Fight for your right

Reha Teil 3 - Tag 11. Wieder ein Kämpfer. Am Frühstückstisch sitzt mir ein älterer Herr im blauen Adidas-Trainingsanzug gegenüber. Sein Rollstuhl geparkt neben ihm. Er hat ein hängendes rechtes Auge. Sein linkes Auge schaut mich an, sein anderes blickt zu seinem Frühstücksbrötchen herunter. Er ist fertig. Nicht nur mit dem Frühstück. Da ich vor zwei Tagen wahrnahm, wie hilfsbedürftig er ist, fragte ich ihn, ob ich ihm helfen könnte. Er lehnte dankend ab und zu meiner Überraschung katapultierte er sich sogleich elegant aus dem Stuhl hoch und plumpste mit kindlicher Freude in seinen Rolli. Dort verweilte er einen Augenblick. Ich machte ihm ein Kompliment und fragte, ob er frisch operiert sei. Gehirntumor. Rezidiv. Arterie geplatzt. 4 Wochen Koma. Dabei lachte und strahlte er wie ein junger unbeschwerter Kerl. Ich machte ihm noch ein zweites Kompliment. Er winkte ab. Wissen sie, ich lebe und kann wieder ein Marmeladenbrötchen genießen. Das ist doch schön! Andere haben es da deutlich schwerer. Als er weg war, saß ich ziemlich aufgewühlt noch eine Weile da und starrte in meine Kaffeetasse, als ob gleich ein besonderes Zeichen in der schwarzen Brühe zu sehen gewesen wäre. Musste mich konzentrieren. Ich kann doch jetzt im Speisesaal kein Heulkrampf bekommen. Ich will auf keinen Fall auf der Psychosomatischen landen. 

Im „normalen“ Leben ist man in der Regel in seiner Blase unterwegs. Vermeintlich starke Menschen, die funktionieren, umgeben sich meist auch mit vermeintlich starken Menschen, die funktionieren. Außer man hat beruflich mit den Schwachen zu tun. Es kann heute nichts mehr bei mir geben, dass mich mit meinem Schicksal hadern lässt. 


Entweder kämpft man für sein Recht zu genießen oder für sein Recht, umfangreich behandelt zu werden. Auf dem Gespräch mit dem wirren Professore habe ich mich gründlich vorbereitet. Regel Nummer 1: Motze, aber trete nicht als Motzer in Erscheinung! Regel Nummer 2: Immer zuerst loben, auch wenn es schwer fällt, bevor man dann so richtig gegen das Schienbein tritt. Regel Nummer 3: deutliche Ansagen. Etwas putinhaftes Auftreten kann nicht schaden. Es muss ja nicht gleich ein Angriffskrieg oder die atomare Drohung sein. Regel Nummer 4, die größte Herausforderung: Verständnis signalisieren. 

Ich machte mich auf einen großen Disput gefasst. Der blieb erstaunlicherweise aus. Dr. Wirrkopf wandte die alten Politikertricks an: viel Schwafeln, nix sagen, unangenehmen Fragen mit völlig unpassenden Antworten kontern und ständig das Gleiche wiederholen. Und der raffinierteste Trick von allen: dem Gegenüber Recht geben. Ach, noch was hab ich vergessen: Anderen die Schuld zuweisen. Ganz wichtig! Nennt man auch den Söder-Trick! Alder Lattich! Es setzte sich gleich ans Telefon, machte auf autoritären Chef, was ihm nach meiner Ansicht komplett misslang. Das Ergebnis: Wenigstens habe ich heute Mittag noch ein Zellenbad. Da versenkt man seine Stumpen in Bottiche und das Wasser wird unter Strom gesetzt. Das hatte ich schon viermal. Echt voll krass! Also meine Latschen sind in Topform, wenn ich meine Zelte hier abbreche. Bandscheibenvorfall? Egal! Am Ende zeigte mir Wirrschädel sein tolles eBike, das Mitten in seinem Büro stand und noch verdreckter aussah als mein Leihrad. 30 Kilometer sei er heute von Traunstein geradelt. Was für ein Wahnsinnstyp! Nach dem Gespräch bekam ich noch eine Mail mit Telefonnummer der Privatambulanz in München. Hä? Nach München zum MRT? Spinnens jetzt komplett! Ich wieder runter! Hä? Ich soll nach München? Nö, Fehler des Sekretariats. Ach da war er ja wieder: der Trick Nummer 5. Wahrscheinlich wird’s Rosenheim. Okay! Fight for your right…to MRT. Nein, es ist definitiv nicht nur Corona, die hier in der Klinik alles aushebelt. Es ist auch die desolate Organisation, unzureichende Kommunikation und die Geldgeilheit, die dazu führt, das Haus bis zum letzten Platz belegen zu wollen. In etwa so hatte ich das auch im Gespräch formuliert. Und jetzt ratet mal: Dr. verwirrter Wahnsinnstyp gab mir tatsächlich Recht! 


Ich geh mich jetzt erstmal ausruhen. Wat fürn Stress! 


Der bleiche Turnhallen-Therapeut hat mir nach der Stromwanne ein Wärmepaket angedeihen lassen. Ganz unter der Hand, ohne ärztliche Verordnung. Hatte wahrscheinlich Mitleid mit mir. Somit hat es die Klinik heute noch von einer 4- auf eine 4 geschafft. 

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