O weh OP!

Der Film „Ein Leben lang“ in der ARD“ fand ich klasse. Opa Oskar, Krimifan, schaltete zuerst ins ZDF, später zog er sich noch Wilsberg rein. Schimpfte ständig, dass DIE keine Krimis mehr drehen können. Da würde man ja nix mehr verstehen. Die AirPods hielten mich erfreulicher Weise davon ab, mit ihm in Kommunikation treten zu müssen. „Ein Leben lang“ zog mich in den Bann. Liebe und Krankheit im Alter: meine Themen. Wir „Jungen“ unterschätzen die Begehrlichkeiten und Emotionen der „Alten“. Wir denken, dass mit der Liebe ist irgendwann vorbei.

Wie bei Oskar. O-Ton: Ei i muss doch mei Fra neme seh, des reicht wenn i telefonier. Das Gegenstück zu „Ein Leben lang“. Beim Hund ist das aber etwas Anderes. Ossi spricht tatsächlich liebevoll vom Labrador: Der Rex isch en Guter, der isch pflegeleicht. 


Vier gute Stunden geschlafen. Das röchelnde Fastersticken meines Bettnachbarn hat mich aus einem Weglauftraum geweckt. Er hört sich an, wie ein verstopfter Abfluss, der vor sich hin blubbert. Die Nacht erhält Platz 10 auf der Liste der schrecklichsten Nächte meines Lebens.  Ich bin nicht unruhig; ich bin nur etwas genervt. Dennoch könnte ich mir vorstellen, still und heimlich über die Feuerleiter abzuhauen. Hergott, ich bin doch gesund! Das bissel Rülpsen und Zwicken. Ich hab keine Lust, in ein paar Stunden wie ein Pulpo auszusehen. Wehe, ich rülpse immer noch! 


05.00 Uhr 

Die Feuerleiter war mir zu rutschig. Wollte mir bei der Flucht jetzt nicht das Genick brechen. Anna und Nicole würden bestimmt ziemlich schimpfen. 


05.15 Uhr 

Ich glaube, der Abfluss benötigt dringend Domestos. 


07.00 Uhr 

Punktabzug leider für die Dusche. Sie liegt außerhalb des Zimmers. Das ist noch hinnehmbar, aber dass ich eine viertel Stunde damit zubringe, die richtige Temperatur zu finden. Entweder schmokelt man seine letzten Haare weg oder erleidet einen plötzlichen Kälteschock. Oskar dreht durch!  


08.00 Uhr 

Visite. Chefarzt wirkte nicht alkoholisiert, ausgeschlafen und voller Tatendrang. Nichts mehr trinken zu dürfen, macht mir Kummer. Ich bekomme deshalb Wasser in die Handvene. Port ist unbrauchbar, weil ich bei der OP auf der falschen Seite liege. Allagut! 


Bald geht‘s los…Freue mich auf den Backfisch morgen. 


08.15 Uhr 

Am Tag der Befreiung von Auschwitz operiert zu werden, muss Glück bringen. 


08.30 Uhr 

Noch ein wenig Online-Schach. Lenkt ab! 

Eine Partie verlieren, wäre aber auch jetzt doof. Suche mir die beste Stellung heraus. 


09.00 Uhr 

Den Ehering, den man nie ablegt, auszuziehen, kostet jedesmal Überwindung. Wat mut, dat mut…


09.30 Uhr 

Dauert noch…


10.15 Uhr 

Opa Ossi: Ei, do geht jo nix voran.


10.45 Uhr 

Schwätzchen mit dem Besuchsdienst! Nett! Sohnemann ist 48 und er will einfach nicht aufhören zu rauchen. Ossi hat große Augen bekommen. 


10.55 Uhr 

Jetzt könnte es echt mal los gehen. 

Honger un Dorscht! 


11.00 Uhr 

Ein Königreich für ein paar Rühreier und einen Kaffee! 


11.15 Uhr 

Jetzt bin ich schon mehr als 24 Stunden hier und mir fällt erst das Bild an der Wand gegenüber auf. Monet? 

ScheinenKunstliebhaberaufderStationzusein.ImFlurhabichschonChagallsgesehen. 

