Tag 119, Mittwoch, 14.09.2011 ( letzter Chemotag)
Es gilt...letzte Runde. Vorfreude. Grübel trotzdem ein bissel, ob das es jetzt wirklich war. Es tutet, Minna holt mich ab. Endlich eine gediegene Fahrt und keine Würgattacken mehr. Über die Liebe, das Leben und Mahnbescheide gequatscht. Und nicht wirklich zu einschneidenden Erkenntnissen gelangt. Doch eine Erkenntnis: Man sollte im Urlaub wirklich nur das machen, was zur Erholung dient. Kompromisslos!
Bin früher in der Klinik eingelaufen, als ich gedacht hatte. Ach, wie werde ich das vermissen, dieses Strahlen, wenn man da an dem Tresen steht.
Da durchläuft man mit einer Mitpatientin über die ganzen Monate das gleiche Programm, hält immer mal wieder einen aufmunternden Blickkontakt und dann kommt man tatsächlich erst am gemeinsamen letzten Tag ins Gespräch. Kurios. Und wer ist dieses Mädel? Die wackelnde Piratenbraut mit dem Entenbuch! (Hoffe, ihr könnt euch noch erinnern.) Da sieht man mal wieder. Lass dich immer überraschen, und mache einen weiten Bogen um Vorurteile. Ich dachte, dass ich der Ärmste von allen bin. Nö,nö...nach dem Gespräch mit Jaqueline Sparrow, die keine Piratin ist, sondern Sozialpädagogin, war’s mir, als hätte ich einen Schnupfen. Das gleiche Chemo-Programm wie ich, aber 8 Zyklen. Ihr könnt euch vorstellen, was diese 8 bei mir bewirkt hat. Mitleid, grenzenloses Mitleid! Sie ist auch in einer Studie drin. Hat zwar eine ähnliche Erkrankung wie ich...Hodgkin...aber dann doch wieder ganz anders. Blutwerte waren bei ihr schon immer schlecht. Sie und ihr Hausarzt haben es aber verdumbeudelt, am Ball zu bleiben. Nach einer spontanen Recherche im Internet und dem Besuch bei einem Facharzt für Hämatologie wurde dann innerhalb von wenigen Tagen festgestellt, was sie hat und dass sie eigentlich im Eimer ist. Geheilt kann sie nicht werden. Der Tod kann nur raus gezögert werden.
Eine Dame vom Sozialen Dienst mit tierischem Mundgeruch unterbricht unser Gespräch. Bow! Ach, da war ja was. Reha. Zuerst die schlechte Nachricht. Meine Wunschkliniken an Nord- bzw. Ostsee sind bis November alle belegt. Die Reha muss aber wohl 4 Wochen nach der Chemotherapie stattfinden. Ziemlich enges Zeitfenster. Mal sehen, wie wir das hinbekommen werden.
Gute Nachricht: Ich soll einen Schwerstbehindertenausweis beantragen. Hat ja Frau Dr. M(öchte ein Lymphom von Ihnen) auch schon erwähnt. Da musste ich noch schlucken und fühlte mich, als wäre ich kastriert worden. Der Mülleimer-Mund relativierte aber gekonnt meine Bedenken: Steuervorteile und dauerhafte Stundenreduzierung in der Schule. Wie lang und wie hoch diese Reduzierung sein wird, konnte sie mir nicht sagen. Klingt gut. Werde also wirklich kürzer treten, so scheint es. Ob ich das überhaupt kann?
