Tag 103, Montag, 29.08.2011
(Tag 14 - Aplasie - Chemo-Zyklus 5)
Von 00.00 Uhr bis 06.05 Uhr wunderbar durchgeschlafen. Keine Magenkrämpfe. Kartoffelpuffer und Gemüsepizza haben keine Schäden angerichtet. (Bösel, bösel, Hell Schnull, das ist abel nicht zu akzeptielen – *schimpf, schimpf*, *mulmel, mulmel*← Prof. Ho aus dem Hintergrund.
Entspanntes Aufwachen ist irgendwie nicht mehr. So langsam die Schlafseele in die Wachseele verwandeln, gelingt mir nicht mehr. Ich schlag die Augen auf und bin da. Als ob ich niemals geschlafen hätte. Und das Denken beginnt. In alle Richtungen. Mehr konfus als strukturiert. Mehr ergebnislos als erfolgsorientiert. Meist stelle ich mir abstruse Fragen, und scheitere mit den Antworten:
Bringt Loriot im Himmel Elvis zum Lachen?
Wie könnte der Umsatz von Maracuja-Saft in der Pfalz angekurbelt werden?
Kann ich ohne Krebs überhaupt glücklich sein?
Ist eine Lehrer/in, der/die in Hausschuhen unterrichtet, eine guter Lehrer / eine gute Lehrerin?
usw.
Denke so noch ca. 21 Minuten vor mich intelligenzlos hin, um dann vor meiner aufkommenen Intelligenz doch wieder zu flüchten; beschäftige mich. Mit Zeug, das man morgens um halb sieben halt dann so macht: 05 Liter Wasser trinken, FliegerF, alter Kumpel aus Stuttgarter Tagen, kontaktieren, meine Lieblingsseminarleiterin aus Bad Bergzabern eine Mail schreiben, Konten checken, die Glatze eingelen, nochmal 05 Liter Wasser trinken.
Muss los. 08.30 Uhr wartet Vampir-Omi auf mich.
Na also, meine Freunde und Feinde, mein Blut orientiert sich wieder an den Werten von Lance Armstrong. Leukos bei 4200 und Hb bei 9,2. Thrombos sind noch ein wenig mau. Aber das wird auch. Werde gleich mal ein paar gebären. Ärzthelferin meinte, wenn man das Zeug per Infusion bekommt, sieht es aus wie Pampelmuse. Soll ich jetzt Pampelmuse wie Holla futtern? Muss mal die Pampelmusen-Spezialisten in HD befragen.
Pillenzeit - Würgzeit. 4 Stück. Geht ja eigentlich. Schnuribold pienz nicht, gibt Schlimmeres: 5 Stück!
Da hab ich wieder ein paar Episoden. Leider handeln die wieder vom Einkaufen. Sorry. Aber das ist eben eine zentrale Beschäftigung in meinem tristen Krebsalltag. Außerdem, kann bei einem Einkauf so viel passieren: mit Menschen, Kassiererinnen, Honoratioren und Maschinen.
Episode 1. –Honoratioren sind auch nur Menschen
Wer läuft mir da auf dem Parkplatz von „Riecht Echt Widerlich Ernst“? Das ist doch der Papst. Nein, nicht der mit der Kutte und der Kappe und dem Alkoholproblem, sondern der Didaktik-Papst. Der mit dem Haus des Lehrens...äh...Lernens...der jeden und alles trainieren möchte...der Multiplikatoren braucht, um Lehrkräfte zu dividieren. Unser aller Pädagogen-Heinzi. Dr. Klipprig (kein Plan, dann googeln!) Eigentlich hätte ich ihm die Füße lecken müssen, aber der hatte Sandalen an. Unglaublich, ganz gewöhnliche Sandalen. Der Heinzi? In Römersandalen? Nix Lackschuhe oder so. Auch keine feines Stöffchen ums Strumachen, sondern nur nen Gammel-T-shirt und ne Gammel-Jeans. Auf dem Arm ein Karton Bio-Milch. Klar, Bio-Milch muss sein. Wie das auch aussehen würde: Milch gewöhnlich ultra-hocherhitzt? Bisschen Bio-Moral darf Heinziman in der Öffentlichkeit schon zeigen. Hätte gern mein Hut vor ihm gezogen und ihn gefragt: Hey, Heinzi, du kleiner Lern-und Lehrfuzzi, warum haste mich denn vor 6 Jahren als Multiplikator abgelehnt? War ich dir nicht gut genug oder was? Magste keine Ex-Hippies und Ex-Schwaben? Bäätsch, ich weiß es ja. Zu unerfahren war ich anscheinend für dich. Gut, in Ordnung. War ja auch erst 3 Jahre im Dienst. Einverstanden! Schwammdrüber! Aber weißte was? Du lieber Alt-68er, wenn ich den Job bei dir erhalten hätte, dann hätte ich auch früher Krebs bekommen und ich wäre garantiert früher tot...also haste quasi mein Leben gerettet, du Didaktik-Samariter. Zieh ich dann doch meinen Hut und zeig dir ehrfürchtig meine Kugel!
