Wenn jemand fragt „Wie geht es dir?“, dann kommt man ganz schön in die Bredouille. Die Antwort hängt von so vielem ab.
Der Beziehungsstatus zum Fragendem ist hier z.B. nicht unwichtig. Herrscht da eher Gleichgültigkeit vor, bleibt man einsilbig:
Gut!
Der Charakter spielt eine Rolle. Ist man Optimist oder Pessimist, eine Frohnatur oder ein Trauerklos. Geht man Sachen forsch und mit Kampfesmut an oder ist man unsicher, feige - leidet eher still.
Bestens!
Geht so!
Die Tagesform ist ebenso nicht zu unterschätzen. Läuft der Tag gut, ist die Antwort Balsam für die Seele. Hat man gerade Mist erlebt oder erfahren, kann das Gesagte Schmerzen auslösen.
Hey, mir scheint die Sonne aus dem Arsch!
Ich bekomme heute irgendwie nicht so richtig Luft!
Genießt man die Einsamkeit, die Stille, bestehen Informationen eher aus Schweigen. Will man aber Halligalli, dann endet das Beschreiben der Lage womöglich in einem Referat.
Hin und wieder ist natürlich auch Berechnung dabei. Wer fragt da? Kann meine Antwort mir irgendwie später zum Nachteil gereichen? Muss man stark sein oder darf man Schwäche zeigen. Lüge oder Ehrlichkeit. Als Grundlage für all das muss eine Sprach- und Reflektionsfähigkeit gegeben sein. Kann man sich überhaupt adäquat ausdrücken? Weiß ich selbst um meine Empfindungen in diesem einen Augenblick, in den Augenblicken zuvor? Oder bin ich ganz taub und stumm vor innerer Qual? In diesen 4 Worten spiegelt sich die ganze Komplexität und Einfachheit von Kommunikation und Dasein wider. Alles erscheint ganz leicht und doch so unsagbar schwer zugleich. Für den anderen ist die Frage ziemlich banal, für einen selbst nicht. Oder eben andersherum.
Eine Nachfrage oder besser das Nachfragen zuletzt hat mich zum Staunen gebracht. Und ich staune nicht mehr so oft. Ein Mensch der in der Frage nach der Befindlichkeit schon eventuelle Szenarien zur Auswahl einfließen lässt. Sich reinfindet in die schwer zu beschreibende Situation eines Langzeitkranken. Das muss man können und wollen. Das ist eine Gabe, die nicht jeder hat und nicht jeder zeigen möchte. Plötzlich kann eine eigentlich Fremde ein ganzes Stück näher rücken. Am besten wäre es doch zu sagen: Hey, ich komme vorbei. Ich will schauen und erfahren wie es dir geht. Ein wenig Zeit mit dir verbringen. Dann hätte man wohl die Chance, eine aussagekräftige Antwort zu bekommen. Aber das traut sich kaum einer. Beziehungsweise das eigene stressige Leben zwingt einen stets zur Passivität.
Ja, wie geht es mir? Ich wache in der Nacht auf, weil meine Brust brennt und ich das Gefühl habe, überall werden Nadeln gesetzt. Der /die Knoten? Ich denke mal. In der Wachheit und im Schreiben wird es besser. Die Empfindung einer dauerhaften Unstimmigkeit bleibt. Lesen und Schreiben lenken mich von der Introspektion ab. Überschlage ich meine Gefühlsumsatz, komme ich natürlich zu einem sehr guten Ergebnis. Trotz dieser unangenehmen Fremdkörper-in-der-Brust-Problematik geht es mir gut. Keine Sorgen. Genug Geld, Liebe, Sex, Krebs besiegt. Ich kann alles tun, was ich und Corona mir vorgeben. Die Einsamkeit ist noch Genuss. Würde ich sie nicht mehr ertragen, kann ich jederzeit tätig sein, und wäre sofort mit meinen Taten erfolgreich. Ich genieße jede Minute meines Daseins, vermisse nichts. Auf jeden Fall nichts, was ich nicht schon vor meiner Erkrankung und vor Corona beanstandet habe.
Die Frau an meiner Seite ist das Beste was mir je hätte passieren können. Es gibt nicht viele Menschen, die mit so schrägen Vögeln wie wir (Icke und ich) es sind klar kommen würden. Nichts ist wichtiger für mich wie über alles reden zu können. Das kann ich, wenn ich denn imstande dazu bin.
Ich habe Angst vor dem Gespräch mit den Thoraxchirurgen am Montag. Habe Angst vor der Entscheidung, meine Brust aufschneiden lassen zu müssen. Ich habe Angst, zu hören, dass es keine Garantien gibt. Mir geht es auf den Zeiger, wieder ein Rädchen im großen Gesundmachsystem zu sein. Ich kann keine Krankenhäuser und Ärzte mehr sehen. Ich genieße meinen Genesungsprozess und will nicht mehr als
Kranker gelten. Ich wünsche mir, dass in meinem Körper endlich alles normal verläuft. Immer den Eindruck zu haben, da ist was nicht in Ordnung, nervt. Das Ignorieren und Überspielen fällt mit zusehends schwerer. Ich liebe mein Leben gerade, weil ich endlich Zeit für alles habe, was ich mag. Nach diesem Zustand streben wir alle: Jeden Tag die Wahl zwischen Produktivität und banaler Existenz zu haben, ist Luxus pur. Ich möchte diesen Zustand zum einen niemals beenden und zum anderen wieder ein normales gesundes Leben führen - mit einem überschaubarem Sinn, den ich mir vorgaukle.
Ja, wie geht es mir?
Bestens!
Türchen Nummer 16
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