Check-up vom Arzt mit den gelben Turnschuhen. Hat er nur eine Jeanshose? Wirkt schräg, ist es aber nicht. Ich glaube, er hat es drauf. TÜV bestanden. Ich. Fühle mich wie durch den Wolf gedreht, er meint aber, dass ich ganz ordentlich in Schuss bin. Na dann...wollen wir es mal krachen lassen. Nochmal eine gute Nachricht. Ich hätte ja meine Gehaltserhöhung drauf verwettet, dass ich nach der Therapie noch Pillen schlucken muss. Nix, nada, njet, niente...War kurz davor dem Gelbschuhträger einen Heiratsantrag zu machen. Ich habe jetzt fast vier Monate Medikamente geschluckt – manchmal waren es 16 am Tag. 16 Tabletten für jemanden, der Tabletten wie die Pest hasst. Am Anfang wars noch spannend und ich pfefferte mir die Dinger mithilfe aller möglichen Visualisierungsbilder rein: fressende fiese Krebsengel, Riesenlymphombagger, Tumor-Piranhas, was für ein kreativer Spaß! Zum Schluss, war ich so kreativ wie Wolfgang Schäuble...ich hab diese schrecklichen Scheiben kaum mehr runter gebracht.
Der 30. September ist fett in meinem Kalender angestrichen. Nicht nur das CT/ PET ist an diesem Tag, sondern ich nehme das letzte Mal ein Medikament ein: Kepinol. Cortison endet am 21.09. Hurrraaaa!!!!
Gelbfüßler meinte dann noch, dass 8 Zyklen eigentlich vorgesehen sind, aber neue Studien besagen, dass man mit 6 das Risiko minimiert, folgenschwere Schäden anzurichten. 6 wären auch schon von Erfolg gekrönt gewesen. Da ist eben 6 der goldene Mittelweg. So richtig durchdacht scheint mir das alles nicht zu sein. Aber egal. 6 Chemos + mein Humor = unbezwingbar!
Nach dieser wunderbaren Sprechstunde, ist die Sozibraut ganz freudig gewesen, mich wiederzusehen. Sie erzählte mir noch, dass sie gerade ihren ersten richtigen Job antreten wollte, als sie die Diagnose bekam. Bei meinem jungen Bettnachbarn vom ersten Zyklus war es ja auch so, der wollte seine Ausbildung gerade beginnen. Unglaublich wie das Schicksal zuschlagen kann.
Bin das erste Mal sauer gewesen, als ich zum Anstechen aufgerufen wurde. Manchmal ist man echt dämlich. Der Wackeldackel, der übrigens aus Hamburg stammt, hat zum Abschied den Pflegemädels noch ein Packet überreicht. Wie süß. Ich muss meine Geschenke noch aufschieben, weil Frau Strahlefrau Urlaub hatte und erst in zwei Wochen wieder da ist. Die werden staunen, wenn ich sie alle incl. ihrem chinesischen Chefe zu meiner Heilungsparty nächstes Frühjahr einlade.
Um halb zwölf sitze ich auf dem heißen Stuhl und um 12 fertig! Grandios!
Da ich mit DaniplusSahne um 17.00 ein Taxi-Date habe, muss ich irgendwie die Zeit tot schlagen. Ignoriere mein Befinden und stürze mich in den vollbesetzen Omnibus und ratter gegen die Heidelberger Shopping-Male. Finde einen netten Biergarten und richtete mich dort häuslich ein.
Zwei erwähnenswerte Beobachtungen:
Ein Elternpaar – ca. Mitte 30 – sitzt mit dem etwa 1-jährigen Töchterchen mir schräg gegenüber. Schätze mal so zwei Stunden. Beide, ich betone beide, Vater und Mutter, haben mit ihrer Tochter und auch nicht untereinander kein einziges Mal gelacht oder andersweitig Emotionen ausgetauscht. Sie haben sich gekümmert, gefüttert und gewickelt, aber eben nicht gelacht. Kann man denn so müde sein, dass man so emotionslos mit dem Kind umgeht? Manche Menschen sind aber auch einfach so kalt. Schrecklich mit anzusehen.
Am Nebentisch – ich vermute Geschäftsessen, Mittagspause. Das Wetter ist herrlich, das Ambiente wunderschön (Springbrunnen, Gartenblumen etc.). Die Dame motzt, und motzt und motzt. Über das Wetter, über den Springbrunnen, über den Sonnenschirm, über den Kellner. Am liebsten hätte ich den Sonnenschirm in den Käsekuchen gerammt.
Warum sieht man nur wenigen Menschen den Spaß am Leben an? Obwohl sie doch gesund sind und drei Mahlzeiten am Tag vertilgen können.
