17.05.2012 - 21.05.2012
Tag 1 - Donnerstag - Harry Squirrel und das Zimmer des Grauens
Punkt 3.00 Uhr in der Früh war Abfahrt. Flughafen Frankfurt-Hahn war unser erstes Etappen-Ziel. Die Reisegruppe war frisch geduscht, ordentlich gekämmt und bestens vorbereitet: Es gab sogar ein Riesen-Lunchpaket. Die Autofahrt war äußerst gemütlich. Der Fahrer ließ sich von Songs wie „Tage wie diesen“, „Feeling Good“ und „Perfect World“ beschallen, summte gut gelaunt einige Textstellen mit und die Beifahrerin verwechselte den Opel-Sitz mit ihrem Schlafzimmer-Bett. Man vernahm ein zufriedenes Gurren.
Nachdem wir einen hübschen Parkplatz auf dem Billig-Parkdeck gefunden hatten, machten wir uns zur Bushaltestelle auf. Einige Frühflieger und viele kichernde Hühner standen auch schon herum und warteten geduldig. Laut Plan sollte der Shuttle-Bus 05.15 Uhr kommen. Er kam aber nicht. Die erste Entscheidung musste gefällt werden: warten oder starten. Wir marschierten los, es war uns eindeutig zu kalt, um noch weiter auszuharren. 10 Minuten Fußmarsch und der Abflug-Terminal war unser. Ein wenig übermüdet, blickten wir nicht, dass die Riesen Schlange vor der Handgepäck-Kontrolle nicht der Check-In-Schalter war. Für mich waren die Handtaschen der Damen auch eindeutig zu groß dafür. Aber nach einer launigen Durchfragerei, checkten wir dann doch noch den Check-In. (Der war ein einige Meter weiter in der Halle; dort stand keine Sau, da heute wohl alle nur mit ihren Handtäschchen flogen.)
Wir tranken noch ein Käffchen, verspeisten unsere Käsebrote und versuchten uns die Aufregung über den anstehenden Billig-Flug nicht anmerken zu lassen.
Die Aufregung wurde aber leider noch größer, da Mr. Alexander Schnur für den Al-Quaida-Terroristen Hamda Ben Dumda gehalten wurde. Sein Ausweis war im System als gestohlen gemeldet. Der blonde Schalter-Polizistenbubi zuckte extrem nervös mit seinen Mundwinkeln, winkte mich dann aber nach einer sehr sehr sehr ausführlichen Erklärung – Allah sei Dank – doch noch durch. 2007 wurde ich in Barcelona ausgeraubt und hatte leider nicht gemeldet, dass ich nun einen neuen Perso besitze.
Der Flug war anständig, die Flugbegleiterinnen hässlich. Wie ist es bitteschön um unsere Welt bestellt, wenn ein Polizeibeamter adipös ist und die Stewardess aussieht als hätte sie Rohrreiniger getrunken.
Wir quetschten uns in die Sitze und studierten diverse Reiseführer und unsere Flugnachbarn.
Während des Fluges flogen wir nicht nur körperlich, sondern hatten auch noch geistige Höhenflüge. Die letzten Wochen grübelte ich ständig, warum auf dem Flugticket Abflug 06.30 Uhr und Ankunft 06.45 Uhr stand. Hatte ich irgend eine technische Entwicklung verpasst? Tat es aber dann als Inkompetenz einer Billig-Airline ab. Sorry, Ryanair, aber der Volltrottel war ich. Zeitzonen – England – 1 Stunde unterschied – das passt, du Hirni! Wir haben also während unseres Fluges 1 Stunde gespart und als wir das merkten, waren wir schlagartig noch müder.
