Es gibt eine Sache, für das ich meinem Papa heute noch dankbar bin. Er hat mich mit dem Schachvirus infiziert. In dieser Beziehung lehne ich die Impfung kategorisch ab. Ich glaube, dass Kids eine ziemliche Macke haben, wenn sie in jungen Jahren Schach lernen. Warum sollte man bloß als kleiner Steppke Spaß daran haben, Minuten lang konzentriert auf ein Brett zu starren. Wo ist da die Action, das Blut, der Krawall. Ich habe es geliebt. Es war wohl das aufrichtige Interesse an dem was ich getan habe und an das, was ich tun werde: der vergangene und der nächste Zug! Ich war nur ein einziges Mal meinem Vater näher als am Schachbrett: an seinem Sterbebett. Das Spiel fasziniert mich noch heute. Es gibt nichts psychisch Stärkenderes als nach hartem kognitiven Kampf den Gegner niedergerungen zu haben, wenn einem der beste Zug von vielen Möglichkeiten am Ende doch noch eingefallen ist. Wenn man sich aus der Umklammerung mit Raffinesse lösen kann. Das ständige Hoffen auf so ein seltenes Spiel treibt einen immer wieder an. Wie muss sich Magnus Carlsen am Freitag gefühlt haben, als er seinen Herausforderer nach 136 Zügen und fast 8 Stunden geschlagen hat. In der längsten Partie der WM-Historie. Er konnte vor Aufregung nicht schlafen, hat er berichtet. Aufgeregt? Er? Man will es kaum glauben. Carlsen, das Schach-Jahrhundert-Genie. Er hat einen neuen Stil geprägt: das geduldige Zermalmen. Ich mag dieses lange geduldige Nachdenken. Blitzschach ist nichts für mich. Ich bevorzuge es, lange nach der besten Lösung zu suchen, Fehler zu vermeiden. Beim Blitzschach geht es nur darum, wer schnell zuerst Fehler macht, sie erkennt und konsequent ausnutzt. Ein Gemetzel. Das ist mir suspekt. Ein leckeres Glas Rotwein, 32 Figuren aus schönem Holz, ein gleichstarker Gegner, Stille, Zeit, was gibt es Schöneres. Yoga für den Kopf. Ich hatte einmal einen Schachfreund. Es war ein Genuss bei jeder Begegnung das Schachspiel dabei zu haben. Selbst in Amsterdam im Café haben wir uns mit Zügen, die wir übersehen hatten, beschäftigt. Schach schult die Geduld und die Konzentration. Nervöse Menschen hassen Schach, können es nur schwer ertragen, geschweige denn spielen. Die Perser haben es erfunden, so wurde es überliefert. Im 6. Jahrhundert war das. Kann ein Reich, das so ein Menschheitsspiel hervorgebracht hat, die Ausgeburt des Bösen sein? Hätte es damals bereits ein Spieleverlag gegeben, dann hätte man wohl den ganz großen Reibach damit gemacht. Ist es nicht wunderbar, dass ein Brettspiel, das vor 1500 Jahren erfunden wurde, heute immer noch Generationen in den Bann zieht. So ganz ohne Würfel und buntem Schnickschnack. Es zu lernen, ist nicht schwer, es zu spielen, umso mehr. Das sind überhaupt die besten Spiele! Leider bin ich kein guter Schachspieler. Ich wäre es gern. Ja, ich bin kein Anfänger mehr, das schon. Manchmal schaue ich mir auch berühmte Partien im Nachgang an und versuche sie mir zu merken und nachzuspielen. Scheitere aber an meinem löchrigen Gedächtnis. Für gutes Schach ist mein Speicher definitiv zu klein. Aber trotzdem habe ich hin und wieder beglückende Erfahrungen gemacht. Wenn ich zum Beispiel mit einem netten Zyprioten ein Battle austrage und dann ganz knapp doch die Segel streichen muss. Zuerst. Dann aber in der Revanche meine Ehre glücklicherweise wieder herstellen kann. Ich glaube, deswegen ist Schach eher ein Männerding. Dieser martialische Ehrgedanke machen sich Frauen in der Regel nicht zu eigen. Es geht um Macht, Vorteile ausnutzen, Kompromisslosigkeit. Diese Suchtkomponenten sind nicht feminin.
Wenn man im beruflichen Lehreralltag gefangen ist, gibt es kaum Zeit für ein langes konzentriertes Match. So viele andere Dinge sind da relevanter. Will man dann noch 2 Stunden sitzen. Jetzt kann ich nach Herzenslust drauf los schachen. Und das Internet und das Smartphone sprengt alle erdenklichen Grenzen. In jeder Lebenslage kann ich nun gegen Schachenthusiasten aus der ganzen Welt spielen. Ich könnte jede freie Minute mit Schach verbringen. Ich habe sogar tatsächlich den Eindruck, dass ich mein Spiel verbessert habe. Sport und Zeit lassen meinen Geist wacher erscheinen. Auch das neue Portal chess.com, auf dem ich jetzt unterwegs bin, multipliziert die Sucht mit 1000. Unendliche Möglichkeiten und Angebote Rund um das Spiel der Spiele. Schreibzeug und ein Schachspiel würde ich auf die einsame Insel mitnehmen. Ich würde am Strand meinem Freitag das Schachspiel beibringen. Würde Kokosnussmilch schlürfen und das Bauernspiel perfektionieren. Wenn ein Schiff vorbei segeln würde, um mich zu retten, wäre ich erbost. Ich kann nicht sagen, ob ich mich für eine Rettung aussprechen würde. Zurück in die Zivilisation? Zurück in den gewöhnlichen Menschenwahnsinn? Ich würde die Schiffsbesatzung fragen, ob sie mir hin und wieder vielleicht ein paar Fässchen Rum vorbei bringen könnten.
Türmchen Nummer 5:
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