Die Macht der Worte

Also, da habe ich wohl etwas unterschätzt oder einfach nicht beachten wollen: die Macht des Wortes und die Gefühle des Empfängers. Ich hoffe nicht, ALLER Empfänger. Mir ist bewusst, dass ich mich in einer völlig privilegierten Position befinde. Das habe ich hier auch schon mehrmals betont. Ich habe viele Menschen um mich herum, die würden sofort alles stehen und liegen lassen, um Nicole und mich zu unterstützen. Die regelmäßig mit uns im Austausch sind. Die regelmäßig nachfragen und ihre Anteilnahme zum Ausdruck bringen. Dafür bin ich zutiefst dankbar. Jeden Tag seit 6 Monaten. Diese "permanenten unterstützenden Engel" dürfen sich von meinen gestrigen Anfangsworten auf keinen Fall angesprochen fühlen. Ich bedauere es, da jemand evtl. irritiert oder verletzt zu haben. Alle anderen sind natürlich mehr oder weniger gemeint. Das wollte ich schon so. Und es geht auch nicht um diese eine Handy-Verzichtswoche. Das ist völliger Quatsch. Ja, das könnte man natürlich missverstehen. Das sehe ich ein. Da war ich zu unkonkret, zu verallgemeinernd. Da hätte ich ein zusätzliches Statement setzen müssen. Es geht um die, die sich über die sechs Monate sehr rar gemacht haben. Die anfänglich Anteilnahme bekundet haben, schockiert waren und dann fast vollständig in der Versenkung verschwunden sind. Funkstille! Natürlich könnte das alle möglichen Gründe beinhalten. Vielleicht fällt mein Urteil auch bei dem einen oder anderen zu hart aus. Das tut mir dann sehr leid. Bei emotionalen Angelegenheiten trifft man nicht unbedingt immer ins Schwarze. Es gibt unterschiedliche Wege, mit diesen Erfahrungen umzugehen, das ist mir klar. Mein Weg muss nicht der richtige sein. Ich war noch nie ein Schweiger und ein Hinnehmer. Wenn ich das gewesen wäre, hätte ich meine Jugend nicht überlebt. Ich erlebe, beobachte und ordne ein. Auch mit der Gefahr, mir evtl. dabei ein Eigentor zu schießen. Stellt euch nur vor, wenn ich kein Lautsprecher wäre, wenn ich nicht kommunizieren würde, wenn ich nicht bloggen und nicht posten würde, was wäre dann? Wenn man nicht miteinander spricht, erfährt man auch nichts voneinander.  Aber vielleicht will man das ja: Niemand und nichts an sich ran lassen. Niemand auf die Füße treten. Auch völlig okay. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Was hilft es mir, wenn jemand in Gedanken bei mir ist, mir das aber nicht persönlich bekundet. Motivation und Kraft erhält man nur in direkter Ansprache. An mich direkt gerichtete Worte bleiben im Gedächtnis, geben mir immer Zuversicht, die Kraft, nicht aufzugeben. Aufmunternde, empathische Worte sind Schätze, die man hervorkramt, wenn man sie benötigt. Die Erfahrung zeigt, dass viele Menschen mit Gefühlen und Kommunikation so ihre Probleme haben. Seit ich wahrnehmen, denken und sprechen kann, fällt mir das auf. Selbst bei Menschen, die man sehr schätzt oder liebt, bekommt man plötzlich kein Wort heraus. Wie schwer fällt es uns zu loben oder zu bestärken. Daher ist unsere Welt ja so wie sie ist. Man kann das einfach nun so stehen lassen, und weiter machen wie bisher. Is halt so, hier eine beliebte Floskel. Das ist aber nicht mein Ding. 

