Auf den Spuren von Thomas Bernhard mit dem schwulen depressiven Kater Mikesch

Reha Teil 3 - Tag 21. Bevor ich Thomas Bernhard und Kater Mikesch begegnete, traf ich noch Billy Gibbons von ZZ Top im Schiller beim Frühstück. Er ist auch Patient in meiner Klinik, hat verfaulte Zähne, raucht Kette und trägt jeden Tag eine Regenjacke und Regenhose. Das blaue Schlüsselband baumelt dabei stets aus der Hosentasche. Also Krebs. Ich frühstückte ein Advocadobrot mit einem Scampispieß, Billy ein Weizenbier. Um 10.25 Uhr. Ich schätze mal, der Altrocker hat nicht nur Krebs, sondern  auch ein massives Alkoholproblem. Er saß nur noch 10 Minuten auf der mit Morgensonne überfluteten Terrasse, rauchte aber 20 Zigaretten. Ich tippe mal auf ein Lungenkarzinom. Außerdem hat er wohl den Tod seines Musiker-Kumpels immer noch nicht verarbeitet. 


Gestärkt ging’s nach Traunstein mit Zug und Fahrrad. Das Fahrrad ist mir regelrecht ans Herz gewachsen. Ich hab tatsächlich kurz überlegt es dem Fahrradhändler abzukaufen. Kann es kaum ertragen, es zurück zu lassen. Es ist wie ein lieb gewonnenes Pferd, das einen mutig durch alle Schlachten getragen hat. Mit Thomas Bernard befasste ich mich als Student in einem Dramatik-Seminar. Typisch für Bernhard sind seine Ein-Personen-Stücke und seine Beschimpfungstyraden. In der autobiographischen Erzählung „Ein Kind“ lässt er kein gutes Haar an seiner Familie und der Stadt seiner Kindheit. Das Seminar und die Texte von Bernhard empfand ich als anstrengend und spannend zugleich. Dieses Schimpfen und Erbostsein hat man selten in der Literatur. Das ist seltsam, obwohl gefühlt die ganze Welt stinkig auf alles und jeden ist. Inspiriert von Bernhards Hass schrieb ich damals einen Text, in dem ich meinen Vater hemmungslos beschimpfte. Ein gefundenes Fressen für jeden Psychologen. Der Bernhardsche Spazierweg war schön. Am Viadukt vorbei, dass der Schriftsteller als Kind in die Luft sprengen wollte. Nach dem Viadukt zum Kolbenstein, an der Traun entlang. Fliegenfischer inbegriffen - und ein schwuler depressiver Kater mit dem Namen Mikesch.  Er schloss sich mir ungefragt an und begleitete mich etwa 5 Kilometer. Er befand sich in der psychosomatischen Katzenklinik zur Kur. Hatte schon mehrere Selbstmordversuche hinter sich. Einmal kramte er den scharfen Deckel einer Futterdose aus dem Mülleimer und schlitze sich die Pulsadern damit auf. Seine Familie akzeptierte seine Homosexualität nicht. Auch sonst war der Kater anders: Er mochte kein Fleisch, sondern aß für sein Leben gern Kuchen aller Art, benutzte süßes Frauenparfüm (bevorzugt Channel Nr. 5), liebte Schaumbäder, trieb keinerlei Sport, auch nicht das Mäusejagen und rezitierte ständig Rilke. Sein Lieblingsgedicht: 


Die Liebende

Ja ich sehne mich nach dir. Ich gleite
mich verlierend selbst mir aus der Hand,
ohne Hoffnung, daß ich das bestreite,
was zu mir kommt wie aus deiner Seite,
ernst und unbeirrt und unverwandt.

...jene Zeiten: O wie war ich Eines,
nichts was rief und nichts was mich verriet;
meine Stille war wie eines Steines,
über den der Bach sein Murmeln zieht.

Aber jetzt in diesen Frühlingswochen
hat mich etwas langsam abgebrochen
von dem unbewußten dunkeln Jahr.
Etwas hat mein armes warmes Leben
irgendeinem in die Hand gegeben,
der nicht weiß, was ich noch gestern war. 



Kater Mikesch hatte eine schöne Stimme. Ich hörte ihm gern zu, konnte aber ein wenig nachvollziehen, dass seine Familie Probleme mit ihm hat. Wer möchte schon jemand Zuhause sitzen haben, der ständig Liebesgedichte von Rilke vorträgt. Dass er versuchte, mir schnurrend an die Wäsche zu gehen, war mir sehr unangenehm. Ich machte ihm klar, dass ich nur auf EINE besondere badische Katze stehe. Wir diskutierten über die verschiedenen Modelle des Zusammenseins. Mikesch war natürlich für die freie Liebe. Man sollte mit jedem poppen dürfen, mit dem man es denn auch wollte. Das Wort „poppen“ aus dem Munde des feinen Kater Mikesch zu hören, wirkte auf mich sehr befremdlich. Ich betonte: Freie Liebe? - Das ist nichts für mich! Ich setze da auf Beständigkeit und Vertrauen. Mega langweilig!  

Es war sehr angenehm, nicht alleine durch die schöne Landschaft zu pilgern. Kater Mikesch bog irgendwann ab, er wollte noch Rüdiger aus der Selbsthilfegruppe besuchen. Der durchlebte auch gerade eine schwere Krise. Er vertrüge seit Monaten kein Katzenstreu mehr und kacke alles voll. Das komme jetzt auch nicht so gut bei seiner Sippe an. Der Grund für Rüdigers Katzenstreuphobie sei nicht bekannt.

Ich ließ den schönen und ereignisreichen Tag im Trauensteiner Hofbräuhaus ausklingen und las bei einem kühlen Bockbier in der Abendsonne zum Abschluss ein paar Rilke-Gedichte. Ich vermisste den schwulen Kater an meinem Bein. 

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