Tja, was soll ich sagen, die Nummer mit Hamda Ben Dumda war noch nicht durch. Jetzt war der Englische Zoll dran. Meine Fresse, ging mir die Muffe. Man hat ja schon einiges über Erbarmungslosigkeit von Englischen Sicherheitsbeamten gehört. Folter war da das mindeste. Wahrscheinlich drohte mir 10 Jahre sowas wie Guantanamo in den Highlands. Die Lady vom Zoll führte mich sogleich mit finsterer Miene ins Separee. Anna und Miss Marple guckten beide ziemlich böse. Ich hörte quasi ihre Gedanken. „Das is ja wieder typisch für meinen durchgeknallten Paps, jetzt wird er auch noch von Scotland Yard gesucht. Ach Gott, ist mir das peiiiiinliiiich!“ „Hey, warum grinst der Kerl mich nur ständig an. Dem wird das Grinsen gleich vergehen, wenn ich ihm unseren heißen Kaffee über die Rübe schütte und ein Geständnis abpresse.“ Auch hier redete ich als würde es um mein Leben gehen. Erzählte der Dame nicht nur, dass mein Ausweis in Barca gestohlen wurde, sondern auch den Vorgang des Raubes in allen Einzelheiten. Nein, muss mich hier korrigieren. Will euch ja schließlich keinen Bären aufbinden. Ich erzählte nicht, sondern spielte ihr „das Massaker von Barca“ mit leidenschaftlich zuckenden Körperbewegungen vor. Ich glaube, Miss Marple war einfach der Aufwand zu groß, sonst hätte sie mich auf der Stelle wegen öffentlichen Ärgernisses eingebuchtet. Und wahrscheinlich den Schlüssel für immer in die Themse geworfen.
Endlich in London. Nicht ganz. Bus in die City musste noch geordert werden. Alles easy. 08.00 Uhr Abfahrt. A 6 –London Vicotoria Court Station. Bus fast leer. Trotzdem keine Ruhe. Eine spanische Deutsche quatsche ihre Walisischen Sitznachbarn und den Busfahrer, der aussah wie ein Hobbit, voll. Es ging um den verrücktesten Job der Welt: Ha, welch ein Zufall, Busfahrer in London. Flirtete die etwa mit Hobbie Hobbs? Themen des Monologs: die fleißigen und korrekten Deutschen, die herzlichen Spanier und die trinksüchtigen Engländer. Eiscream und Eisbein. Blahblahblah und Blubblubblub. 2 Stunden Fahrt. Gequatsche ohne Pause. Kam mir vor wie im Lehrerzimmer. Ab und zu krabbelte der Hobbit aus seinem Sitz, entschuldigte sich für die lange Busfahrt aufgrund des mörderischen traffics und kündigte irgendwelche nächste stations an.
Endlich London. Ein bisschen. Aber immer noch nicht ganz. Mussten ja noch zu unserer Unterkunft. Rücksäcke auf und los. Ja, ja, ja, meine lauffaule Hairstylistin, hätten das auch schon mit der Underground fahren können. Aber so hätten wir nicht den Buckingham-Palace, die berühmte Wachablösung, die Reiterstaffel, diverse Landauer, böse Bobbies und viele viele viele Touristen mit noch mehr Fotoapparaten gesehen.
Und durch das Marschieren durch Chinatown und Tottenham Road hatten wir gleich den Eindruck bekommen, was da wohl in den nächsten Tagen noch auf uns zukommen wird.