Es fällt mir etwas auf, und ich mache es zum Thema. Es fällt mir auf, dass ein Mensch mich trifft, der meine Geschichte kennt, sogar schon sein Mitgefühl und seine Unterstützung gezeigt hat, und dann nicht fähig ist, sich nach meinem gesundheitlichen Status Quo zu erkundigen, eine Verbundenheit herzustellen. Die restliche Zeit im Schweigen verharrt. Das einzige, was möglich erscheint, ist oberflächliches Gefasel. Das irritiert mich. Muss ich dafür Verständnis aufbringen? Soll ich das nicht hinterfragen? Es einfach hinnehmen: Kann er/sie halt nicht, will er/sie halt nicht. Wir verlangen unseren Kindern so viel ab. Schimpfen, wenn sie zu gefühlslos und zu oberflächlich reagieren. Fordern ständig soziale Skills ein, die wir selbst nicht drauf haben. Wer legt bei uns Erwachsenen den Finger in die Wunde, frage ich mich! Gestern hat man auch den Finger in meine Wunde gelegt. Zu Recht! Eindeutigkeit ist nicht meine Stärke; ich liebe die Zweideutigkeit. 

Nochmal: Es tut mir leid, wenn mein gestriges Urteil zu missverständlich, zu hart, zu ungerecht ausgefallen ist. Ich werde immer die Hoffnung beibehalten, dass sich was zum Guten bewegt. Einmal Pädagoge, immer Pädagoge!

 

Sagen wir mal so: Mein Blogeintrag hieß gestern Experimente; dieses Experiment hat dann wohl das Ziel etwas verfehlt. Bei dieser Versuchsanordnung müssen demnächst sicherlich ein paar Parameter verändert werden. 

 

Das ist echt eine schräge Krankheit, die ich mir da eingefangen habe. Ereilen schräge Menschen schräge Krankheiten? Ich fühle mich und fühlte mich nicht krank, außer nach der Einnahme von Medikamenten. Und doch ist etwas in mir, das schlummert oder wächst, wie es ihm gefällt. Wenn der Alien in mir wieder wach wird, schießt er mitten durch meine Leiste und bedroht mein Leben. Wenn ich nachts aufwache, einen kleinen Schweißfilm auf der Stirn und auf der Brust fühle, überkommt mich die Panik, weil ein Symptom von Hodgkin ein auftretender Nachtschweiß ist. Unwillkürlich fasse ich mir dann in die rechte Leistengegend. Im Anschluss rede ich mir schließlich gut zu, dass alles halb so schlimm ist und die Schweißintensität nicht ausreicht, um als Symptom eingestuft zu werden. Dieses gute Zureden hilft, nicht unmittelbar überzuschnappen und hat bestimmt seine Berechtigung. An anderer Stelle ist es aber wiederum unpassend, weil man evtl. den Ernst der Lage verkennt, wie im letzten Jahr geschehen. Da habe ich mir gesagt, die Vergrößerung des Leisten-Lymphknoten hat nichts mit meinem Hodgkin zu tun. Ich verblödeter Hornochse! Das Perfide: Das besänftigende Selbstgespräch hat mich tatsächlich beruhigt. Besser wohl sediert.

Eigentlich müsste ich den Hodgkin wie eine Art Bluthochdruck oder schweren Zucker ansehen. Ja, man könnte daran sterben, aber man hat’s doch ganz gut im Griff. Alles easy also. Doch die Wörter „Tumor“ und „Lymphdrüsenkrebs“ sind aber einfach zu bedrohlich geworden. Wie AfD. Wir haben die Arschgeigen im Griff, aber wenn man den Parteinamen hört, wird einem speiübel. 

 

