Warum ist nicht überall ein wenig Mindo?

Man liest, man hört und nie reicht doch die Vorstellung an die Realität heran. Mindo gilt als Tip für Naturliebhaber und Genussmenschen. Eine Vielzahl von spannenden naturnahen Aktivitäten werden angeboten. Das einzigste Problem, was der Neuankömmling hat, ist das der Entscheidung: Wie lange bleibe ich? Was mache ich alles? Schokolade, Kaffee, Schmetterlinge, Wasserfälle, Frösche, Insekten, Spinnen können überall vielseitig bestaunt werden. Der Körper darf sich bei Wanderungen, auf dem Rad, mit Quads, auf Gummireifen im reißenden Fluss oder an Seilen hängend und schwingend austoben. Alles ist für uns natürlich nicht möglich. Unsere Knochen und unser Geist haben Grenzen. Die Tage hier in Mindo waren trotzdem so voll, dass sie für mehrere Urlaube gereicht hätten. An der Spitze aber des Wundervollen ist unsere Unterkunft. Schlichtweg ein Traum. Gebucht spontan über Booking.com. Zufällig das beste Zimmer mit direktem Blick über den Nebelwald hinweg. Nur ein Anblick kommt durch die Anzahl der gemachten Fotos an Tempel I, so heißt unser Traum, heran. Der See Fossumsanden in Norwegen. Die ständige Veränderung, der Wechsel des Lichts und der Nebelformationen und die Intensität der Sonneneinstrahlung lässt uns Hobbyfotografen die Kontrolle über unser Handeln verlieren. Süchtig nach dem ultimativen Stillleben. Bekloppt! Wir wissen es, können aber nicht anders. Obwohl das Leben hier im Nebelwald überhaupt nicht so still ist. Die Kolibris schwirren ADHS-mäßig umher und ihre Freunde kommunizieren erregt miteinander oder zwitschern entspannt vor sich hin. Uns scheint, dass die Vögel hier eindeutig lauter sind als in Böchingen. Und ihre Gesangsstimmen um einiges zahlreicher sind. Alles sehr professionelle Sänger wohl gemerkt! In der Hängematte am frühen Morgen auf dem Balkon hin und her zu schaukeln, den Aufgang der Sonne zu verfolgen und in den Wald hinein zu lauschen, ist Psycho-Hygiene vom Feinsten. Kein Fernseher, kein Radio, keine Zeitung. Keine Schule oder Behörde im Kopf. Internet? Natürlich! Wir möchten doch die schönen Dinge, die wir sehen, teilen. Na ja, vielleicht auch ein wenig angeben. Außerdem müssen wir unsere weitere Route und die entsprechenden Schlafplätze planen. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass das mobile Netz hier so gut ausgebaut ist. Ohne WhatsApp läuft hier gar nichts. Selbst die Taxis werden darüber (nach Empfehlung des Hostels) kontaktiert. Taxifahrten jedes Mal ein Erlebnis. Ein Privatfahrer hatte Musikvideos mit (sehr) freizügigen Tänzerinnen auf dem Display. Parallel tippte er noch auf seinem Handy herum. Wenn man ein paar Tage im Land ist und ein paar Drinks im Schädel hat, findet man solches Verhalten sogar regelrecht cool.  


Den folgenden Abschnitt möchte ich nun den Ecuadorianern widmen. Schon jetzt, nach einer Woche,  möchte ich sagen, das Volk ist ein weiteres Urlaubs-Highlight an sich. Zuvorkommend und hilfsbereit. Sie müssen nicht erst gefragt werden, sondern bieten ihre Hilfe ungefragt an. Einfach so. Egal ob man uns die richtige Buslinie nennt oder uns ein geheimes Plätzchen zeigt, mit einem wunderschönen Ausblick, an dem es nur so von Kolibris wimmelt. Aber das völlig Unvorstellbare passierte uns hier in der Lodge. Wir mussten eine Nacht verlängern, weil unsere nächste Unterkunft nicht frei war. Nun der Clou: Für diese verlängerte Nacht, müssen wir nichts bezahlen. Nicole und ich schauten uns völlig irritiert an, wie sich eben zwei Deutsche, die in einem fremden Land etwas umsonst erhalten in einem solchen Fall irritiert anschauen. No! No! No! No podemos aceptar eso. In den Google-Übersetzer tippte die Herbergsmama: Es ist uns eine Ehre, sie eine weitere Nacht kostenlos in unserem Haus nächtigen zu lassen.  In unserem Zimmer angekommen,  konnten wir diese selbstlose Gastfreundschaft immer noch nicht fassen. 