Episode 1 b. - Es menschelt noch mehr
Noch einer von denen menschlichen Nicht-Menschen gesichtet. Den Rudi. Nicht Raabe. Nicht Völler. Nicht Carrell und nicht Cerne. Ja, ja, gibt ne Menge bekannte Rudis. Der Horn mit Eichel latscht da direkt vor meinen Einkaufswagen. Haarscharf und er wäre auch drunter gelegen. Die Silberlocke, die Nußdorf regiert. Der Mann des Rechts und des Anstands. Der Sheriff von Nottiingham. Der bös guckt, wenn man bös guckt. Der beim Anblick von Unkraut Herz-Rhythmus-Störungen und akuten Harndrang bekommt. Läuft Eichelhorni seiner Holden hinterher wie Heinche auf Dope. Wird bestimmt Zuhause im Keller ausgepeitscht und verdroschen und muss Mami schreien und Daumen lutchen. Her je, was für ein Tag. Hatte kurz überlegt, ihm nach einem Autogramm zu fragen. Hey, du Horni, unterschreibste mir mal auf meiner Glatze! Bitte den vollen Namen ja. Und ohne Rechtschreibfehler! Ganz wichtig, bitte ohne Rechtschreibfehler! Er hat mich erkannt, aber ignoriert. Also habe ich ihn auch ignoriert. Quitt!
Episode 3 – Die erste Maschine, die nervt
Unfassbar. Jedes Mal das gleiche. Zum 5. Mal in 3 Monaten. Jedes Mal schiebe ich mein Leergut in das Loch und diese Drecksmaschine will einfach nicht auf Anhieb. Error. Mitarbeiter rufen. Ich bin zum ersten Mal seit Monaten komplett ausgerastet. Hab mit der Pet-Flasche auf das Ding eingeschlagen und laut "Nazi!!!" gerufen. Wollte schon in die Pet-Flasche spucken und so vielleicht das Monster überlisten, bis dann kein Nazi, aber ein höflicher Mitarbeiter kam und mir eine Tasse Yogi-Tee anbot. Tee und eine 2. Mitarbeiterin beruhigten mich und ich konnte mich fast ohne zu stottern bedanken und das Pfand entgegennehmen. Für sage und schreibe 3,57 Euro habe ich es riskiert, für immer in Isolationshaft zu geraten.
Episode 4 –Die zweite Maschine, die mich nervt
Weiß nicht, was heute mit mir los ist. Bin total geladen. Ich glaube, ich habe sogar mit den Zähnen gefletscht. Am Morgen hatten wir es noch vom strukturierten Einkaufen. Mit Einkaufszettel und
Körben hier und Täschchen dort und so...Hab mir den Riss gegeben...Alles feinsäuberlich durchdacht und aufgelistet. Und was mach ich, ich Kind eines Alphorns, vergess ich den vermaledeiten Zettel
auf dem Küchentisch. Gut, mach ich halt ein Spielchen daraus.
Das Spiel heißt: Wiederhole die Lebensmittel auf deinem Einkaufszettel, Kandidat 1. Kandidat 1, du hast verloren. 5 von 55 ist jetzt nicht so gut. Kannst wählen zwischen Pistole oder Strick.
Umgestellt zwischen Mentalkauf zu Bauchkauf. Wie schon so oft. Meine Stimmung (unausgepeitscht) im Keller, stell ich mich an. Kreischanfall. Aus meinem Mund. Sabber. Aus meinem Mund. Habe Korb
und Tasche im Auto vergessen. Wagen mit den 55 Einkäufen zwischen Zeitungen und Mikrowelle geparkt und raus. Mit Hakentasche und Korb wieder rein, ordentlich angestellt und aus allen Löchern
gepustet. Dann passierts. Die Maschine an der Kasse spielt mit ihrem Leben. Sie weiß es wahrscheinlich bis zu dieser Minute noch nicht: Aber Sie ist heute messerscharf dem Tod entronnen. Sie
sagt: "Bitte heben sie alle ihre Einkaufstaschen hoch!" Wisst ihr wie mich das schafft, diese Hakentasche an dem Einkaufskorb festzumachen? Ich schlucke, taste nach meiner Waffe, merke, dass aber
Bananen jetzt waffentechnisch nicht so das Wahre sind. "Seh ich aus wie ein Bananendieb? Sie machen mich fertig, wissen Sie das?" Die Maschine: "Sie könnten ja ein Testeinkäufer sein?" Ich stelle
mein Hörgerät lauter. "Wie bitte? Testeinkäufer? Dann müssten sie wohl aber sofort ihren Kaugummi aus der Waffel nehmen und nicht drauf kauen wie Nachbars Pudel auf dem Stinke-Socken von Opi."
