Knödel im Thorax

Die Hämatologie hat ausgedient. Nun ist die Thoraxchirurgie dran.  Standen vorher die Lymphknoten und das Blut im Mittelpunkt, ist es jetzt meine liebliche Brust. Vorher Menschen ohne Haare und bleich wie ein Laken, jetzt Menschen als Mitpatienten*innen, die mit Schnappatmung nach Sauerstoff ringen und aussehen und riechen, als hätten sie in einem Aschenbecher gebadet. Vor der Thoraxkliniik in Heidelberg stand gestern ein Bus mit einer riesigen Aufschrift „Ohne Kippen“. Das passt ja! Wenigstens habe ich dieses Laster durch. Nicht ganz auszuschließen, dass meine aktuellen Probleme mit dem wuchernden Knoten in der Brust  doch durch das jahrelange Rauchen ausgelöst worden sind. Zu viel guten Wein? Kann auf keinen Fall sein! Ich denke da aber etwas anders als meine an Lungenkrebs erkrankte Schwester. Wenn ich etwas bereue, dann ist es jeder verdammte Klimmstängel, den ich angezündet habe. Genuss war da die seltenste Motivation. Leckeren Wein bereue ich dagegen kein Glas! 

In der Reihe vor mir am Testzentrum stand ein Mann aus der Kategorie 30, 40 Zigaretten am Tag. Selbst gedrehte nach seinen Fingern zu urteilen. Hatte die Aura eines Typen, den man regelmäßig vor Bahnhofskneipen an Plastikstehtischen sieht. Ausgemergelt, blutunterlaufene Augen und verdrecke Schirmmütze auf dem Kopp. Trug seine 2 Jahre alte OP-Maske unter der Nase. Pobelte in der selbigen und strich sich dann den klebrigen Finger an der Bomberjacke ab. Ich sprach ihn an: Gnädiger Herr, mir ist das jetzt  unangenehm, aber wäre es ihnen möglich, die Maske ÜBER ihre Nase zu tragen und beim nächsten Spender IHRE HÄNDE zu DESINFIZIEREN. Ich habe es es jetzt zwei Jahre geschafft, coronafrei zu bleiben. Wäre toll, wenn ich das kommende Weihnachtsfest mit meinen Liebsten feiern könnte. Nichts für Ungut, gell! Er schaute mich mit rotgeäderten Augen an. Verstand mich, verstand mich aber irgendwie auch nicht. Als würde er durch mich durch schauen und unterwegs über etwas grübeln. Er rückte auf und bog in den Testcontainer schweigend ab. Das Thema hatte sich somit von selbst erledigt. Ich hoffe, nicht irgendwo in einen abgeploppten Pobel gegriffen zu haben. Alle Bürger*innen zum Impfen zu bringen, scheint mir nicht ganz einfach zu sein. Eigentlich ist das eine recht gute Zahl: 70 Prozent. 70 Prozent vernünftig, können lesen, sind der deutschen Sprache mächtig, hören auf Berater*innen - und pobeln vielleicht zurzeit etwas weniger in der Nase in der Öffentlichkeit. Klingt doch echt gut, die Zahl. 


Prof. Dr. W. , Thoraxchirurg, grauhaarig, wirkte aber viel jünger. Erster Eindruck sehr gut. Entschuldigte sich bei mir, weil er das Aufnahmegespräch, das ich mit der Sekretärin führte, unterbrechen musste. Eine Kleinigkeit, dennoch mit Aussagekraft. Er hat schöne feingliedrige Hände. Keine Metzgerhände, eher die Hände eines Pianisten. Beruhigend! Ich sitze jetzt im Wartezimmer. Mache mir allerhand Gedanken. Was ist, wenn das Ding blöde liegt. Was ist, wenn gesagt wird, sie müssen (also ich), muss entscheiden. Habe ich Lust, mich schon bald wieder aufsäbeln zu lassen. Das bissel Stechen, Brennen und Rülpsen stecke ich doch weg. Die erste Reihe im Klassenzimmer muss in Zukunft halt immer frei bleiben. 

Wieder Krankenhaus, OP-Narbe längs zwischen den Titten, vollkommen saunauntauglich - ätzend! Krankenhausaufenthalt ohne Besuch - ätzend! Wieder Medikamente - ätzend! 

Höre ich mir das alles erstmal in Ruhe an. Vielleicht reicht ja ein filigranes *Schnipp Schnapp*.


Also…komme mir schon vor wie Kalle L., also:

 -großer fetter Knödel (O-Ton Professor Schnipp Schnapp) genau in der Mitte von der Brust. 

-Relativ leicht zugänglich.

-Verlagert meine Speise-und Luftröhre. 

-Wird mir irgendwann noch größere Probleme als nur spontanes Rülpsen bereiten, da „der Knödel“ weiter wächst.

-Man geht davon aus, dass er nicht bösartig ist. Kann aber jederzeit entarten, deshalb RAUS.  (Witzig: Wonderwomans Lieblingsworte sind REIN MIT, Prof. Schnipp Schnapps lauten RAUS MIT. So setzt jeder seine persönlichen Prioritäten!) 

Also…wo war ich, ach ja…

-Es wird noch besprochen, ob vorher evtl. eine Punktion durchgeführt wird. Die Entscheidung wird mir zeitnah mitgeteilt. 

-Weitere Termine folgen im Januar. 


Ein Tag in der für mich neuen Klinik: rauf und runter, links rechts, rechts links, Urin- und Linsengeruch , Chefarztgespräch, Blutabnahme, Nadellegung, CT mit Kontrastmittel, Nadelziehung,    Radiologengespräch, Kioskkaffee und Kioskschokolade. Hin und wieder musste ich illegale Wege beschreiten, weil der schnellste durch eine Baustelle unzugänglich war. Fand mich kurzfristig in einem Schlaflabor wieder. Hätte mich lieber neben einem krankhaftem Schnarcher gelegt, als 8 km durch die Etagen zu irren und Aufzug zu fahren. 

In der Chemoambulanz randalierte ein Riese, weil er zu lange warten musste. Er hatte ein unfassbar großes Kinn, so dass seine Maske fast nur die Nase bedeckte und waagrecht (einen halben Meter?) darunter hervorlugte. Ich habe in meinem Leben noch nie ein so großes Kinn und so große Füße gesehen. Der Riese hatte ungelogen kleine Paddelbote als Schuhe. Security und Pfleger versuchten ihn zu beruhigen. Fast wäre er auf mich drauf gefallen. Ich glaube, er hätte mir jeden einzelnen Knochen gebrochen. Ich hoffe, die Abteilung steht noch. Musste mich schnell vom Acker machen, worüber ich nicht ganz so unglücklich war.  Als ich nachmittags durch die Kliniktür nach draußen trat, war ich erschöpft vor so vielem medizinischem Input und Umherirren, war aber auch froh, dass ich nun endlich mit versierten Fachärzten mein „Knödelproblem“ angehen werde. Der erste Tag, an dem ich nicht mehr medizinisch denken muss, wird in die Geschichte der Feierei eingehen. 


Türchen Nummer 21



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