Im Prinzip schämen wir uns für unsere Vorbehalte und Übervorsicht vor und während unserer Reise. Ganz stark merkten wir dies, als uns ein Taxifahrer den Weg zu dem bereits erwähnten versteckten Aussichtsplatz wies. Der kurze Trail war teilweise zugewuchert gewesen und beide dachten wir: Kacke, jetzt überfallen sie uns tatsächlich. Wir liefen trotzdem weiter, mit einem unguten Gefühl. Ergebnis: Nichts Schlimmes ist uns passiert. Im Gegenteil. Wir staunten 30 Minuten wieder mal über die Freundlichkeit der Menschen und die famose Natur. Als wir zurück waren, streckte uns der nette Fahrer den hochgereckten Daumen entgegen und grinste dabei breit. Als ob er selbst darüber glücklich wäre, dass wir glücklich sind. Wir erwiderten freudestrahlend. Ganz Klar gibt es Kriminalität und Abzocke. Genau so  viel wie in jedem anderen Land. Vielleicht ein wenig mehr, weil man hier eben so wenig zum Leben hat. Aber die Menschen - und das waren bis jetzt schon einige -, die uns die Tage begegneten, waren alle wahnsinnig nett. Dieses kleine alltägliche Wort reicht eigentlich nicht aus, um die Leute zu beschreiben. Von der vergangenen Unterkunft haben wir sogar Tips für unsere Zeit in Mindo per WhatsApp erhalten. Auch wieder ungefragt. Nach solchen tollen Erfahrungen kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass man uns Böses will. Selbstverständlich sind wir vorsichtig, wie man eben in einem unbekannten Land immer auf der Hut sein muss. 


Von einem einzigartigen Natur- und Wandererlebnis möchte ich noch berichten. Die Wanderung zu den 7 Wasserfällen, inklusive unvergesslicher Seilbahnfahrt. Spektakulär! Wenn man keine 8 km extra laufen wollte, musste man die Tarabito nehmen. Ein Metallkasten, angetrieben von einem Nissan-Motor aus dem Jahre 2002.  In einer Höhe von 152 Metern fährt sie über den Nebelwald hinweg. Saust muss man besser sagen. Nix für Angsthasen.  Man könnte hier so viele Ängste haben: Angst vor der Höhe, vor der mangelhaften Technik, vor dem Unberechenbaren, vor der Kommunikation. Ist es aber nicht toll, sich mulmig zu fühlen und dann die Angst mit einem großen Juchzen überwunden zu haben? Ein 60 Sekunden unvergleichliches Erlebnis. Und das Beste: später noch einmal. So etwas als Paar gemeinsam zu erleben, das erlebte Glücksgefühl zu teilen, schweißt ungemein zusammen.  


Ach ja, die Flora und die Fauna. Darf ich auf keinen Fall vergessen. Deswegen reist man ja unter anderem überhaupt in dieses wunderbare Land. Noch nie waren Wanderungen und Spaziergänge so voll von Eindrücken. Ständig denkt man: Was kommt denn jetzt wieder gleich. Die Sinne sind permanent angespannt. Ich bin mir sicher, es ist das, was uns auch abends so müde macht. Das Hirn verlangt den Aus-Schalter! Sonst wäre es weiterhin angereichert mit Farben, Düften, Formen, Töne skurrilen Geschöpfen. Ich persönlich habe noch nie so einen bunten Strauß an Naturgeräuschen wahrgenommen. Den ganzen Tag über. Oft auch alles durcheinander. Es ist ein einsames Spiel, die einzelnen Geräusche auseinander zu halten und zu verorten. Alles ist so neu. Immer wieder stellt man sich die Frage: Habe ich schon jemals so intensiv diesen Blütengeruch wahrgenommen?  Immer wenn wir durch das Tor unseres Hostels schreiten, baden wir in einem exotischen Schaumbad, so scheint es uns. Natur zu erkunden, wahrzunehmen, zu analysieren, ist mit das Schönste was es gibt. Nichts lässt einen mehr spüren, dass man im Hier und jetzt lebt. Das soll irgendwann alles zerstört sein? Alles (durch einen Meteor?) ausgelöscht? Einfach weg. Die ganze harte  Arbeit Gottes in einer Sekunde dahin? Ich futsch? Sie futsch? Du futsch? Macht es dadurch nicht noch mehr Sinn, zu starren und zu staunen, zu riechen und zu hören, zu schmecken und zu kosten? Zu streifen und zu schlendern? Immerzu? 


