Letzter Tropfen

Ein besonderer Tag heute unter den vielen besonderen. Meine letzten Tropfen Chemo werde ich nachher erhalten. 6 Monate Therapie gehen zu Ende. Hoffentlich zu Ende.  Genaueres werde ich dann am 26. bzw. 29.10. wissen. Schluss mit dem ganzen Medizinkram wird leider dann noch nicht sein, weil im Anschluss die Baustelle in der Schilddrüse endlich vollendet wird. Ob Vollabriss oder Teilabriss wird sich zeigen. Die Aussicht auf diese OP bereitet mir viel mehr Sorgen, weil anscheinend mein Thorax schon von Wucherungen befallen ist. Es wird also wohl nicht nur an der Drüse rumgeschnippelt werden. Das Drüsenproblem hat nichts mit dem Hodgkin zu tun. Diese Geschichte läuft parallel und ist durch die vielen Untersuchungen zu Tage gefördert worden.  

Na ja, vorher verrückt machen gilt nicht! Schritt für Schritt. Erstmal werde ich mich nach dem heutigen Tag eine längere Zeit erholen. Dann gehts weiter. 


Man wacht auf, fühlt sich, hört auf Gluckern und Glucksen, überprüft sich, geht alle Gliedmaßen und Organe durch, und ist verdammt froh, wenn keine besonderen Wehwechen hinzugekommen sind. Heute bleibe ich bei der Wanderung durch meinen Körper an meinen Knien hängen. Sie fühlen sich geschwollen an und schmerzen bei der Beugung. Warum das jetzt auftritt, keine Ahnung! Aber ansonsten geht es mir nicht unbedingt schlecht. Halt wie immer - wie nach einer durchzechten Nacht. Gott, muss das lange her sein, dass ich tatsächlich eine durchgezechte Nacht mit viel Tanz und noch mehr Alkohol hinter mich gebracht habe. Ein Mega-Kater ohne Alkohol ist ziemlich doof! 


Gestern habe ich wieder überdurchschnittlich viele Nachrichten erhalten. Ein Bild, das man von der Chemo postet, scheint dann doch mehr Anteilnahme als sonst auszulösen. Alle Zeilen und Emojis, die ich dann erhalte tun mir sehr gut. Ich versuche, die Kraft, die man mir schenken will, wirken zu lassen und nicht als Floskel abzutun. Das Empfinden nicht alleine zu sein, hat einen großen psychologischen, und dadurch auch einen medizinischen Wert. 

Es gibt Menschen, die haben anfänglich in besonderem Maße ihre  Anteilnahme bekundet und sich dann nie wieder gemeldet. Und es gibt auch die, die sich überhaupt nicht trauen, auf mich, auf uns zuzugehen. Die nicht-aktiven „Ankündiger“ sind ebenso  zahlreich vertreten. In der menschlichen Natur gibt es eben ALLES. In solchen existenziellen Situationen kann man vieles am Menschsein ablesen und lernen. Gutes und weniger Gutes. Oftmals legt man bei seiner Menschen-Studie zumindest einen Teil des Wesens des Gegenübers frei. Für mich ist das spannend, nur manchmal schmerzhaft. Wenn man von der These ausgeht, dass der Mensch furchtbar unvollkommen ist, beruhigt das einen. Es fängt nur an, blöde zu werden, wenn man die Unvollkommenheit immer nur bei den anderen sieht. Wir haben alle jeden Tag eine Menge zu lernen - nur leider keine Zeit und keine Muße dazu. Ein Sabbatjahr für alle, wäre das nicht super? 


Heute kam der GdB-Bescheid. 80 Prozent, das ist doch ein Wort. Icke haben sie nicht anerkannt. Der würde sogar gegen eine Behinderung sprechen, sagen die. Weil ich ja dann Unterstützung hätte. Der und Unterstützung, ich fasse es nicht! Ich höre gerade, wie er sich schlapp lacht. 


Kann mir einer erklären, warum die Security-Jungs alle Immigrationshintergrund haben, adipös sind und grobklotzig daher kommen. Muss man unbedingt so ein Äußeres haben, um Sicherheit zu vermitteln bzw. abschreckend zu wirken? Liegt das am ungerechten deutschen Bildungssystem? Ich habe das Gefühl, dass die Gescheiterten aus meiner Schule alle eine Anstellung in dieser Sicherheitsfirma erhalten haben. Was würde passieren, wenn die AfD ihre politischen Ziele erreichen würden, hätten wir dann keine adipösen Security-Männer in Klinken mehr? 


