Wann, wenn nicht in der Adventszeit, sollte man über den eigenen Glauben sprechen. Der Endlichkeit von der Schippe gesprungen und Weihnachten vor der Türe, einen besseren Zeitpunkt gibt es da wohl nicht. Am Sonntag unter Freunden wurde das Thema schon ein wenig angerissen, ganz zufällig. Aber wie so oft, nicht bis zur letzten Klärung durchdrungen. Zu schwer! Zu diffus! Keiner hat so recht eine allumfassende ein- oder erleuchtende Antwort parat. Nur die Hardcore-Christen vielleicht. Aber die zeigen sich nicht. Auf jeden Fall nicht in meinem Umfeld. Ich versuche jetzt mal zu beschreiben, was ich so glaube.
Es ist ein sehr spezieller paradoxer Glaube. Ich habe es hier schon erwähnt: Ich mag Kirchen. Gehe ich in eine Kirche, macht das mit mir etwas. Ich werde ruhig und fühle mich wohl. Es ist so, als würde in der Kirche keine Unruhe und kein Ärger mehr existieren. Die ureigene Aura einer Kirche sediert mich. Plötzlich weiß man, wo man hingehört. Ich mag auch zu einem gewissen Grad Gottesdienste: das gemeinsame Singen, die gemeinsamen Rituale, die schöne Predigt. Wenn sie denn schön ist. Da fängt aber auch schon meine ganz persönliche Vorstellung von einem sinnvollen Gottesdienst an. Der christliche gottesfürchtige Gottesdienst, mit salbungsvollen weltfremden Bibelzitaten und merkwürdigen Umhängen ist nicht meins. Ich würde den Gottesdienst eher weltlich gestalten: mit Meditationen, Gedichten, Geschichten, Andachten, Klaviermusik, Elektroklängen, Gospel, Liedermacher, Ludovico Einaudi, Schiller, Aretha Franklin, Mey, Wecker, van Veen. Viel Lebensfreude, lustig, bunt! Worte der Reflektion. Kinder und Jugendliche, die ihre Wünsche an die Erwachsenen vortragen, Witwen und Witwer, die von ihre Trauer berichten, Kranke, die durch die Gemeinschaft Zuversicht erfahren. Mit Menschen, die sich gegenseitig Trost und Mut spenden. Diese Anliegen sind religions- und gottesfrei. Was zählt ist die gemeinsame Besinnung und der gemeinsame Halt. Gibt es einen Gott in meinen Überlegungen? Einen gütigen allwissenden Gott? Ehrlich gesagt, ist mir das ziemlich egal. Ich kann es mir nicht vorstellen. Würde ich es mir wünschen? Welchen Sinn hätte das? Benötige ich jemanden, der sich für mein Schicksal verantwortlich zeigt? Ist ein fremdgesteuerter Sinn für mich wichtig? Nein! Ich finde aus mir selbst und aus meinem Gegenüber den Sinn heraus. Ich will Gutes tun und empfinden, nicht weil Gott das so vorgibt, sondern weil ich es selbst so will. Ohne vorgeschriebenem Gebet, ohne automatisierten verstaubtem Gesang, vielleicht nur in reinem Schweigen und Zuhören. Ich würde den Gottesdienst in Menschendienst umbenennen wollen. Welchen Platz hat Jesus hier? Der Sohn Gottes puuuh…, die unbefleckte Empfängnis puuuh..., Wunder und Auferstehung puuuh...Das alles ist mir sehr fremd. Aber Jesus als Vorbild, oh ja! Ein Typ, der Leute mitreißt und der das friedliche Wort in die Welt posaunt, der anders ist als alle anderen, dem nichts wichtiger ist als die Nächstenliebe und Gewaltfreiheit zu predigen: Jau, damit kann ich mich gern arrangieren. Da gibt es viele Vorbilder, denen man nacheifern könnte. Die Hausmeisterin, der Sekretär, die KFZ-Mechatronikerin, der Kindergärtner, sie alle können Vorbilder sein.
