Knochenbiegerin und Seelenstreichler


Bevor es um die Knochenbiegerin und die Seelenstreichler geht, ist noch von einer Schnitzeljagd zu berichten. Das MRT stand gestern an. Leider wurde ich vor der falschen Klinik abgesetzt. Der hausinterne Fahrdienst schmiss mich in der RoMed raus. Nach Zwischenstationen an der Klinikrezeption, beim Röntgen,  wieder Klinikrezeption und in der Notaufnahme war endlich klar: Die Klinik hatte gar kein MRT. Der junge hübsche Arzt in der Notaufnahme verdrehte die Augen und winkte ab bei der Nennung meiner Klinik. Er schickte mich 500 Meter weiter ins Gesundheitszentrum. Kurz dachte ich darüber nach, mein Taxi zu kontaktieren. Nur so zum Spaß. Die gebrechliche alte Oma hätte es schließlich ja auch tun müssen. Entschied mich wegen dem guten Wetter und meiner herausragenden Kondition dagegen. Das Zentrum für Gesundheit war ein hypermoderner Block, so modern, dass man an aussagekräftige Wegweiser gespart hat. Rechts nach dem Eingang eine urologische Praxis. Synapse 646 meldete mir: Kein Bedarf. Links war eine Praxis ohne Bezeichnung.  Synapse 5 an Schnur: Durchgehen! Dort fragte ich höflich nach. Eine menschliche unfreundliche Synapse murmelte…Stockwerk…runter…Aufzug.  Ja richtig, vom Eingang des Zentrums geradeaus war ein gläserner Aufzug, der auf Anhieb gar nicht wie ein Aufzug zu erkennen gewesen war. Ich stieg ein, fühlte mich wie bei der NASA, mit genau so vielen Knöpfen. Was drücke ich jetzt hier, in welchem Stockwerk befinde ich mich eigentlich, wartet unten etwa die Organentnahme? Leber, Niere und letzter Hoden ade! Synapse 353 meldete mir: Drücke die Null, du Depp! Beim Öffnen der Türe unten erwartete ich Kafka, der mich breit angrinst: Alter du steckst in meiner verschollenen Kurzgeschichte mit den Titel „Der Aufzug“ fest. Stattdessen stand ich vor einer überaus freundlichen Arzthelferin mit einem extrem-bayerischem Akzent. Noch bevor ich Irmingard aussprechen konnte, lachte sie; Jo dann san sie der Herr Schnurrrrrrrrr. Ich glaube sie würde immer noch r‘s rollen, hätte ich nicht genickt. Das sitzende rollende r hatte sich in meiner Klinik bereits nach mir erkundigt und war nun sichtlich erleichtert, dass ich nicht im Chiemsee ertrunken bin. Auch sie verzog ihr freundliches Gesicht bei Reflexion über das Unvermögen meiner heiligen Kurklinik. Synapse 12 rülpste zwei Worte: System und Chaos. Ich nahm im Wartezimmer an einer großen Fensterfront mit direktem Blick auf den See Platz. Das war bis dato der schönste Ausblick, den ich je in einer Praxis genießen durfte. Ich war regelrecht enttäuscht, dass ich gleich aufgerufen wurde. Ich bekam übergroße Kopfhörer auf, wobei ich in der Röhre dachte, welchen Zweck diese Dinger erfüllen sollen. Das Geklopfe war trotzdem unerträglich. Kann ein Gerät, das so einen Krach fabriziert überhaupt funktionieren? Wenn mein Staubsauger zuhause so bollert, weiß ich immer, dass ich den Müllbeutel wechseln sollte. 

Jedesmal wenn ich in einer Röhre liege, wünsche ich mir eine sichtbare Uhr. Dann könnte ich mich wenigstens mental darauf einstellen, wie lange ich die Folter ertragen muss. Hätte ich doch bloß nicht meine Rechte bei Dr. Wirrkopf so vehement eingeklagt. Aber andererseits war es auch gut. Wie antwortete mir eine gute Freundin so treffend, als ich ihr den Befund zusendete: Du bist ein Wrack! Nun hab ich es wenigstens Schwarz auf Weiß. 