Maschine (*kau*, *kau*, *kau*): "Jo, das müsste ich wohl. Entspannt mich so schön. Sie sind aber gar nicht entspannt, mein Herr." Doch, bin entspannt, und wie, ich bin wahnsinnig entspannt, sie
wissen das nur nicht. Erst heute Abend wissen sie das, dass ich wahnsinnig entspannt war, gerade jetzt, zu ihrem Glück, Frau Kaugummi-Maschine. Sie setzt noch einen drauf. Wenn ich dran denke,
kommen mir die Tränen. "Wollen Sie Bargeld abheben?", fragt Fräulein Maschine, mit einem rosa Kaugummi zwischen dem Zahnrad. Nein, Sie fragt mich das jetzt nicht tatsächlich zu dem ganzen Elend
noch. Ich weiß, dass man das hier bei „Riecht Echt Widerlich Ernst“ machen kann, aber doch nicht jetzt, nach diesen letzten
Minuten. Welch ein Sadismus. Okay. Ich konzentriere mich. Sammle meinen Kräfte. Gehe alle meine Waffen im Kopf durch. Haubitze, Mörser, Handgranate, mobile Atombombe, Senfgas, Mischobst...Ich
flüstere wie Clint Eastwood in Spiel mir das Lied vom Tod. Eiskalt, bestimmend, ohne ein Anzeichen von Gnade: "Bargeld? So, so...Bargeld, ja? Wissen Sie, bin ich hier in einer Bank? Nein. Ich bin
in einem Supermarkt. Wie das Wort Super in ihren Markt hineingekommen ist, ist mir ja sowieso ein absolutes Rätsel, mal ganz am Rande bemerkt. Wenn ich Bargeld möchte, gehe ich zu einem
Geldinstitut und nicht zu einem Supermarkt, wie sie einer sind. Sie verstehen? Würde ich nämlich zu einem Supermarkt gehen, und nach Bargeld fragen, würden die Maschinen an der Kasse, wie sie
eine sind, mich blöd anglotzen und sofort nach ihrem Chef kreischen. Dann würde man mich in einem großen weißen Taxi abholen. Aber nur wenn ich Geld in einem Supermarkt abheben würde,
selbstverständlich, was ich ja mit Sicherheit nicht tue, nicht wahr. Ich meine, so bescheuert kann ja keiner sein. Ich gehe ja auch nicht in eine Wäscherei und kaufe dort Katzenfutter, frage
nicht in einer Tierhandlung nach einer Pizza Champions oder hole mir nicht Kondome aus einem christlichen Antiquariat, Sie Maschine Sie!" Die selbige glotzt mich an wie ein aufgeblasenes Kaugummi
und nickt ein „Is ja gut! Also kein Bargeld?“ Wummmmmm.....
Das Wummmm...habe ich mir leider nur eingebildet. Oh, wie gerne, hätte ich diesen Laden heute in die Luft gejagt. Gott, wird man vielleicht nur aus dem Grund Terrorist, weil man von Kassiererin eines Supermarktes gefragt wurde, ob man Geld abheben möchte. Deswegen der Hass auf den Kapitalismus. Jetzt habe ich den Durchblick.
Episode 5 – dm und die Kneipe des seligen Friedens
Noch zum dm. Ich habs ja geahnt. Eine weitere Maschine fragt mich am Ende meines äußerst kurzen Einkaufs: Payback? Ich lass die Karte stecken. Ne, nicht mit mir! Womöglich fragt sie mich, ob ich noch ein Haus, ein Fahrrad oder Amphetamine kaufen möchte.
Als ich zum Auto rannte, kam ich an meiner Lieblingskneipe vorbei, die ich schon lange nicht mehr aufgesucht habe. Das Besuchen dieser Kneipe geht eigentlich nur mit Anatoli Georgistan. Aber das offene Fenster und der träumerische Blick der Bedienung hypnotisierte mich so sehr, dass ich überzeugt wurde, auch free solo hinein zu schnuppern. Zeitung, Guinness (nein, leider nicht!) – na dann mal wieder Saftschorle. Bedienung: "Di kenn i doch. Was isn mit dir baschiert?" Wollte meine Ruhe. Das hätte kein gutes Ende genommen, wenn ich jetzt einen auf armseligen Patienten im Zwischenstadium gemacht hätte. Mein „Och, wollte halt mal wie Telly Savalas aussehen“ bremste eine bevorstehende längere Kommunikation etwas aus. "Ach...hmmm...jo...echt??? Siehst schnuggelig aus, so oooneee Hooooaaar." Ich nickte und las unbeirrt im spannenden Artikel „Gold lässt Pfandleihe glänzen“ weiter.
Nostalgie pur. So in dieser Kneipe zu sitzen. Wie viele Steppen-Monde ist das her? Saftschorle hier? Das gab’s noch nie. Konnte auch nur eins trinken. Jede weitere Minute hätte die Gefahr zugenommen, dass ich mir durch Guinness eine Spontanheilung versprochen hätte. Stellt euch vor, Plof. Ho sieht mich im Pierrot sitzen ein Guinness nach dem anderen kippen. Also ein Freitod kann mit Sicherheit auch angenehmer gestaltet werden.