Rumble in the jungle - Teil 2

T-Shirt-Tausch

Sich bei klarem Verstand und relativ leistungsfähig auf einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt vorzubereiten, kann eine erhebliche mentale Herausforderung darstellen. Soll man vom Maximum oder vom Minimum ausgehen? 3 oder 7 Unterhosen? Entscheide mich für 5! Alles was man einpackt, zieht eine längere Überlegung nach sich: Lieblings-T-Shirt, Lieblingspyjama, Lieblingssocken, Lieblingsbild, 

Lieblingsschutzengel und so weiter. Wer digital so breit aufgestellt ist wie ich, muss natürlich die entsprechenden Ladegeräte für zig Endgeräte beisammen haben. Und *schwups* begegnet einem folgender Gedanke: Werde ich sie überhaupt alle verwenden können? Wie werde ich drauf sein? Topfit natürlich - was sonst! Mohammed Schnur küsst niemals lange die Matte des Boxrings. Der Größte aller Faustkämpfer wird noch vor Trump und Berlusconi wieder in den Ring zurückkehren. Und schon sind wir im Karussell des Grübelns. Was siehst und denkst du als Letztes, wenn sie dich abschießen? Hast du allen wichtigen Personen „Auf Wiedersehen“ gesagt. Hast du alles erledigt, was du erledigen wolltest? Kann der Notfall eintreten? Habe ich an alles gedacht? Eher nicht! Zu wenig Zeit. Nie ist genügend Zeit. Egal? Auch nicht. Jeder sagt mir, denke positiv, spreche das Negative nicht aus. Das bringt Unglück; das schmerzt uns. 

Ich bemühe mich ja. Ich finde es aber nicht ehrlich. Der Blog steht hier für Aufrichtigkeit und Verarbeitung. Wenn ich solche Gedanken weglassen würde, wäre er unvollständig, wäre ich unvollständig. Ein Kompromiss: Ich fahre aus Rücksicht im 3. Gang, nicht im 6. Der letzte Gang wäre zu heftig, nicht gut für das Klima. 


Heute geht es also los. Nach Heidelberg, in die Thoraxklinik. Nun ist er endlich da, der Termin von dem ich schon so lange schreibe. Nach diesen Tagen hoffe ich, nicht mehr unkontrolliert rülpsen zu müssen und keine Atemstolperer mehr zu haben. Das Brennen nach schweren Mahlzeiten in Hals und in der Brust sollte wenn möglich nach dem Eingriff Geschichte sein. Ob ich das Geschlabber, das man mir rausoperiert, sehen darf? Eine Marmeladeglas mit Schilddrüsengewebe wäre cool! Ärztin meinte, ist möglich. Hier wurde schon alles mit nach Hause genommen. Wenn ich früher mutiger gewesen wäre, hätte ich eine beeindruckende Sammlung von Schnuris leckeren Innereien. Mein linker Hoden, in einem hübschen Gefäß im Weinschrank schwimmend, das wärs doch! 


Angst habe ich nicht, aber Respekt! Man öffnet mich - zuerst unterhalb des Kehlkopfs mit einem kleinen Schnitt, oder dann evtl. in der Brust mit einem großen Eingriff. Als Letztes gibt es noch die Möglichkeit nach rechts in die Rippengegend auszuweichen, um somit alles raus zu holen, was da nicht hin gehört. Dieses Vorgehen flößt schon beim Hören eine Menge Respekt ein. Jede OP mit Vollnarkose ist kein Spaziergang für den Patienten, da kann noch so viel Routine im Spiel sein. Was ist, wenn ich auf dem OP-Tisch einen Hustenanfall bekomme? Mein Husten ist noch nicht ganz abgeklungen. Möchte ungern meinen Operateur aus dem Konzept bringen. Skalpell bitte…*hust,hust*…ääääh…!!!