Die letzten Zeilen sollte mein letzter Mindo-Eintrag sein. Nicole meinte, du kannst doch unseren letzten Tag nicht unterschlagen; du musst da noch etwas schreiben. Diesem Wunsch komme ich sehr gerne nach. Bis jetzt läuft alles wie am „Schnürchen“. Alle Buchungen und Aktivitäten waren nach unseren Vorstellungen und haben sie gar übertroffen. Wenn man sich es wünschen könnte, dann würde man doch das Highlight einer Station ganz ans Ende legen wollen. Das wäre doch perfekt. Tja, so war es dann auch. Zweigeteilt war dieser Wahnsinnstag. Morgens um 6.00 Uhr waren wir mit Sandra, der Hobby-Ornithologin, unterwegs. Mit ihr zusammen gingen wir auf die Jagd nach „many nice birds“, wie sie es formulierte. Mit Ferngläsern bewaffnet, fühlten wir uns wie Biologiestudenten im 1. Semester. Leise schlichen wir durch den Nebelwald und hofften, den Nationalvogel tucán zu sehen. Siehe da Volltreffer. Viele weitere wunderschöne Vögel bekamen wir vor die Linse. Nicole war in ihrem Element. Gib dieser Frau eine Kamera in einer famosen Naturkulisse und sie ist die Zufriedenheit in Person. Unser Guide war cool. In perfektem Englisch, mit viel Liebe zu ihrem Job, erklärte sie uns das Schöne am Nebelwald. Immer wieder ist Mindo Weltmeister im 24-Stunden Vogelartenzählen. Was für ein magisches Talent, die schönsten Vögel im dichten Dschungel ausfindig zu machen. Ohne Sandra hätten wir nur halb so viel entdeckt. Wenn überhaupt. Entweder machte sie die schrägsten  Lockrufe nach oder spielte sie über ihr Handy ab. Sie entdeckte sogar ein kleines verstecktes Kolibri-Nest mit 2 Eiern darin. Immer motivierte Sandra durch Rufe die Kolibri-Mama das Nest anzufliegen. Als Vogel Beobachter benötigt man viel Geduld und Beharrlichkeit. Schon seltsam, mit wenig man Menschen glücklich machen kann. Die Kolibri-Mama flog das Nest an und schaute nach ihren Kids. Wir wagten kaum zu atmen bei dem Anblick. Auf einem Plateau wurde dann für uns ein Frühstück im Kofferraum unseres Privattaxis vorbereitet. Leckere heimische Früchte und einen dampfenden Kaffee. Wie gesagt, für einen Glückszustand braucht es wenig. Diesen Zustand erreicht man bekanntlich auch durch etwas Adrenalin. Mittags waren wir so gechillt, dass wir mutig das Canopy buchten. Als wären wir 25 und unsterblich. Wir haben beide überhaupt nicht gewusst, auf was wir uns da einlassen. Die lachenden und fröhlichen Menschen auf den Werbebildern. machten uns neugierig. Und Erfahrungen mit von Baum-zu-Baum-Rauschen in Kletterparks hatten wir ja schon gesammelt. Noch bei der Einweisung und verschiedenen Anschauungsfahrten blickten wir uns an und dachten: Sind wir eigentlich völlig blemmblemm. Aber irgendwann gibt es kein zurück. Vor allem nicht, wenn eine zierliche Mexikanerin in einem viel zu großen und zu warmen Flannelhemd sich diese Mutprobe traut, dann kann man doch hier jetzt nicht kneifen, oder? Die beste Entscheidung wieder einmal. 90 Minuten fühlten wir uns wie die Vögel, die wir morgens so leidenschaftlich beobachten. 90 Minuten kam man sich vor wie Idiana Jones und Indiana Jane. 10 Touren gab es. Die volle Runde! Zwei davon die schnellsten. 8 und 10. Mit einem Lederhandschuh musste man da die Geschwindigkeit abbremsen, sonst wäre man am anderen Ende gegen den Baum geknallt. Die letzte Bahn, wie sollte es anders sein, die längste, höchste und schnellste. Waren wir stolz, dass durchgezogen zu haben. Von allen „Mitfliegenden“waren wir immerhin die Ältesten. In unserer Stammkneipe Art-Crêpe unten in der Stadt belohnten wir uns mit dos cervezas und dem leckersten vegetarischen Crêpe unseres Lebens. Was für ein Tag, was für eine erste Woche Urlaub - hier im Nebelwald von Mindo. Cotopaxi kann kommen!  

 



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