Reha Teil 2 - Tag 2. Die Bilder vom Krieg machen einem jeden Tag fassungsloser. Wenn das überhaupt noch möglich ist. Wir sind schockiert und überrascht zugleich. Aber eigentlich dürften wir das gar nicht mehr sein. In den Bundestag hat es ja auch eine zutiefst antidemokratische Partei wie die AfD geschafft. Eine Partei, die jetzt vom Verfassungsschutz auseinander genommen wird. Wird auch Zeit! Der Mensch hat ein Brett vor dem Kopf, wenn es um Geschichte geht. Kriegsverbrecher und Diktatoren hat es auch vor Putin schon gegeben. Nun wird eben ein weiterer demokratischer Staat angegriffen und Zivilisten ermordet - und wir malen plötzlich zahlreiche bunte Transparente und spenden wie der Teufel. Putin ist unberechenbar, Assad ist es auch; wir sind es nicht. Wir müssten jeden Tag für den Frieden auf die Straße gehen, nicht nur für die Ukraine.
Jetzt bin ich hier in der Klinik. Nicole schläft ein Kilometer Luftlinie entfernt. Sehr seltsam ist das. Kann nicht einschlafen. Wie muss es unzählige Paare, die der Krieg jetzt trennt, erst ergehen. Ich kann morgen wieder gemütlich zu ihr radeln. Sie in die Arme schließen. Ihr vom Tag erzählen. Mir eine Augenhöhlengesichtsmassage abholen. Nicht zu wissen, wie es einem geliebten Menschen geht, ist nicht auszuhalten. 22.15 Uhr radle ich ein paar hundert Meter davon. 22.20 Uhr schreibe ich ihr aus der Klinik eine WhatsApp. 22.21 schreibt sie zurück. Man fühlt sich sicher. In der Ukraine ist nichts mehr sicher. Jungs, wir müssten kämpfen. Mädels, ihr müsstet euch entscheiden: gehen oder bleiben. Was packt man da in den Koffer. Vor allem, wenn es schnell gehen muss. Spielzeug? Katzen? Für Männer und Frauen wie du und ich steht die Welt plötzlich Kopf. Leben oder Tod. Sicherheit oder Tapferkeit. Feigling oder Ehre. Ich sehe die desaströsen Fernsehbilder und wünsche mir, dass die NATO sofort eingreift, Menschenleben rettet oder ALLE Ukrainer ALLES liegen und stehen lassen und Putin den blanken Hintern entgegenstrecken. Ich wünsche mir, dass die jungen unwissenden Russen aus ihren Panzern aussteigen und nach Hause laufen. Ich wünsche mir Nawalny als Präsident und Selenskj in Sicherheit. Geht alle und liebt! Warum ist das bloß so schwer?
Wenn ich mir überlege, in meinem Zustand zu kämpfen oder flüchten zu müssen. Beides wäre nicht möglich. Ich wäre Futter für die Kanonen. Ich stöhne schon auf, wenn ich mich von der Toilette in meinem Bad erheben muss. Sie ist für einen Liliputaner konzipiert worden. Wenn ich aufstehe, fährt es mir sowas von in die Leiste, dass ich mich an der Handtuchhalter festklammern muss, um nicht wegzukippen. Wie soll ich da einen Straßenkampf überleben? Klitschko spricht von Ehre. Wieder diese Ehre. Töten oder sterben für das Vaterland. Das hatten wir alles doch schon mal. Warum fühle ich sowas nicht? Ich scheiße auf ein Vaterland. Mein Vaterland hat 6 Millionen Juden massakriert. Ich lebe dort, wo ich lieben kann und wo ich geliebt werde, egal wo das nun ist. Ehre und Vaterland, das sind nicht meine Begriffe. Ich will nicht, dass dafür jemand sein Leben gibt. Sie sollen lieber alle ihre Organe spenden.
07.15 Uhr: Blutentnahme und Urinabgabe. Nun bin ich angekommen. Heissa, stellen da Leute farbloses Zeug aufs Tablett. Farblos ist bestimmt gefährlich. Meins war schön gelb, aber nicht zu sehr. Mittelgelb. Topgelb. Bei der Blutabnahme gab es heute eine Premiere. Gleich zwei Pflegekräfte suchten meine zarten Venen und stocherten in mir rum, wie in ein von der Mama gekochtes gehasstes Gericht. Sie verfielen richtig in Panik und entschuldigten sich permanent. Über meine Scherze konnten sie überhaupt nicht lachen: Ich habe den Krebs überlebt, da werde ich doch auch diese Blutentnahme überleben. Meiner Sitznachbarin erging es ähnlich. Da gaben die Zapferinnen gleich ganz auf. Ich muss den Damen nochmal eine Chance geben. Vielleicht hatten sie einfach einen schlechten Tag. Auf jeden Fall sahen die vier Röhrchen jetzt tatsächlich nach Blut aus. Gesundes Blut hoffentlich. Ohne zu viel Rückstände von Weizen und Rotwein. Jetzt sehe ich wie alle meiner Mitpatienten*innen aus, so in meinem Sportdress. Aufstehen und Duschen waren eine Tortur. Ich glaube, ich pfeife mir tatsächlich ein paar verschriebene IBUS rein. Aufbaugymnastik, wie soll das gehen? Eine Erkältung macht mir auch wieder zu schaffen. Ich kann gar nicht beurteilen, ob ich Muskelkater oder Gliederschmerzen habe. Ich verbrauche auf jeden Fall Tonnen von Papiertaschentüchern.
Was Bewegung, Massage, Heilbad, Torte und Kino ausmachen können. Mir geht es schon viel besser. Selbst das Gerotze lässt ein wenig nach.
„Wunderschön“ war wunderschön. Gelacht und geweint. Was für ein toller Film. Fantastische Geschichten, beeindruckende Schauspieler*innen, die Kleinen ganz groß. Bilder von großer Wahrhaftigkeit. Warum ist es uns nur so wichtig, uns ständig zu optimieren? Warum leben wir nicht stattdessen? Stehen zu unseren Schwächen? Es gibt so viele schöne Szenen in diesem Film. Unvergesslich. Wenn ich an sie denke, muss ich schon wieder lachen oder flennen. Wer ihn noch nicht gesehen hat, sollte das unbedingt nachholen. Gerade in diesen schweren Zeiten.
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