Asiatische Krankenpfleger*innen und Ärzte*innen hätten es wohl dann auch schwer. 


Welcher Tag der Therapie am beschissensten ist, ist nur schwer zu beantworten. 

Tag 1? Von 100 auf null ist sowohl psychisch als auch physisch eine erhebliche Belastung. Man ist noch ein Tag davor voller Tatendrang und dann hauen die Antikörper einen komplett von der Tanzfläche. 12-16 Stunden Schlaf die Regel. 


Tag2? Hat man sich in den paar Stunden nach Retuximap einigermaßen berappelt, bekommt man die Dröhnung vom Chemo-Präparat. Nebenwirkungen mal zwo. 


Tag3? Ist wie, wenn man ein fettes paniertes Schnitzel essen müsste, obwohl elnem übel ist, und man überhaupt keinen Bock drauf hat. Fische vitaminreiche Kost wäre einem lieber. Psychisch hat der dritte Tag natürlich seinen Vorteil. Der letzte Tag. Man kann sich nach der Gabe unmittelbar auf die Erholung konzentrieren. Pläne schmieden, wie man den gestressten Körper wieder ins Gleichgewicht bringt. Durch Bewegung, gute Ernährung und schöne Erlebnisse. Weil man weiß, dass es jeden Tag besser wird, hat man Hoffnung auf eine gute Zeit danach. Ich mag mich gar nicht in Timos Lage von damals hineinversetzen. Bei ihm wurde nix besser. Im Gegenteil. 

So gesehen, darf ich mich nicht beklagen, es gibt immer noch Licht am Ende des Tunnels. Und dann gibt es ja noch Nicole, die jeden meiner Tage zu einem Glückstag macht. Jemand an seiner Seite zu wissen, der all das Elend ohne einen Einbruch mitträgt und einen stets motiviert und umsorgt, ist vielleicht das ausschlaggebende Krebsmedikament. Obwohl die Therapie diesmal nicht so krasse Auswirkungen gehabt hat, hätte ich die Therapietage auf keinen Fall allein so gut durchgestanden. Es wird irgendwann so sein: Wenn ich überlebt habe, bin ich einer Person ganz besonders zu Dank verpflichtet, und das wird Nicole sein. Im Unglück ist das größte Glück, was man haben kann, geliebt zu werden. Und Leute, das ist kein einfaches Unterfangen, mit melnem anstrengenden Icke und so. Das kann ich euch sagen. 







Gestern schrieb mir jemand: Es ist schön,  dass du deinen Humor nicht verloren hast.

Wenn es irgendwie geht, möchte ich mir diesen bis zum Schluss bewahren. Es ist für mich (und für Dürrenmatt) das einzige Mittel dem Grauen etwas entgegen zu setzen. Wenn wir unseren Humor verlieren, was bleibt uns dann noch? Humor ist Würde. Am Kreuz hängen und „Always look on the bright sight of life“ pfeifen. Ein Bild, das ich sehr mag. 

Das war er: der letzte Tropfen! 



Tagesabschluss. Ich kann es gar nicht fassen: Das soll es jetzt gewesen sein? Ein Zustand wie nach einer Prüfung. Die Strapazen haben (kurzfristig) ein Ende. Jetzt fällt man in das berühmte Loch?  George Lyphomi am Boden, schnappt nach Luft, röchelt und hustet wie ein sterbendes Schlachtross. Der letzte Punch hat gesessen. Man wird sehen, ob er sich von diesem Schlag jemals erholen wird. Ich wünsche ihm eine geruhsame Rente. Seine Zeit scheint abgelaufen. Ich werde mich jetzt auf den nächsten Gegner vorbereiten. Der unscheinbare, aber gewiefte Peter Schilddrüse. Man weiß ihn noch nicht so recht einzuschätzen. Er ist ziemlich neu im Ring. Mit meinen Trainern zusammen werde ich schon eine erfolgreiche Strategie erarbeiten. Wer George Lyphomi in die Knie gezwungen hat, der wird sich von Peter Schilddrüse kaum ins Bockshorn jagen lassen. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0