11.20 Uhr 
Ich fahre jetzt einfach in die Stadt und gehe frühstücken. 

12.00 Uhr 
Hat sich immer noch nix getan. 
Dann faste ich halt, muss mir nur einer sagen. 

14.00 Uhr 
Letzten zwei Stunden permanent gemampft und zwarAusflügeindieCafeteriaunternommen.Operationwurdeaufmorgenverschoben.ZugeringeIntensivkapazitäten.Tja!SchonetwasAnderes,wennmandas,wasimmersoimFernsehen berichtet wird, am eigenen Leib erlebt. Aberichbinjatopfit,undsomitkanngutnocheinenTagwarten. 

Dusche funktioniert wie in einer 50 Jahre alten unrenovierten Jugendherberge, aber dafür war das Mittagessen erstaunlich essbar. EinMenüsogar.DieSuppehabeichstehenlassen.Ichglaube,
 daswarTapetenkleister.Kann ja mal passieren. Ansonstentiptop.MusseineandereKücheseinalsinderMed.V. 
Der Kannenkaffee istgut.FürStationskaffee-Hutab!DasPunktekontofülltsich. 

15.00 Uhr 
Fast wie Urlaub! 

15.30 Uhr 

Ein Roboter wird mich operieren, gesteuert vom Chefarzt. Dies habe sich bei der Besprechung heute Mittag ergeben. Prof. hat sich die Bilder nochmal angeschaut. Habe gerade alles unterschrieben, was dafür notwendig ist. Die Medizinforschung muss schließlich unterstützt werden. Und: Roboter sind unfehlbar. 


16.00 Uhr 

Irgendwie habe ich mich an den röchelnden Oskar gewöhnt. Nu is er weg. Röchelt auf der Intensiv. Muss nachher fragen, ob die OP gut verlaufen ist. 


16.30 Uhr 

Morgen als Erster. Juhuuu! Da bin ich mal gespannt! 


17.00 Uhr 

Wenn die Tochter ein Bild von der abgegebenen Bachelorarbeit schickt, ist das etwas Besonderes. Selbst denkt man an die ganzen Arbeiten, die man unter Unmengen von Zigaretten und viel Rotwein verfasst hat. Dann geht einem durch den Kopf: Jesus, is sie schon so weit? Das Ziel, Lehrerin zu werden nimmt konkrete Formen an. Unsere kleine Anna. Sie hat schon so viel geschafft. Nicht selbstverständlich. Spricht eigentlich jemand über die Studierenden, die unter der Pandemie leiden?


17.30 Uhr 

Die Seerosen von Monet - wenn ich hier rauskomme, werde ich mir ein Kunstdruck bestellen. Hänge ich ins Büro. Der Seerosenteich im Botanischen Garten an der Med V. war vor 11 Jahren mein Zufluchtsort. 


19.00 Uhr 

Müde! Essen und rumliegen erschöpft! 

Konkreter OP-Termin: 07.40 Uhr. Mal sehen..,

Was ich richtig doof finde, dass man mir nicht sagt, wie es Oskar geht, ob er seine Operation gut überstanden hat. Die Station gibt diesbezüglich keine Auskunft. Na ja, wir werden uns dann hoffentlich übermorgen wiedersehen. Werde seinem Röcheln mit ganz anderen Ohren lauschen.

Ich habe ihn heute 3x zum Lachen gebracht, das war schön. Hätte gar nicht gedacht, dass er zu solchen sympathischen Gesichtszügen fähig ist. Dieses ständige Grummeln und Kritteln macht ihn nicht gerade zu einem Wunsch-Mitbewohner. Es scheint mir, dass er Angst hat, es aber nicht zeigen möchte, wie er auch an der Familie hängt, aber am Telefon erschreckend lieblos spricht. Loben ist für ihn wie eine unmögliche Yogaübung. Bevor er weggeholt wurde, legte er die Fernbedienung ohne Kommentar auf mein Nachtisch. Seine Fernbedienung wohlgemerkt. Seit ich in der Klinik bin, war er der Commander of TV - ohne irgendwie was abzusprechen. Die Fernbedienung abzugeben, heißt so viel wie: Okay, mein Lieber, ich vertraue dir jetzt! 

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