Vor fast genau vor einem Jahr an meinem Geburtstag schrieb ich:
Always look on the bright side of life
Some things in life are bad
They can really make you mad
Other things just make you swear and curse
When you're chewing on life's gristle
Don't grumble, give a whistle
And this'll help things turn out for the best
And
Always look on the bright side of life
Always look on the light side of life
If life seems jolly rotten
There's something you've forgotten
And that's to laugh and smile and dance and sing
When you're feeling in the dumps
Don't be silly chumps
Just purse your lips and whistle, that's the thing
And
Always look on the bright side of life
(Come on)
Always look on the right side of life
For life is quite absurd
And death's the final word
You must always face the curtain with a bow
Forget about your sin
Give the audience a grin
Enjoy it, it's your last…
Nicht warten auf Godot, sondern auf Frau Dr. Meissner...bin gespannt, welchen Plan sie für mich hat. Ich kenne das ja leider zu gut, aber Nici nicht, die Arme. Wer ist aufgeregter? Eindeutig sie.
Ich hab DIE BESTE an meiner Seite. Nie hätte ich gedacht, dass man nach neun Jahren noch verliebt sein kann. Es zerreißt mir das Herz, sie und Anna so traurig sehen zu müssen.
Ich plane schon im Kopf unsere Backpacker-Tour durch Südamerika. Ein großes Abenteuer, aber das hier ist ein größeres. Mount-Everest und K2 an einem Tag!
Das Warten nervt...
Unser perfektes Leben ist mit dem heutigen Tag zu Ende! Vorerst! Mit dem heutigen Tag werde ich zum zweiten Mal mein ICH verlieren, vielleicht etwas weniger als vor 10 Jahren. WIR werden trotzdem weiterhin versuchen zu tanzen, zu singen und zu pfeifen. Wir werden schreien, weinen, kämpfen...kämpfen...kämpfen und dabei auf die Sonnenseite des Lebens blicken. Jeden Tag ein bisschen (mehr). Jeden Tag werden wir den Krebs auslachen. Jeden Tag werden wir uns küssen, umarmen, halten. Das Leben ist absurd! Aber es bleibt verdammt nochmal UNSER Leben.
Befund 30.04.2021, 08.35 Uhr, Medizinische Universitätsklinik Heidelberg, Hämatologie:
Rezidiv Hodgkin-Lymphom.
Ich werde das Ding wohl nicht mehr los in diesem Leben.
Aber man kann es so in den Griff bekommen, dass ich doch noch älter werden kann als mein Bruder Wilfried. Den Wettkampf würde ich ganz gern gewinnen.
Mein Leben ist nicht akut bedroht, aber zukünftig. Und das nicht nur aufgrund einer vermurksten Schul- und Bildungspolitik.
Therapieplan: noch offen.
Müssen wir nachher bei einem Glas Fuck-you-cancer in der Familie alles in Ruhe besprechen.
Meine wunderbare Frau Dr. Meissner hat mir mehrere Wege aufgezeigt. Stammzellentherapie in Coronazeiten wird’s auf jeden Fall nicht. Das weiß ich. Meissner hat mir auch davon abgeraten.
Anna und Uli waren per Handy zugeschaltet. Das war einfach nur toll. Das hat mich so stark gemacht. Hulk! Unbesiegbar, witzig, aber hin und wieder mit brüchiger Stimme.
Nici: Die Meissner is ja cool, die passt zu dir (als Ärztin!!!).
Für Nici beantrage ich die Heiligsprechung.
Mein Wachtfelsen!
Wie sagt man im Sport: Die Saison ist für ihn gelaufen. Mindestens.
Ich werde wieder einen Schwerbehindertenausweis brauchen.
Nur diesmal darf ich meine Lockenpracht behalten.
Ist doch schon mal was.
So eine Geschichte am Geburtstag. Fühl mich wie im Bergdoktor.
You gotta fight for your right toooo party...
Auf der Heimfahrt im Radio eins meiner Lieblingslieder gehört: Wer hat dich bloß so ruiniert von den Sternen. Ja wer?
