Schluss mit lustig!?

20.06.2022, 09.36 Uhr - 11. Tag positiv

Mich gibt’s nicht ohne Humor. Ohne ihn würde ich verrückt werden. Er ist Lebenselexier. Er hält meinen Motor am Laufen. Ich weiß nicht, wie er zu mir gekommen ist, warum er da ist und warum er mich schon immer begleitet. Vielleicht hat er mich überhaupt alles erst überleben lassen, was mir so in den vergangenen 53 Jahren begegnet ist. Wie kann man einen gewalttätigen Vater und eine psychisch kranke Mutter überleben? Das geht nur mit Humor und einer gehörigen Prise Ironie. Nun habe ich das ungute Gefühl, dass ich meinen lieb gewonnenen Humor langsam aber sicher verliere. Wie soll ich lustig über eine Coronainfektion schreiben? Nein, es war doch keine allergische Reaktion, die bei mir die Schule evtl. auslösen hätte haben können. Ganz einfach Corona positiv, angesteckt in der Penne am ersten längeren Schultag, 14 Monate nach Krankenstand. Eine Ironie, die selbst mir nicht schmeckt. Schmecken. Ein schönes Verb. Wenn man es denn auch tut. Ich schmecke nichts mehr. Ein Eiskaffee ist einfach nur kalt und ein Thymiantee eben heiß, sonst nichts. Humor und Schmecken, das bin ich. Wenn das flöten geht, was bin ich dann noch? Ich kann einen Witz reißen über meine Hodenarmut, aber doch nicht über den Verlust meines Geschmacksinns. Bei jedem Bissen schießt der Gedanke durch den Gaumen: Und wenn er nicht wieder kommt?  Den 11. Tag bin ich nun positiv. Die ersten Coronatage waren heftig. Covid hat mich 4 Tage völlig in alle Einzelteile zerlegt. Aha, so ist das also! Auf diese Studie am eigenen Körper hätte ich gerne verzichtet. Ich tue mir schwer bei Vergleichen von körperlichen Zuständen. Vieles ist oft ähnlich, aber auch wiederum ganz anders. Die Infektion erinnerte mich an meine „Chemotage“. Wie aber bereits gesagt: Sie war auch etwas völlig Anderes. Es ging nämlich GAR NICHTS mehr, nicht mal das Denken. Man ist von Kopf bis Fuß in Abdichtfolie eingehüllt. Von mir aus konnte die Welt so kaputt bleiben wie sie ist. Von mir aus konnten die Russen in Warschau, Berlin und Paris einmarschieren. Spritpreis 3 Euro. Massaker hier, Psychopathen dort, Höcke Bundeskanzler. Alles egal! Die einzige Hoffnung: Dass vielleicht durch Schlaf und Stille alles besser werden wird. Richtig gruslig war das immer  wieder steigende hohe Fieber. Wann hatte man zuletzt 40 Grad Fieber? Als Kind vielleicht. Da war man aber eine unwissende Bettwanze. Jetzt war klar: Oh, oh, nicht so gut! Die angelegten Wadenwickel versetzte einen in die Kindheit zurück. Man lag plötzlich wieder in dem rot-weiß lackierten schäbigen Plastikkinderbett, roch den betagten muffigen aufgeplatzten Teddybären, der einem die bösen Geister vom Leibe hielt und schlotterte am ganzen Körper. Nicht nur vor Kälte, sondern auch vor Angst, dass mir die Mami demnächst wieder das Thermometer oder ein Zäpfchen in den Hintern rammt. Wenigstens blieb mir DIESES Ungemach heute erspart. Komisch: Ich stelle gerade fest, in Auseinandersetzungen mit dem Schwulsein kommen mir immer irgendwelche Fieberzäpfchen und klassischen Messgeräte in den Sinn. Nein, ich wollte und will auf keinen Fall schwul sein! Zäpfchen und Zapfen? Never ever! Nicole wickelte nur - und rammte nichts. Vier Tage ging das so. Hoch, runter, hoch, runter. Das Fieber machte, was es wollte. Dabei wurden mehrere T-shirts durchgeschwitzt, 1000 Tempos vollgerotzt und 4 Kliniken konsultiert. Die telefonische Odyssee übernahm Nicole, die anfänglich noch nicht so lädiert war wie ich. Endlich hielt ich das Anti-Covid-Wundermittel für Risikopatienten*innen und Ungeimpfte in meinen Händen.  Paxlovid! Drei Tabletten, zweimal am Tag, fünf Tage lang. Krankheit ist doof, aber Tabletten zu nehmen noch viel doofer, auch wenn sie helfen. Ich hasse Tabletten! Paxlovid stoppt anscheinend die Vermehrung der Viren. Ha! Warum ihr verblödeten Pharmazeuten bin ich dann am 11. Tag noch positiv? 