Ich glaube an das Gute, habe aber ständig Zweifel, ob das Gute jemals siegen wird. Ich sehe zurzeit oft leider viel zu wenig das Positive in den Menschen. Will mich gegen diese Niederlage stemmen, mit allem was ich habe. Mir ist egal, wer was glaubt, wenn er dabei nur menschlich bleibt.
Ich bin aus der Kirche ausgetreten. Ich bin auch in keiner Partei, obwohl ich sehr politisch denke. Ich wollte nicht mehr ein Teil dieser Institution sein. Mir kam sie nicht richtig vor, zu machtbesessen. Macht ist auch in der Kirche keine Unbekannte, anscheinend. Hier mache ich erstmal keinen nennenswerten Unterschied zwischen Katholischer und Evangelischer Kirche.
Ich war (bin?) Protestant. Seit dem ich ausgetreten bin, habe ich ein schlechtes Gewissen. Nicht arg, aber es ist da. Vor allem, wenn ich in der Kirche das Vater Unser bete, dann fühle ich mich seltsam ertappt. Das Sprechen des Gebets aller Gebete gibt mir Kraft und berührt mich. Was für ein Widerspruch! (Siehe oben!) Das ist es aber: Mein Glauben besteht aus lauter Widersprüchen. Vielleicht haben diese Widersprüche schon mit meiner Taufe mit 14 begonnen. Ich habe mich selbst dazu entschieden, Mitglied der Kirchengemeinde zu werden. Als Teenager. Schräg! Welcher Teenager entscheidet sich schon in dem Alter zu dieser christlichen Sippe gehören zu wollen. Es war eine gute Entscheidung. Ich habe gute Leute getroffen und die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten genossen. Vielleicht lag das Wohlempfinden aber auch an dem ersten geilen Petting mit meiner damaligen Freundin aus der Konfirmandengruppe. Wer weiß das schon.
Die Pfarrer, die ich in meiner Jugend kennen gelernt habe, waren alle toll. Ihnen habe ich stets aufmerksam zugehört. Gott und Jesus waren da zweitrangig. Ich habe mich schon immer gerne von Leuten inspirieren lassen. Weil ich daheim niemand wirklich hatte, der mich anleiten konnte? Je älter ich werde, desto weniger werden diese Art von Menschen. Leider!
Es wäre schön, von einem Pfarrer/einer Pfarrerin beerdigt zu werden, der/die einen kennt. Es wäre schön, wenn meine Gäste die besondere Rituale eines Menschendienstes gemeinsam erleben könnten.
Es wäre schön, wenn man Trost spenden würde.
Ich weiß bis heute nicht, ob ich lieber verbrannt werden will. Wahrscheinlich. Die sauberste Lösung! Der Gedanke, von Wissenschaftler*innen in 1500 Jahren ausgegraben und analysiert zu werden, ist mir sympathisch. In eine von mir geschätzte Region oder lieben Platz verstreut zu werden aber auch. Eine Kastanie im Friedwald, die Asche vom Wachtfelsen gekippt, Blick auf St. Anna vom Böchinger Friedhof, alles möglich, alles rund.
Als was möchte ich wiedergeboren werden? Als Löwe! Ich glaube nicht an Auferstehung und Reinkarnation. Das Wort Energie kommt mir in dieser Hinsicht eher angemessen vor. Energetisch verbinde ich mich mit dem großen Ganzen. So werde ich in gewisser Weise in ALLEM (aber hoffentlich in keinem AfD-Wähler) weiter existieren. Nicht als göttlicher Funke, aber als irgend ein Fünkchen. Natürlich ist das nur eine Hoffnung!
Fragt euch mal gegenseitig, an was ihr so glaubt. Hier werden sich mit Sicherheit viele Überraschungen auftun. Nicht mal Lebenspartner*innen wissen das so genau voneinander. Schade eigentlich!
Türchen Nummer 14
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