Und ein Jahr später?
Können wir wieder unsere kleine Alltagsabenteuer erleben. Zum Beispiel eine Fahrradtour quer durch die Pfalz: der Kraut-und Rüben-Radweg. Mit Übernachtungen in Hassloch und Zeiskam. Wer hätte das vor einem Jahr noch gedacht. Obwohl ich stets Zuversicht ausstrahle, war ich es nicht immer. Jedes Mal, wenn einem das Schicksal von Neuem in die Fresse tritt, wird auch die Zuversicht ein Stück weniger. Wer hat den Zuversichtstrank immer beharrlich aufgefüllt? Nicole! Wir waren uns schon vor der erneuten Diagnose nah, nun passt kein Weinkorken mehr zwischen uns. Zu wissen, egal was da kommt, man kann sich auf seine Partnerin verlassen, ist die wichtigste Medizin überhaupt. Das Wort Dankbarkeit reicht da eigentlich nicht aus. Und jetzt hat sie mir auch noch dieses grandiose Geburtstagsgeschenk gemacht. Wie immer, wenn wir unterwegs sind, reichhaltig an Erlebnissen, Erfahrungen, Beobachtungen, Skurrilitäten, und sauschönen Momenten. Die sehr „besondere“ sehr dünnwandige Unterkunft im Hasslocher Industriegebiet, war wahrlich eine Erfahrung. Komplett weiß durchgekachelt. Ein Bett, das keins war, sondern eher eine Großbaustelle. Beim Umdrehen hatte ich immer das Gefühl, dass ich gleich einen Abgang mache und mir ein Schädelhirntrauma zuziehe. Aber dafür gab es überraschenderweise ein herausragendes Frühstück ohne osteuropäische dauerqualmenden Hilfskräfte, die die Nacht über geschnarcht haben, als würden sie damit ihre Zloty verdienen. Der erste Tag voller herrlicher Frühlingssonne, der zweite Tag, so kalt auf dem Fahrrad, dass wir dachten, unsere Finger frieren am Lenkrad fest und die Nase des Fahrradkumpels fliegt einem jeden Augenblick um die nicht mehr vorhandenen Ohren.
Das kleine süße unscheinbare Café in Bellheim - so wunderbar. Dort kriegt man die leckersten selbstgebackenen Kuchen der Südpfalz, die direkt vor den Augen der Gäste angerührt werden. Der kleine Raum riecht so nach Vanille und Hefe, das einem auch ohne einen Löffel Eierlikörkuchen ganz warm ums Herz wird, und man sich an die Kindheit mit Wannentag und den Waltons zurückerinnert fühlt. Die Fahrradtour war sowieso eine Tour der Gerüche: Bärlauch, Frühlingszwiebeln, Flieder, Dünger, frisch gesägtes Holz, nasse Erde, Gewürztraminer Spätlese vom Pfaffmann oder Cuve Guillaume vom Becker. Hinter jeder Kurve erwartete uns ein neues Geruchserlebnis. Ein alteingesessenes Bellemer Trio am Nachbartisch, deren wöchentliches Ritual es nicht ist zu baden, sondern sich den neuesten Tratsch bei Kaffee und wahrscheinlich guter Laune zu erzählen, war „Dorfleben live“, eine sehenswerte Doku auf RTL. „Conny, wie immer! Ist doch klar!“ Der dünne kleinwüchsige Herr mit FCK-Wollmütze bekommt nach seiner Bestellung unverzüglich seine Kugel Erdbeereis kredenzt, an dem er wahrscheinlich immer noch sitzt, lacht und schlotzt. Für Insider: Die zwei Damen, die ihm stoisch gegenüber saßen, erinnerten mich stark an Ur-Oma Anna. (Nach ihr wurde MEINE liebste Anna benannt!) Gott hab sie selig! Nicht Neu-Anna, sondern Ur-Anna natürlich. Warum kam mir hier bloß ihr berühmter Süßigkeitenvorhang in den Sinn?