Huraaay...Grasham Hotel! (36 Bloomsburry St.) Ja, noch hatten wir Hurraaay geschrien. Schon in der Eingangshalle wurde uns klar: Das ist nicht das Hilton. Aber dazu später mehr. Wir versorgten unsere Taschen in einen Nebenraum, der komplett aus der Zeit gefallen schien. So ein Wohnzimmer hatten meine Eltern zwischen 1970 und 1975. Nur sah dieses Wohnzimmer aus, als hätte 40 Jahre keiner mehr geputzt und renoviert. Ins Zimmer konnten wir erst ab 15.00 Uhr. Wir mussten also 2 Stunden überbrücken. Klar, was fällt da einem als erstes ein: ein Käffchen! Karte raus, geguckt, Park gefunden. Mit Namen Russel. Wow, keine Autos, wow, Bäume, wow, nettes Cafe, wow, super-leckeren Schokokuchen. Uuuuh, aber viele viele Tauben, die hin und wieder ziemlich angriffslustig waren. Wenn man nicht aufpasste hatten die einem den leckeren Kuchen entweder voll gekackt oder weggepiekt bevor man nur einmal „blödes Vieh“ sagen konnte. Und dann war dann noch etwas völlig Überraschendes. Etwas fast so super-süßes wie der Schokoladenkuchen. Etwas, das alle britischen Tugenden auf sich vereinbarte: Taperkeit, Edelmut, Stil, Loyalität und..Cleverness. Etwas, das sich in dein Gedächtnis brennt, wie die Oberweite von Dolly Dollar: Harry (Potter oder Prinz, das ist hier die Frage), das Eichhörnchen. Im Englischen „Squirrel“ genannt. Ich zückte meine Kamera. Und als wäre ich die Queen persönlich, stellte sich Harry vor mir auf, in seiner ganzen pelzigen Pracht – und salutierte. Da muss man erst nach London fliegen, um so ein tolles Exemplar vor die Linse zu bekommen. In den Parks von London gibt es massig von solchen Squirrels. Überall. Wie die Tauben, nur nicht so nervig.
Auf der Terrasse des Cafes saß eine Frau in Hosenanzug. Sie sah ziemlich verlebt aus. Machte auch den Eindruck, dass sie dem Alkohol nicht abgeneigt war. Um sie herum standen viele Tüten, gefüllt mit Kleidern und Krimskrams. Sie sprach mit sich selbst, heulte und rauchte. Plötzlich stand sie auf, lief eine Runde um das Cafe und weinte noch mehr. Als ich Harry hinter her sprintete, kreuzten sich unsere Wege: Sie warf fluchend und immer noch weinend Geldmünzen in den Papierkorb und ich versuchte Harry fotografisch dingfest zu machen. Die Dame mit den Münzen sah so verzweifelt aus, dass es schon schmerzte. Man hatte echt ein schlechtes Gewissen hin zu schauen. Warum hilft man nicht? Warum beißt man bei einem so herzzerreißen Anblick trotzdem in seinen Schokoladenkuchen? Sind wir deswegen schlechte Menschen? Was wohl aus dieser Frau geworden ist? Wir werden es nie erfahren.
Schlag 15.00 Uhr nahmen wir unseren Schlüssel in Empfang. Schlag 15.01 Uhr standen wir in unserem Zimmer. Schlag 15.02. Uhr Schockstarre! Ich hatte es mir ja schon schrecklich vorgestellt. Im Internet waren ja nicht gerade Lobeshymnen zu lesen. Aber so...unglaublich. Einfach unglaublich. Und das für diesen Preis. Ich meine, 15 Euro hätte ich gerne für dieses Loch bezahlt. Okay, es war einigermaßen sauber. Vor allem die Handtücher. Hmmm...überlege angestrengt, was noch gut war. Es hatte ein Bett, einen Schrank (natürlich viel zu klein für zwei Personen), ein Waschbecken, eine Toilette, relativ warmes Wasser. Und eine Dusche, die aber keine Dusche war, weil sich nicht mal der 155 cm kleine Busfahrer Hobbie Hobbs hier hätte vollständig bewässern können. Das Zimmer war kompletter Schrott. Müll. Abfall. Man zahlt die Lage, sonst nix. Ein Fernseher stand drin. Ging aber nicht. An der Rezeption erfuhr ich, dass man im ganzen Hotel zurzeit kein Fernsehen schauen konnte. Welch ein Trost. Aber wir sind ja schließlich nicht zum TV-watching in London, nicht wahr. Ich durfte das Zimmer gleich blechen, aber erst nachdem wir unsere Zufriedenheit bekundeten. Am liebsten hätte ich der Rezeptionistin meine Kreditkarte zwischen ihre löchrigen Zähne gerammt. Immerhin konnte ich wenigstens mit der selbigen zahlen. Ein komisches Gefühl die Rechnung des Zimmers im Voraus schon zu begleichen. Was ist, wenn uns unterwegs ein gemeines Eichhörnchen mit Tollwut ansteckt. Bekommen wir dann das Geld zurück?