Viele Patienten fragen sich nach dem Warum? Warum ich? Warum jetzt? Das habe ich eigentlich nie gemacht. Dieses Fragen ergibt für mich keinen Mehrwert. Wenn man mal damit anfängt, gibt es plötzlich tausende Warums. Warum musste ich einen alten autoritären Sack, der mit dem Messer auf meine Mutter los ging, als Vater haben? Warum hatte ich so eine schwache Mama, die am Leben zerbrochen ist? Warum sind meine Geschwister nicht meine Geschwister? Seltsamerweise aber frage ich bezüglich meiner Ursprungsfamilie im Gegensatz zu meiner Erkrankung häufig nach dem Warum? Hier empfinde ich dann das Verstehen plötzlich als einen Mehrwert für mich. Wissen ist Macht! Kontrolle! Das Verstehen von SICH und seinem Handeln! Alle Begebenheiten empfinde ich als Aufgaben, die wir gestellt bekommen. Aufgaben, die uns  zu der Erkenntnis bringen sollen, wer wir sind. Manche wollen das gar nicht wissen, sind einfach so wie sie eben sind. Aufgaben? Brauch ich nicht! Das ist nicht meins. Kinder haben, ist z. B. so eine Aufgabe. Mit einem Kind an seiner Seite wird man in der Regel zu einem anderen Menschen. Entweder weicher oder härter. Leider nicht immer zu einem besseren. Ein Streit, eine Auseinandersetzung will etwas über uns aussagen. Mir sagen meine verunglückten Liebesbeziehungen, dass ich in Sachen Liebe keine Kompromisse mehr eingehe. Wer mich nicht liebt, wie ich es möchte und verdiene, muss gehen. Basta!  Auch bei Freunden ist es so. Ken-Jebsen-Jünger, Impfverweigerer, AfD-Wähler müssen draußen bleiben. Ich sage nicht für immer. Elementare Fehler können auch immer verziehen werden, wenn sie denn eingestanden werden. Lässt sich Joshua Kimmich impfen, Schwamm drüber!  Warums können von großer Bedeutung sein, oder eben auch nicht. 

 

 

Ich weiß nun, dass die Therapie nur eine Zwischenlösung bzw. Zwischenstation war und ist. Die Belohnung: Zeit! Die Aufgabe, die mir jetzt gestellt wird, ist, diese jetzt so effektiv wie möglich zu nutzen. Allem fern zu bleiben, bei dem ich merke, es bringt mich persönlich nicht weiter. Anwesenheit nur aus Nettigkeit kann ich mir nicht mehr leisten. Die Zeit war schon immer kostbar; nun ist sie noch kostbarer geworden. Meine Lebenszeit ist kostbar! Meine Lebenszeit ist kostbar! Meine Lebenszeit ist kostbar! Dieser Satz soll zukünftig wenn möglich zu meinem Mantra werden. 

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Kommentare: 3
  • #1

    Marita Heidrich (Donnerstag, 28 Oktober 2021 13:19)

    Lieber guter armer kranker Alex, auch ich sitze in dem Wespennest, das du getroffen hast. Am 23.06. habe ich dir, wie ich meine, liebe Worte und eine Umarmung geschickt. Ganz innig!
    Zwei Monate später kommt ein kurzes „danke“. Was denkt Marita dann: oh, der Alex hat natürlich anderes im Kopf als mit mir zu schreiben, oder legt keinen Wert auf Anteilnahme, da halte ich mich mal zurück.
    Tja, wie man‘s macht …..
    Jetzt glaube ich, dass die kommende Zeit angefüllt ist mit Anfragen, geschieht dir grad recht!
    Liebe herzliche Grüße

  • #2

    Alexander (Donnerstag, 28 Oktober 2021 17:21)

    Liebe Marita,
    danke für deinen Kommentar. Mir ist nicht bewusst, dass ich damals so kurz angebunden war. In der Regel bedanke ich mich ausführlicher für die Anteilnahme - und dies recht zeitnah, wenn ich kann. Ich weiß nicht, ob du mein Blog regelmäßig verfolgst. Da bekommt man ganz gut mit, wie ich so drauf bin, was ansteht, wie es mir geht. Dort habe ich auch oft erwähnt, dass man sich immer gerne melden und mich sogar besuchen kann. Manchmal braucht’s einfach bissel Mut und Beharrlichkeit. Ich danke dir, dass du an mich denkst und es tut mir leid, wenn ich ich dich mit meinen letzten Einträgen verletzt oder vor den Kopf gestoßen habe. Krebspatienten sind seltsame empfindliche Geschöpfe. Nochmal sorry für das wohl kurz verspätete „danke“.
    Wünsche dir noch eine schöne Zeit.
    Alexander

  • #3

    Marita Heidrich (Freitag, 29 Oktober 2021 00:10)

    Simmer widder guut ��