Tja spaßig hab ich in den nächsten Minuten auch nicht ausgesehen, weil ich noch das mit dem Mahnbescheid klären wollte. Es klingt bekloppt, aber so ein bisschen habe ich mich auch auf den Showdown gefreut. So eine Art Test, ob ich es noch kann. Und wie ich kann...Aber ganz anders. Viel souveräner. Fast gar keine Aggressivität in der Stimme, sondern nur gelassene Dominanz. Klar, läuft alles automatisch, und der Fehler wird beim Patienten oder bei den Institutionen gesucht. Sie, die zuständige Knalltüte vom Rechnugnswesen, hätte nicht gewusst, dass ich beihilfeberechtigt bin. Hääää? Hätte ich beim Aufnahmegespräch darauf hinweisen müssen. Hääää? Krankenkasse hat sich wegen den offenen Rechnungen nicht gemeldet. Häääää? Ob ich nicht das Schweigepflichtentbindungsformular der Kasse zugesandt hätte. Hääää? Verzugszinsen müsse ich auf jeden Fall zahlen. Häääää? Ich zahl nix. Keine Pfennig. Rechtsanwalt, ZDF-WiSo, Bildzeitung, Verwaltungsgericht, Verfassungsgericht, Taliban. Seh ich aus wie ein Zechpreller? Ich glaube die Nummer mit meinen Freunden von der Islamischen Volksfront hat sie dann doch eingeschüchtert. Habe provokant gefragt, ob sie nicht lieber in einem der unteren Stockwerke ihr Büro hätte. Sie werde sich mit der Rechtsabteilung nochmal besprechen und sich der Angelegenheit annehmen. Gut so...und wehe...
DaniplusSahne tutet. Pünktlich wie eine kroatische Konditorin. Wieder über die Liebe, das Leben und Mahnbescheide gequatscht. Diesmal die Erkenntnis: Shoppen macht Frauen glücklich, Männer nicht!
Zuhause. Kaputt, aber kribbelig, aufgekratzt, hoffnungsfroh. Muss was gehen. Idee. Lade meine Jungs zum After-Work-Dinner in der Buschmühle ein. Der Speiseplan auf der Internetseite überzeugt sogar meine Fleischkäsfresser.
Ob das so eine gute Idee ist. MacGyver und Roy fühlen sich nicht wirklich wohl unter so vielen Kronleuchtern und Besteck. Beide stehen aber ihre Männer und bestellen souverän ne kühle Apfelsaftschorle. Ich bin über das Essen entzückt, weil ich trotz Blei-Zunge tatsächlich Ingwer und Knoblauch raus schmecke. MacGyver will aus dem vielen Besteck und den Gläsern ein Automkraftwerk basteln. Roy entpuppt sich als Gourmet: Gemüse zu dottlig, das Lamm (wollte gerade Lamm mit h schreiben, aus Mitleid wahrscheinlich) geschmacklos, die Kroketten verkocht. Wat is Creme Brulee? Griesbrei? Auf jeden Fall schmeckt’s auch nach nix. Uuuuh...heul!!! Bin kurz davor, die Bedienung nach einem Ring Fleischwurscht zu fragen und Roy Lafer Trager damit zu erdrosseln. Ja, das ist wohl wahr, ein Abend mit dem Weißen-Löwen-Gastwirt ist nie langweilig und bleibt meist unvergesslich.
Die Zucchini-Taler verweilen - oh yippie - in meinen Gedärmen, obwohl die Rückfahrt auch phasenweise unvergesslich gestaltet wird.
Tür auf, Couch, tot. Heute habe ich es mir aber gegeben.
Seltsamerweise komme ich nicht zur Ruhe und bleibe bis 5 wach. Körperlich ein Freak, aber dennoch konnte ich noch den einen oder anderen Satz verfassen. Komisch wie das dann immer noch geht. Muss zugeben, vielleicht hätte ich mir den einen oder anderen Satz auch schenken können. Zu so später Stunde nimmt die Unzurechnungsfähigkeit eines Chemo-Aktivisten überproportional zu.