Freundliche Mitfahrer*innen und Woistubbegegnungen kreuzten wiederholt unsere tolle Tour. Die einen geben einem den Tipp für das beste Eis in town und die anderen berichten von dem Tag der Tage, als der große FC Bayern mit Klaus Augenthaler und Jean-Marie Pfaff in Hatzenbühl spielte. Die Schlemmerorgien im Hasslocher Hubertushof und in der Zeiskamer Mühle werden sicherlich auch unvergesslich bleiben. Ein fragwürdiges Hobby, wir wissen es, aber wie stand es auf einem Schild: Ein Leben ohne Genuss ist kein Leben. Der beste Gang in den 3 Tagen: die Zeskämer Zwiwwelvorspeise. Legendär! Ein weiteres Hobby, nicht fragwürdig: Quatsch machen. Meine These: Menschen, die nicht Quatsch machen können, sind mit Vorsicht zu genießen. Putin ist und Hitler war bestimmt kein Quatschmacher.
Bei so einer Beobachtungstour stellen sich auch immer wichtige Fragen. Wer kauft sich einen Kaktus mit dem Namen Schwiegermuttersitz für 3250 Euro? Der Schwiegersohn? Wie werden diese Ungetüme von Kakteen eigentlich transportiert? Warum riecht es in Bahnhöfen und Bahnhofsaufzügen immer nach Urin? Weshalb wohnt man bitteschön in Ludwigshafen? Wie viel Golf spielende Ü60-Herren gibt es noch, die ein Gespräch über die Aufzucht von Petersilie führen? Warum finden so viele Menschen, dass Windräder hässlich sind? Wir finden sie wunderschön! Sehe ich nun Tom Selek ähnlicher oder Jürgen von der Lippe? Was nehmen wir alles auf unsere Südamerika-Reise nächstes Jahr mit? Uns fällt es so unsagbar schwer, nur das Nötigste einzupacken. Und dann bringen solche intensive Tage aber auch befruchtende Erkenntnisse. Nummer 1: Passend zum letzten Punkt von oben. Zwei Unterhosen reichen völlig für fünf Wochen Südamerika. Erkenntnis Nummer 2: Trinke nie einen halben Liter Radler ohne ein Klo in der Nähe. 3: Achte bei Nässe stets auf die Beschaffenheit der Fahrbahn. 4: E-Bikes mit der Rolltreppe zu transportieren ist wirklich keine gute Idee, da sie recht schnell zum Tode der Hinterfrau führen kann. 5: Geliebt zu werden, ist das größte Glück auf Erden. Überleben auch!
Ein Jahr später - wir haben unser Leben zurück! Uns geht es sehr sehr sehr gut, sowohl körperlich als auch psychisch. Wir können wieder hoch und weit springen, singen, tanzen und ringen. Alle noch vorhandenen Wehwechen sind dem Alter geschuldet und können ertragen werden. Vielleicht hat man Glück und das eine oder andere verschwindet noch mit der Zeit. Ich war in den letzten 13 Monaten sehr kritisch. Noch kritischer als gewohnt. Mit mir, meiner Umwelt, mit allem. Man muss mich manchmal auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Und der Boden der Tatsachen ist: Dass ich von ein paar Personen sehr geschätzt und geliebt werde. Sie sind mir nah und begleiten mich auf Schritt und Tritt. Man braucht nicht viele Freunde, die einem nahe stehen, die einen verstehen, und wenn nötig korrigieren. Das ist ein Irrglaube. Man braucht die paar "Richtigen". Und die habe ich. Das musste ich mal wieder lernen. Wer kann von sich schon behaupten, dass er die Liebe seines Lebens gefunden hat. Wer kann von sich schon sagen, dass er von einem Kind als Papa geliebt wird, obwohl er nicht der leibliche Vater ist. Wer kann davon berichten, dass er drei "Lebensfreunde" hat, die wenn es darauf ankommt, alles stehen und liegen lassen, wenn man sie braucht. Manchmal muss man mich wachrütteln, ohrfeigen, um wieder vernünftig sehen zu können. Ein Jahr später und alles ist gut. Allways look on the bright side of life...
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