Wieder einmal T-Shirt-Tausch. Wenn die Umgebung nicht so bedrohlich wäre, hätte die Schnüffelei ja durchaus einen romantisch-erotischen Charakter. So ist es eher ein textiles Beruhigungsmittel. Liebe ist…, wenn der Geruch des Partners einen zutiefst beruhigt - oder die Sinne raubt - je nach dem. 


08.00 Uhr  

Ankunft auf Station 8. Papierkram. Aufnahme durch eine der nettesten, freundlichsten und fröhlichsten Ärztinnen, die mir in den letzten Jahren begegnet ist. Und mir sind eine Menge begegnet. Eine Asiatin. Klinik International. Eine farbige Ärztin (Äthiopien, Somalia?) mit einem urdeutschen Namen und starkem Akzent führte dann ein Beratungsgespräch zur postoperativen Schmerztherapie. Vielleicht werde ich in einer Schmerzstudie aufgenommen. Da bekommt man einen Schlauch ins Kreuz. Nicht so einfach, seine Schmerzen genau zu beschreiben. Vor allem, wenn man es nicht so mit Schmerzen hat. Hauptthema diesbezüglich war mein IS-Gelenk. Aber dafür bin ich ja gar nicht da. 


Der PCR-Test war super eklig. Hätte fast der Pflegerin mein verdautes Laugenbrötchen gegen ihre Brille geblasen. Konnte es gerade nochmal runterschlucken. Die hat mir das Röhrchen bis zum Bauchnabel gerammt . Mit so viel Freude, als würde sie ihren Lieblingsfilm anschauen. 


Nun Untersuchungsmarathon. Herzecho, EKG, Lungenfunktion, Blutsauerstoff. Mein lieber Scholli (woher kommt eigentlich dieser Ausdruck?), das nenne ich mal gründlich. Die klinische Organisation macht schon mal einen sehr guten Eindruck. 


12.00 Uhr 

Taxi to HNO-Klinik. Stimmbändercheck. Wäre das eine nicht in Ordnung, wäre das ziemlich doof, weil das andere bei der OP wohl sehr strapaziert wird. Im besten Fall werde ich sprechen wie Janis Joplin singt. Im schlimmsten Fall muss ich aufschreiben, dass man mir einen 20 Jahre alten Whisky mit Eis besorgt. 


13.00 Uhr 

Taxi zurück. Interessante Fahrt. Fahrer hat den Attentäter wohl gesehen. Der Bio-Student hat sich dann im Botanischen Garten erschossen. Mein Chauffeur war immer noch sehr aufgewühlt. In 20 Minuten gab es ein Jura-Seminar zum Thema Todesstrafe. Als ich kurz davor war, ihn zu überzeugen, die Todesstrafe in Deutschland nicht einzuführen, musste ich aussteigen. 


14.00 Uhr 

Oskar aus dem Odenwald, ehemals Isolierer von Beruf, 80, eine Tochter. 65 Jahre geraucht. Jetzt hat er „halt da was auf der Lunge“. Er wurde schon mehrmals operiert. Puuuh…weiß nicht, ob ich mich drauf freuen soll, nach der OP schnell wieder ins Zimmer zu kommen. So viel Privatfernsehen ertrag ich nicht. Außerdem spricht er so, als hätte er eine ungeschälte Mandarine im Mund. Ich verstehe kaum ein Wort. Muss ständig nachfragen. Zuhören tut er auch nicht, spricht einfach weiter. Schlafen kann er nicht. Höchstens 3 Stunden in der Nacht. Und das schon ein Leben lang. Das kann ja heiter werden. 


14.15 Uhr 

Ich flüchte mich zum Kiosk. Trinke jetzt mal 6 Kaffees und esse 12 Kuchen. Wer weiß, wann ich dazu wieder komme. Oskar muss warten…


15.00 Uhr 

Der Krankenpfleger ist der Hit. Extrem cooler Junge aus dem Norden der Republik. Nettes Schwätzchen gehalten, dabei eine Obenrumkomplettrasur verabreicht bekommen. So glatt war ich das letzte Mal vor 10 Jahren während der Chemo. 