Trotz allem, ließen wir unsere Laune nicht durch sowas wie eine geblümte Papier-Zudecke verderben. Wir kuschelten uns unter diesen Hauch von Nichts. Und machten erst mal ein Mittagsschläfchen. Eher gesagt: Anna machte eins, ich grübelte über die weitere Reiseplanung nach, bzw. überlegte, ob wir beim Check-out ein bisschen TNT im Hotel deponieren oder gleich ins Hilton umziehen sollten.
Um 18.00 Uhr machten wir uns auf zum „London Eye“, seit 2000 das „neue“ Wahrzeichen von London. Das muss man gesehen haben und wenns der Geldbeutel hergibt auch mal gefahren sein. Schnell hatten wir die Tickets und noch schneller waren wir in der ringsum abgeschlossen Future-Gondel. Ein echtes Highlight. Knipps, knipps...London aus dem Riesenrad. Und man kann schon so viel der Sehenswürdigkeiten aus einer ganz besonderen Perspektive sehen. Tower of London, Big Ben, Tower Bridge, White Hall, Westminster Bridge, Westminster Abbey, London Aquarium, Royal Festival Hall, Queen Elisabeth Hall, Tate Modern usw. Der Shared London Bridge Tower wird demnächst das zweitgrößte Gebäude in Europa. Es besteht ganz aus Glas und hat die Form einer Pyramide. 310 Meter soll es dann werden. Tja, wie fragte Anna immer so schön: Mann, woher haben die Engländer bloß die ganze Kohle her? Schulden bei Abramowitsch, was sonst.
Jo, dann hatten wir auch unsere ersten Berührungen mit der London Underground. Zuerst meint man ja, das kriegt man nie geregelt. Blau, grün, rot, Northerline, Cityline, Nirvanaline...hä? Aber dann mit Hilfe von Allah und App, wurden wir schnell in die 3.Liga der U-Bahn-Fahrer katapultiert. Das wichtigste war, dass die Totenham Road Station unsere Heimat-Haltestelle war und wir mit der Northernline uns immer auf der richtigen Seite befanden.
Langsam machte sich unser Mägen bemerkbar. Mal was Warmes, Deftiges wäre nicht schlecht. Der Mensch kann sich nicht von Kuchen und Sandwich allein ernähren. Na, zumindest Derpälzer nicht. Im schlauen Reiseführer geblättert und die Grummellautstärke im Bauch entscheiden lassen. Meson Don Felipe (53 The Cut) wurde unser Restaurant oft the evening. Britische Tapas. Hmmm…lecker…Netter Laden. Ein wenig zu voll und zu laut. Aber hey, gemütliche ruhige Lokale kann man sich in London echt abschminken. Wenn man Ruhe haben will, dann sollte man sich einen Sarg kaufen, besagt ein Irisches Sprichwort. 45 Sekunden gewartet und schon hatten wir einen Platz. Es ist doch immer von Vorteil, wenn man eine hübsche Begleiterin an seiner Seite hat.
23.30 Bedtime. Schluss mit Lustig. Feierabend. Schon während dem Reinstopfen der Ohrhörer fing Lady A an zu schnarchen. Ich versuchte das Fenster zu öffnen. Ging nicht. Das konnte ja heiter werden. Ich las schon die Zeilen: Zwei deutsche Touristen erstickten in einem Londoner Hotel an ihrem eigenen Gestank. Ich drückte meinen Ignorier-Button, stellte mir ein voll-klimatisiertes 5-Sterne-Luxus-Appartment vor, schlürfte an einem Bloody Mary, traf John Lennon beim Fotoshooting in der Liverpoolstreet und rülpste mit Queen Mum im Buckingham Palace um die Wette.
Tag 2 - Freitag - Lecker Schmecker von Boys und Jamie Oliver