausch von Fragen und Antworten zu befinden. Das Gefühl zu haben, es fehlt etwas, wenn dieser Austausch für eine gewisse Zeit abhanden kommt.
Ein Freund ist nicht Ich-zentriert, spricht nicht andauernd vom Ich, sondern hat das Du im Sinn; kreist nicht permanent um seine Geschichten, sondern hört wach und konzentriert zu und stellt Fragen. Fragen, Fragen, Fragen. Ein Freund muss kein Mitleid zeigen, aber Mitgefühl, Anteilnahme. Ein Freund nimmt sich zurück, stellt seine Person erstmal in den Hintergrund. Ein Freund darf sein, wie er ist, darf sagen, was ihn bewegt, darf Fehler begehen, die sonst keiner macht. Warum? Weil er den Status des Freundes erlangt hat. Da gibt es kein zurück.
Ein Freund lässt alles stehen und liegen, nur um einfach da zu sein. Das Wissen um diesen Umstand, gibt einem die Kraft, die man benötigt, um alle Unwegbarkeiten zu überwinden. Freundschaft ist vielleicht stärker als Liebe. Liebe braucht die Bedingung, die Erwartung. Freundschaft existiert unabhängig von all dem.
Wenn man sie nicht geben kann, und selbst nicht in der Lage ist, Freundschaft zu erkennen, dann ist sie eben nicht vorhanden. Dann ist sie nur eine x-belibige oberflächliche Begegnung mit der Intention der gegenseitigen Bespaßung.
Wenn man nicht fähig dazu war, über Jahre hinweg Freundschaften zu bewahren, dann wird man auch niemals fähig sein, ein wahrer Freund zu sein.
Und wenn man niemandem Feund sein kann, dann fehlen einem wichtige soziale Kompetenzen. Dann wird man immer als einsamer Wolf ohne die Geborgeheit des Rudels umherstreunen.
Einem Freund kann man immer verzeihen. Bei einem Ex-Freund ist das umso schwerer. Er war viellleicht nie ein wahrer Freund.
Gibt es etwas Beglückenderes, als einen Menschen zu kennen mit dem man sprechen kann wie mit sich selbst? Könnte man höchstes Glück und tiefstes Unglück ertragen, hätte man niemanden, der daran teilnimmt? Freundschaft ist vor allem Anteilnahme und Mitgefühl!
Marcus Tullius Cicero
Liebe Freundinnen und Freunde, ich danke euch, dass ihr mich ausgesucht habt, euer Freund zu sein!