Lea Lausemaus ist ein Phänomen. Sie ist ca. die Hälfe von mir und hat Kräfte wie Bud Spencer und Terence Hill zusammen. Filmtitel: Die Knochenbiegerin. Sie zerbrach mich und setzte das Puzzle wieder akribisch wie eine Fließenlegerin zusammen. Sie lag auf mir, zerrte, rupfte, bog. In alle vier Himmelsrichtungen. Ich schrie, aber es tat verdammt gut. Wenn ich brüllte wie ein Rindvieh bei der Schlachtung, kicherte sie. Ihr ständiges „Geht‘s?“ war irgendwie fehl am Platz. „Mehr davon?“ erschien mir hier definitiv sinnvoller. Ich entschuldigte mich für mein Gejaule. Bin halt so der emotionale Typ. Sie kicherte wieder. Als ich mich von der Liege am Ende erhob, hatte ich die Befürchtung, dass Lealein beim Zusammensetzen meiner Körperteile vielleicht etwas vergessen hatte, und ich jetzt auf einen rumliegenden Fuß oder Wirbelkörper trat. Ich schüttelte mich, nichts flog weg. Alles fest, alles an Ort und Stelle. Puuuh! Die Schmerzen waren nicht völlig weg. Aber ich fühlte mich beweglicher. Nach der Sitzung habe ich beschlossen, dass ich die Lausemaus nach der Reha einfach kidnappe und in Böchingen neben unseren Crosstrainer gefangen halte. Nicht bei Wasser und Brot, das wäre unmenschlich, sondern bei Rieslingschorle und Saumagen. Das einzige, was sie dafür tun müsste: meine Knochen regelmäßig in alle Himmelsrichtung biegen.  Ich sammelte mich etwas, dann war ich auch schon bereit für das nächste spannende Event. 


Die Seelenstreichler. Der Hausherr unserer Ferienwohnung hatte netterweise uns zwei Gutscheine vermacht. Zusammen fanden Nicole und ich keine Zeit unsere Seelen streicheln zu lassen. Somit hatten Icke und ich jetzt Gelegenheit das Angebot zu testen. 45 Minuten Salzgrotte mit anschließender Brotzeit. Die Grotte hatten wir für uns ganz alleine. Ich freute mich. Icke tänzelte in meinem Hirn nervös hin und her. Es macht mich immer wahnsinnig, wenn er das macht. Ihn nerve die Spa-Musik und die Blinkerlichter, die aussahen wie kleine Fledermäuse. Er stehe kurz vor einem epileptischen Anfall. Mir gefiel die Heizliege, sehr kuschlig. Mein Motzkoffer fand die natürlich auch ätzend. Ich ignorierte mein Alter Ego und pennte weg. Icke krummelte weiter vor sich hin. Als ich merkte, dass meine Lendenwirbelsäule langsam zusammenschmolz, wachte ich auf. Icke rief „siehste, siehste, sag’s doch, voll der Scheiß.“ Ich hielt die LWS gegen das kühle Salz, dann ging’s wieder. Als ich so mein Hinterteil gegen ein Megakristall rieb, ging die Tür wieder auf. Chefin schaute mich etwas irritiert an. In ihren Augen las ich sofort: Hilfe ein Perverser! Ich versuchte mich zu erklären und scheiterte. Icke lachte sich schlapp. Die Brotzeit rettete mich. Sehr lieb hergerichtet und sehr lecker. Nur das Weizen vom Fass fehlte. Stattdessen gab es Mangosaft und ein Kräutertee mit dem Namen „Loslassen“. Während ich genüsslich die Mini-Stullen so vor mich hin mampfte, überlegte ich, was ich denn so loslassen werde. Schnell hatte ich meine Liste voll. Erstaunlich! Bleibt mein Geheimnis, sonst fühlen sich noch Leser*innen auf den Schlips getreten. Die Seelenstreichler haben mich harmonisiert. Mir gefiel der Aufenthalt so gut, dass ich nächste Woche noch den zweiten Gutschein auf den Kopf haue. Icke kollabierte zwar, aber das interessierte mich diesmal herzlich wenig. Ich bin es schließlich, der in einer Reha ist. Punkt! 

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