Die wahren wichtigen Dinge

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe an uns Interessierte und liebe Desinteressierte, 

ein Jahr geht mal wieder zu Ende. Wie schon viele Jahre zuvor. Schnell wie immer, mit zahlreichen neuen und alten Erfahrungen - auch wie immer. Aber vielleicht doch anders. Ich bin ängstlicher geworden, liebender, sensibler, verständnisloser sowie verständnisvoller. Ich denke, ich bin alles mehr oder weniger geworden. In diesem seltsamen Jahr 2021. Wieder zu spüren, dass man im Job eine ganz kleine Nummer ist, jederzeit austauschbar, dass so viele mit dem Normalen überfordert zu sein scheinen, hat mich stutzig gemacht. Aber zu spüren, dass es Menschen in meinem Umfeld gibt, die viel mehr sind, als das was sie nach außen darstellen, stimmte mich wiederum sehr hoffnungsfroh.

Die erneute Krebsdiagnose hat mich umgeworfen, niedergewalzt. Als ob man plötzlich aus vollem Lauf vor eine Glasscheibe gelaufen wäre. Ich hatte doch noch so viel vor: Reisen mit Nicole, Anna auf ihren Weg begleiten, Gassi mit Lotta gehen, weitere wunderbare Lebenserfahrung sammeln. Die Bedrohung, die durch die Erkrankung stattfand, war kaum auszuhalten. Stets Energie und Lebensmut aufzubringen, forderte mich sehr, körperlich wie auch emotional. Ich wusste bereits vor diesem Jahr, dass ich Anna und Nicole sehr liebe; nun ist etwas ganz Unmögliches eingetreten: Ich liebe sie noch viel mehr. Man hat so ein inneres Wissen. Jetzt muss ich gehörig aufpassen, dass ich nicht in die Esoterik abdrifte. Mit innerem Wissen meine ich damit, dass man nur eine Vermutung davon hat, wer man ist und wohin man will. Verborgen, nicht sichtbar. Eben nur eine Vermutung. Dieses Jahr war Kacke hoch 12, doch es hat mir eben auch gezeigt, was (für mich) wichtig ist. Zu lieben, geliebt zu werden - und einfach für andere und für mich da zu sein. Und zu schreiben. Viele Stunden in diesem Jahr saß ich am Tropf oder lag abgeschossen auf der Couch, war unsagbar traurig, kraft- und mutlos: Das Schreiben war dabei immer das notwendige Lebenselixier, wie ein Seil, durch das man auf einem wackligen Balken entlanggeführt wird. In der Vergangenheit gab es immer wieder Episoden, in denen ich viel schrieb.  Alles Mögliche. Aber niemals so! Ich beneide die Menschen, die diese Obsession zu ihrem Beruf machen können. Die positive Resonanz auf mein Geschreibsel, ist wie eine wohlige Massage bei meinem Physio. Durch das Schreiben bin ich ich und vieles mehr. Schreiben bereitet mir unendlich Freude! 

Ich werde gern überrascht - und in diesem Jahr wurde ich wahrlich von einigen überrascht. Enttäuscht auch. Das gehört wohl dazu. Zum Leben. Das wollte ich lange nicht wahrhaben. Es klingt schräg, wenn ein 52-jähriger Mann von sich sagt, dass er erwachsener geworden ist. Menschen sind nicht so, wie ich sie gerne hätte. Aus einem Heuhaufen muss ich die rauspicken, die mir wichtig sind, die mich als Mensch weiterbringen können. Man spricht immer schnell von klarer Kante, nicht einfach das so privat und beruflich immer zu leben. Einem Freund zu sagen, du kannst so wie du bist nicht mehr mein Freund sein, schmerzt beide zutiefst. Vielleicht ergibt sich dadurch aber auch eine Chance. Der Weg des kleinsten Widerstands ist nicht immer der richtige. Ein kleiner guter Kreis und geringere Ansprüche könnten eine Lösung sein.

Ich wünsche mir nichts Materielles mehr. Ich habe alles. Ich wünsche mir nur ZEIT mit meinen Liebsten.  Das ist es, was ich vor allem aus diesem Jahr gelernt habe: Mit der Ressource Zeit pfleglich umzugehen: mit Freunden im Wald, mit der Familie beim Spielen, ein Konzert, ein gutes Buch, Gedichte und Texte, fremde und eigene, ein paar wenige Menschen dabei unterstützen, dass sie gut durchs Leben kommen. Lieben und geliebt werden! Das sind die wahren wichtigen Dinge.

Auch für das Jahr 2022. 

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