Wie würde ich jetzt wohl ungeimpft  und ohne diese 5-Tage-Paxlovid-Kur daliegen? Im künstlichen Koma auf dem Bauch? Es gibt immer noch viele Fragen zu dieser beschissenen Viruserkrankung. Ist das bei mir ein „schwerer Verlauf“ oder nur die berühmte „Männergrippe“?  MANN hat einen Schnupfen, aber er denkt, er stirbt. Nach drei Jahren steuert man als Betroffener weiterhin in den Pandemie-Nebel hinein, ganz ohne Scheinwerfer. Eine große Unsicherheit ist vorherrschend, wenn es einen erwischt. Vor allem herrscht sie bei der Partnerin vor, wenn sie ihren lebensfrohen Liebsten nur noch apathisch röchelnd sieht oder wenn ihn ein Hustenanfall fast dahinrafft. So ganz ohne humorigen Mucks erlebt sie ihn so gut wie nie. Macht der Schnur mal keine Witze mehr, wird es ernst. 112! Corona zieht aus all seinen Poren noch den kleinsten Krümel Humor, so scheint es. Als würde er mit dem Schweiß und dem Rotz zusammen aus mir heraus fließen. Wenn mir ein „Leugner“ oder „Verharmloser“ nochmal über den Weg läuft, zwing ich ihn ein von mir aufgehobenes vollgerotztes Taschentuch zu verspeisen. Nein! 1000! 

 

Nun, kein Fieber mehr - juhee! -, aber alles andere quält immer noch. 2 Tage Ruhe hatte ich vielleicht - und dann flammte alles wieder von vorne auf. Manchmal denke ich, da sitzt Gott in seinem großen Rechenzentrum und drückt auf „zermürben“. Zielgruppe: A96, B33, C48. Leider bin ich bei den A96ern dabei. Und wenn der Arsch, also Gott, wie ein bekloppter Quizzer buzzert, dann peinigt  mich eine geradezu unmenschliche Hustenattacke. So irre, dass ich mir dabei vorstelle, mir gleich meine inneren Organe auf die Füße zu kotzen! Humor? Paah! 

Nicole hustet nicht, zumindest kaum. Sie bekommt keine Luft. Auf dem Weg zwischen Küche und Wohnzimmer besteht in den letzten Tagen immer die Gefahr des Kollabierens. Beide versuchen wir unnötiges Treppensteigen wie der Teufel das Weihwasser zu meiden. Geh du, nein du, och Schatz bitte, echt jetzt? Nö! Nö! Nö! Tsching, tschang, tschong! Fuck! 

Aber mein Glück: Nici ist wieder negativ! YES! Somit ist jetzt wieder ordentlich Obst und Gemüse im Haus. Mir geht’s ja nur um Vitamine. Geschmacklich könnte ich auch Pferdeäpfel verdrücken. Leckeren Rhabarbarkuchen gab’s auch von der mitleidigen Nachbarschaft. Hmmm…mampf…lecker…schmeckt wirklich toll nach Rhabarber. So frisch! Und gar nicht süß. Dabei hätte ich auch genauso gut in DerWolkes Schwanz beißen können. Jedes kulinarische Highlight verpufft auf meiner Zunge zu einem nebligen NICHTS! Wenn das tatsächlich so bleibt, sauf ich 20 Flaschen Eierlikör bis ich tatsächlich nie wieder was schmecken werde.

 

Wenn ich meine Nici nicht hätte. Auch ohne Hoden und mit 20 Flaschen Eierlikör intus würde sie mich noch pflegen. Also ich ohne Hoden, sie mit 20 Flaschen lecker Likörchen im Kopp. Selbst krank und ein kranker Mann zuhause: Hey meine Damen, stellt euch das mal nur einen kurzen Moment vor. Nicht aus dem Fenster springen, nur vorstellen!  Sie ist nicht nur „gut gegen Nordwind“, sondern gut gegen jeden Tornado, Hurrikan oder Taifun! Wenn das nächste Mal Corona über mich kommt, dann nur mit ihr zusammen. Und mit viel Eierlikör im Kühlschrank. 

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