Tag 115, Samstag, 10.09.2011
(Tag 4 - letzter Chemo-Zyklus - Spritzentag)
Nach einer traumbeladenen Nacht, ein wenig Rumgedöse und Rumgelese erinnerte mich ein Termin daran, dass das Leben nicht nur im Bett vollzogen wird: der samstägliche Spritzen-Termin. Heute werde ich wieder meine Gehaltserhöhung los und das vierfach. Da die Tagesklinik-Ärztin (diesmal eine neue) mir fast alle meine Pillen verschrieben hat und ich zu blöd war, rechtzeitig zu intervenieren bzw. nicht imstande war, die zu Hause gelagerten Pillen im Vorfeld entsprechend abzuzählen, stellte ich fest, dass ich eine ganze Ladung Dröhnung zu viel auf den Rezepten stehen hatte. Also sah ich mich gezwungen, eine Inventur durchzuführen. Siehe da: Ich benötigte nur noch zwei Präparate. Und nicht sechs. Die Inventur machte mir irgendwie Spaß, weil mich Pillenausmisten in meiner Situation sowas von schlagartig erheitern kann und mir dadurch zusätzlich vor Augen gehalten wird, dass die Pillenschluckerei in wenigen Tagen endlich eine Ende hat. Schon mal beim Ausmisten dabei, mit einem Elan, den ich so schon lange nicht von mir kannte, machte ich mich auch noch über meine restliche Allerweltshausapotheke her. Auch hier wurde ich fündig und stopfte alle unnötigen und abgelaufenen Cremes, Tropfen, Schachteln in eine sehr große Plastiktüte. Die Apotheken-Chefin würde heute nicht nur grinsen, weil sie durch meine 1600-Euro-Spritze ihre Ladenmiete zahlen kann, sondern gleich danach etwas griesgrämig sein, weil sie für die 1600 Euro auch noch arbeiten muss, so dachte ich. Falsch gedacht. Man muss alte Medikamente nicht mehr bei der Apotheke abgeben. Ab in den Müll damit! Wird alles sowieso verbrannt. Selbst die noch nicht geöffneten Verpackungen hat die Dame nicht zurück genommen. Könne sie nicht machen, wegen der Leistungsgarantie. Die Krebsmedikamente solle ich doch in der Klinik abgeben. Na super! Muss man ja alles erst wissen.
Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft, aber da sag ich euch wohl nix Neues. Nirgends wird das einem so klar, als bei der Durchsicht der eigenen Hausapotheke. Da wird von den Docs verschrieben, was der Rezeptblock hergibt und nur ein Teil wird vom Patienten verwendet, wenn überhaupt. Am nächsten Tag ist alles wieder gut und er schluckt keine einzige Pille von dem ganzen Chemie-Klumbatsch. Das ist doch alles irre! Also mich wundert das Riesen-Finanzloch im Gesundheitswesen nicht mehr. Das Natulan z.B. (Zytostatika) kostet 450 Euro. In dem Gläschen sind 50 Pillen. Macht 9 Euro pro Pille. Gebe ich die 20 Pillen also nicht der Klinik zurück, sondern schütte sie in den Müll, vernichte ich 180 Euro, die ich ja nicht selbst gezahlt habe, sondern die Krankenkasse und die Beihilfe. Und das aufs Jahr und Bevölkerung hoch gerechnet – Au Backe! Man sollte sich nicht nur nach den 10 Geboten im Alten Testament orientieren, sondern auch nach den 10 obersten Regeln eines ökologisch bewusst und nachhaltig lebenden Verbrauchers. Regel 1 zum Beispiel: Verbrauche alles, was du gekauft hast oder dir geschenkt worden ist. Wenn wir das hinkriegen, dann sind die 10 Gebote nur noch ein Klacks.
Als ich bei der Verabschiedung in der Apotheke betonte, dass das wohl die letzte Neulasta-Spritze gewesen wäre, die ich gekauft hätte, beglückwünschte mich die Chefin mit einem äußerst traurigen Gesichtsausdruck.
Wegwerfgesellschaft? 5 Mal von 6 bekam ich einen Kühlakku für die Spritze mitgeliefert. Heute hat dieser gefehlt. Wie vermeide ich vor allem das Wegwerfen, in dem ich mal mitdenke, Schnur, du Hirn!
Freigänge nehmen mich immer mehr mit. Bin immer fix und foxi, wenn ich wieder Zuhause bin. Als ob mein Aktivitätsbalken gegen null tendiert, sobald ich die Türschwelle betrete. Mit Endgegner ist da nicht mehr viel. Bei so einem schönen Wetter haue ich mich in die Falle, das deprimiert noch zusätzlich, lässt mich aber trotzdem gleich wegschlummern. So um 19.00 Uhr bin ich Gott sei Dank wieder aufgewacht, sonst hätte ich meine lebensnotwenige Spritze, die ja immmer an Tag 4 des Zyklus eingeplant ist, verschlafen. Schwester Ulrike hatte Erbarmen und rauschte nach einem sonnigen Klettertag noch bei Old Schnuribold rein. Während Gomez in der Sportschau das 6:0 für die Bayern schoss, wurde bei mir auch was versenkt. Das Tor von dem Schönling ist wahrscheinlich teurer als meine Spritze, nichtdestotrotz ist sie für mich um einiges wertvoller. In 3, 45 Sekunden war die Sache erledigt und ich konnte mich noch in aller Ruhe über das 7:0 der Bayern ärgern.
Filmtipp!
Bitte nicht die Kritik auf Amazon lesen, vor allem nicht bevor ihr den Film gesehen habt! Einfach selbst ein Urteil bilden!
Also ich fand ihn einfach nur toll.
Und unbedingt sehenswert.
Nicht nur sehenswert, sondern auch hörenswert: Der Soundtrack ist nämlich der pure Hammer.
Handlung. Ein erfolgreicher Turnschuhdesigner ist überhaupt nicht mehr erforlgreich und verliert seinen Job. Eine Sinnkrise setzt ein und er will sich das Leben nehmen. Das Pflichtgefühl als Sohn, seinen verstorbenen Vater von Kentucky nach Oregon zu überführen, hindert ihn aber daran, seine Selbsmordpläne in die Tat umzusetzen. Bei seinem Trip in die Vergangenheit seines Vaters und zur Familie entwickelt er mithilfe einer lebensbejahenden Stewardess neuen Lebensmut.
Natürlich ist vielleiht der ganze Film einen Touch zu kitschig geraten, aber es gibt so wunderschöne Szenen darin, die man unbedingt gesehen haben muss. Die Idee mit dem geschenkten Begleitbuch zur Fahrt, ist einfach umwerfend. Wenn ihr den Fílm euch angeschaut habt, dann wisst ihr, was ich meine.
Zielgruppe: 18 - 88-Jährige, die das Herz auf dem rechten Fleck haben, frisch oder unglücklich verliebt sind bzw. sich in einer existenziellen Sinnkrise befinden, und Leute, die Musik lieben.
Könnt ihr euch vorstellen, dass ich mal ausgesehen habe, wie Orlando Bloom in diesem Film, nur größer und ohne O-Beine! ;-)
4.33 Uhr - Ich bin Blog-mäßig wieder auf dem Laufenden.
Man kann ja nicht immer nur schlafen, nicht wahr.;-)