15.30 Uhr 

Black Panther klopft an der Tür. Werde nicht in die Schmerzstudie aufgenommen. Interner Grund. So wie ich sie verstanden habe, hängt das wohl von der Dauer der OP ab. Sei zu kurz. Hmmm…weiß noch nicht, ob das jetzt gut oder schlecht ist. Mrs. Panther wünscht mir alles Gute für morgen. Sie wird nach mir schauen. Ich muss sagen, ich bin beeindruckt. Ich habe heute schon 3 Ärztinnen und den Prof. gesprochen. Alle sehr nett und zuvorkommend. Bis auf die Kiosktante. Wieder einmal. Ich würde keine Waffen in die Ukraine liefern, sondern die Kiosktante. Putin müsste einpacken. 


16.00 Uhr 

Ich will nicht ins Bett. Bett ist Krankheit. Hab auch noch meine Straßenklamotten an. Werde ich erst vor der OP ablegen, glaube ich. Solang ich noch klein wenig Rebellion in mir verspüre, lebe ich sie aus! 


16.15 Uhr 

Wow - die vierte Ärztin. Die Oberärztin erkundigt sich auch noch nach meinem Befinden. Strahlt Zuversicht aus. Ist optimistisch, dass man den ganzen Scheiß mit einem kleinen Schnitt raus bringt. Vielleicht muss ich gar nicht auf die Intensivstation zur Überwachung. Sie schnippelt morgen auch an mir rum. Ich wollte sie gar nicht gehen lassen. Eine Aura wie Meredith Grey.  


17.00 Uhr 

Bow, 2 Stunden Oskar würde für einen ganzen Blockeintrag ausreichen. Soll dieser Mensch womöglich der letzte sein, mit dem ich die Nacht verbracht habe. Lieber Gott, ich weiß ich war nicht immer dein bestes Schäfchen im Stall, aber ich flehe dich an, überlege dir im Notfall eine andere Strafe für mich. Egal was. 

Oskar ist der Knaller. Im Fernseher lief gerade zufällig die Rede von Kubicki im Bundestag. Hätte mich sehr interessiert. Ossi schaltet einfach um: Ei, des dumm Gebabbel von den Idioten kann ja keiner ertrage, sein nuschelnder Mandarinen-Kommentar. Entweder grummelt oder röchelt er. Für sein Rülpsen habe ich ja aus bekannten Gründen Verständnis. Des isch schon hart für mich, net mehr zu rauche. Ich hab doch gequalmt wie ein Schlot. Erst seit Dezember qualmt der Schlot nicht mehr. Aber en Flasch Bier am Tag muss scho no sei. Des könne se von mir echt net verlange. Ich beruhige ihn: Oskar, du bisch 80, du machsch, was du für richtig hältsch. Das erste Mal, dass Ossi nicht grummelt und röchelt, sondern breit grinst. 


18.00 Uhr 

Aufklärung Anästhesistin. Es wird eine Periduralanästhesie durchgeführt. Also der Schlauch im Rücken. Aber keine Einschränkung beim Liegen. Somit wird mein Thorax ruhig gestellt. Bin gespannt, was mir blüht, wenn ich aufwache. Chef persönlich wird mich in das Reich der Träume befördern. 

Bin nun als Zweiter dran. Ca. um 09.00 Uhr. 


19.00 Uhr

Stilles schönes Örtchen mit Ledercouch gefunden. Prima Aufenthaltsort. Ach, schön nochmal vertraute Stimmen zu hören. Auch wenn es nur per Telefon ist. Ich glaube, manch einer ist aufgeregter als ich. Somit beruhigt man sich gegenseitig. Alles wird gut!


20.00 Uhr

Feierabend. Hörbuch und gut ist. Oskar kann mich gern haben.




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