Sick of it

Liebe Franziska, 


jetzt bist du tatsächlich tot. Du hast es ja angekündigt. Doch so richtig glauben wollte ich es nicht. Deine wunderschöne Stimme verklungen, deine schlauen inspirierenden Sätze bekommen keine Fortsetzung mehr. Ich war selten so traurig in Bezug einer verstorbenen Person, die ich gar nicht kenne. Na ja, gar nicht stimmt so ja nicht. In den 7 Podcast-Folgen hat man dich ein wenig kennen lernen und begleiten dürfen. Was für eine Geschichte! Da denkt man, meine ist jetzt auch nicht so ohne - und hört dann dein Leben und dein Leiden. Eine Genmutation, die verschiedene Krebsarten begünstigt, haben die Ärzte vor Jahren diagnostiziert. Zuerst hat alles mit Morbus Hodgkin angefangen - da werde ich natürlich hellhörig -, dann hattest du ständig mit bösartigem Hautkrebs zu tun und zum Schluss kam noch Bauchspeicheldrüsenkrebs oben drauf. Die tödlichste aller Krebsmöglichkeiten. Nix mehr zu machen! Wenn dir deine starke Stimme während des Erzählens immer mehr versagt, du immer häufiger pausieren musst, wenn du deine Tränen nicht mehr zurückhalten kannst, ist dies echt hart mit anzuhören. Du willst nicht als mutig angesehen werden, du willst auch nicht, dass man schreibt, sie hat nun ihren langen Kampf verloren. Du wolltest doch gar nicht kämpfen und mutig sein. Alles ist einfach so über dich hereingebrochen, in ein Leben, das vor deinen Erkrankungen gut war und jetzt eben weiterhin gut sein sollte. Ein lebensfroher, kreativer, neugieriger Mensch, der es jetzt eben „aushalten“ muss, krank zu sein und jeden Tag versucht, weiterhin ein Stück Lebensfreude und Sinn wiederzugewinnen. Deine Berichte, Zustands-und Gesellschaftsbeschreibungen, Fragen und Antworten könnten meine eigenen sein, waren jedesmal Punktlandungen. Dieses Gefühl, nicht mehr zu einer Seite zu gehören: nicht zu den Gesunden, aber auch nicht zu den Kranken. Man will verdammt nochmal nur Ich sein. Nicht der, der die Krankheit besiegt hat und nicht die, die an ihr zugrunde gegangen ist. Wir sind so erzogen worden, dass man niemandem etwas zumuten will. Auch einem selbst nicht. Schwäche einzugestehen, ist in unseren Breitengraden verpönt, wie das Barfußlaufen bei Regen. Lieber flunkert man ein wenig, um nicht für schlechte Gefühle zu sorgen. Oh ja, das kenne ich zu gut. Die Wahrheit ist kaum zu ertragen. Du hast dich nach deiner letzten Diagnose aufgetan, um endlich die Wahrheit zu verkünden, deine Wahrheit!  „Das musstest du jetzt unbedingt durchziehen.“ Und sie war die Wahrheit von so vielen Menschen, die an deinen Lippen hingen. Man müsse aufpassen, nicht arrogant zu werden. Jeder hat das Recht auf Gejammer. Auf Wehklagen. Auch Kranke müssen sich bemühen, zuzuhören und Verständnis aufzubringen. Mir hat es gefallen, dass du dich bei den menschlichen Defiziten nie ausgenommen hast. Du hast deine Fehlbarkeit genauso gezeigt, wie deinen Widerstand gegen alle Klischees dieser Welt. Du hast dich als Mensch, als kranke Frau und Mutter entblößt, deine Seele vor uns ausgeschüttelt wie ein Kissen am Morgen. Vor deinem Todesurteil konntest du das nicht. Da warst du noch selbst in der Verdrängungsspirale gefangen. Ich frage mich, warum schafft man den nächsten allumfassenden Entblößungsschritt immer nur dann, wenn man weiß, dass man jetzt in der nächsten Zeit stirbt. Dass es kein zurück mehr gibt. Weil man nichts mehr zu verlieren hat? Auch das hast du zum Thema gemacht. Man sollte alles, was uns als Menschen ausmacht, schon zu „normalen“ Lebzeiten sichtbar machen und nicht die ganze Kraft dazu aufwenden, es zu verstecken und zu leugnen. 

Keine Bucket-List! Die hasst du wie die Pest. Etwas erfüllen zu müssen, was du nicht mehr kannst, widerstrebe dir, sagtest du. Die Fuck-It-List sei da eher deins. Was und wen werfe ich aus meinem Leben raus! Was kann ich leisten, nicht was könnte ich evtl. noch für schöne Sachen machen? Wenn die Kraft ausgeht, muss man nichts mehr. Nichts, nichts, nichts! Wie sympathisch war mir dieser Gedanke. Geradezu heilig. Fuck it! Fuck it! Fuck it! Oh, da gibt es einiges! Ach Franzi, Scheiße! Oder wie hast du das Unaussprechliche immer etikettiert: was für eine große Fucking Scheiße. Ein Trost vielleicht: Jetzt hast du endlich deine Ruhe, musst nicht mehr jemand sein, den du nicht sein willst. Ich habe mir beim Hören immer ausgemalt, wie ich dich um ein Treffen bitte, ein Gespräch von Hodgkin zu Hodgkin sozusagen. Von Sterbender zum Überlebenden. Ich hätte dich mit Fragen bombadiert. Nur um dich sprechen zu hören. Ich hätte dir meine Steuererklärung mitgebracht, damit du sie mir vorliest. Ich hätte dir ein paar Impulse für die Fuck-It-List geben wollen. Nun ist das alles zu spät. Du hast es hinter dich gebracht. Leider bekommt man nicht mit, wie deine letzten Stunden verlaufen sind. Das hätte mich interessiert. War dein Sohn bei dir? Konnte ER es AUSHALTEN? Ich glaube 14 ist er. Meine Güte, jetzt hat man so eine tolle Mutter und dann hat man sie nicht mehr. Kann man darauf überhaupt vorbereitet werden und sein? Das ist so unendlich traurig. Aber es ist das Leben. Wir müssen es aushalten und uns jeden Tag trotz dem ganzen Ungemach Lebensfreude abholen. Vielleicht sogar abringen. Heute nicht, aber morgen oder übermorgen. Nichts Großes, die ganz kleinen Dinge, sind es, die einem vom Horror ablenken. Ich mache mir jetzt einen Pfefferminztee mit Honig und groove zu Move on up von Curtis Mayfield in der Küche. Geiler Song! Ich bin mir sicher, du hast es jetzt gut und hörst auch schöne Musik! Du musst dich nicht mehr mit Krankheit und Tod beschäftigen. Das ist doch schon mal was. Auch wenn ich dich nicht kenne, werde ich dich in guter Erinnerung behalten. 


Tschüss Franzi! 

Achtung Triggerwarnung! Nur alleine anhören, wenn man psychisch stabil ist. Der Podcast  könnte unangenehme Gefühle auslösen. 



Kommentar schreiben

Kommentare: 0