Kleiner Eingriff, große Wirkung. Anna meinte: Nun bist du kein Cyborg mehr. Ja, es ist eine Art von Freiheit, nicht mehr von medizinischen Gerätschaften abhängig zu sein, seien sie auch noch so klein und Routine.
Die besonderen Befindlichkeiten bekommt ja im Prinzip niemand so recht mit. Manche Menschen hassen es, über Empfindungen zu sprechen. Sie machen alles im Stillen mit sich aus. Emotionen sind zu peinlich. Das ist schon lange nicht mehr mein Ding. Mich bringt es weiter, wenn ich über Gefühle spreche. Über meine und die der Anderen.
Für mich ist heute ein ganz besonderer Tag. Port raus heißt, die Therapie hat ein Ende gefunden. Keine elende Flüssigkeit sprudelt durch die Adern mehr. Ein Symbol des Überlebens. Leider ja nicht endgültig, aber vorerst. Hoffen wir, dass ich wieder ein paar Jahre Ruhe habe.
Sehr professionell alles hier im Städtischen. Der OP-Bereich moderner als in Heidelberg oder im Vinzentius. Herr Magenkrebs und Herr Darmkrebs wünschten mir viel Glück. Meine kurzzeitigen WG-Kumpanen. Ich wünschte ihnen mehr Glück. Herr Magenkrebs ein lustiger gesprächiger 83-jähriger Opa, ohne Magen, aber wahrscheinlich mit einer Menge Metastasen, lächelte ständig vor sich hin. Oder schüttelte darüber den Kopf, dass er nicht „kacken“ konnte. Ich wäre vor einer Magenspiegelung wohl nicht so lustig drauf. „Ich würde lieber ne Schorle trinke, als des Gsöff hier.“ „Habe se do Peterle uff ihrem Weck?“. Mein ganzer Garte isch voll. Kann bloß nix esse.“ Hab mich für den Peterle entschuldigt. „Ach, scho gut, i hab au Freud am zugucke.“ Beim Telefonat mit seiner Frau ging’s auch viel ums Essen. „Was hasch denn gesse? Oh! Lecker! Der neue Mann, hat Peterle uffm Weck!“ Das muss die Hölle sein: Lust aufs Essen zu haben, und nix mehr runter zu bekommen. Darmkrebs war Pole, Mitte 50, redete nicht. Er litt, schnarchte und pupste.
Der Port is draußen! Eine Sache von geschätzten 20 Minuten. Die Stimmung im OP-Saal war sehr ausgelassen. Es wurde gelacht, gescherzt und gesungen. Fast so wie in Grey’s Anatomy. Man ging mit mir geradezu liebevoll um. Dafür, dass die Betäubung eine „kleine Dosis“ gewesen ist, war mir ziemlich schummrig.“ Das letzte derartige Kreisen erlebte ich mit 20. Ursache: 4 Jacky Cola, 3 Joints und eine Bong. Diesmal war es eine Ladung Morphin. Halleluja! Schnell war der Kreisel-Effekt aber wieder verflogen. Magenkrebs quälte sich derweil mit Abführmittel. Darmkrebs ging eine rauchen. Meine Vitalzeichen waren Bombe. Ich glaube, nicht mal die Sportlehrer an unserer Schule haben solche guten.
Schön, diese mitfreudigen Rückmeldungen von verschiedenster Seite zu erhalten. Es tut immer gut, wenn man ganz praktisch merkt, man ist einem wichtig. Ich schätze das sehr.
Nicole und ich haben heute Abend das letzte Jahr in unserem Lieblingsweingarten Revue passieren lassen. Als ob das Wetter uns zuhörte, klärte sich der Himmel auf und strahlte von allen Seiten. Beide ist uns nun klar, dass uns nichts mehr trennen werden kann. Das Dick und das Dünn verbindet auf ewig. Im Sonnenschein lässt sich gut leben, im Gewitter müssen wir uns alle erst bewähren. Gemeinsam waren wir geschockt, haben gebangt und gezittert. Haben uns gehalten und gestützt, wenn nichts mehr ging. Daher ging auch immer mehr als zuerst gedacht. In der Krankheit ist ein wesentlicher Faktor der Kopf. Wenn man da liegt und nicht mehr kann, arbeitet meistens noch das Hirn. Die Gedanken können mithelfen zu heilen oder eben auch das Gegenteil bewirken. Und das Entscheidende: In einer guten Partnerschaft denkt und handelt man niemals alleine. Das Denken und Tun des Andern stärkt oder schwächt. Nicoles Denken und Tun hat mir tagtäglich von Neuem Kraft gegeben, nicht zu verzagen. Sie hat mich mit all meinen Wunden am Körper und in der Seele genommen, so wie ich bin und sogar geliebt. Ich habe in einem Artikel vor ein paar Tagen gelesen: Wer dankbar sein kann, lebt ein glücklicheres Leben. Ein für mich sehr nachvollziehbarer Gedanke. Wir leben diese These jeden Tag. Gemeinsam.
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