90, 10, null

William Shatner alias Captain Kirk, der Held meiner Jugend. Keine Folge von Raumschiff Enterprise habe ich verpasst. Nachts habe ich davon geträumt, als Commander das Universum zu bereisen.  Dieser Captain Kirk war nun gestern mit 90 für 10 Minuten im Weltall, als ältester Mensch überhaupt. Find ich das gut? Ja und nein.  Faszinierend auf jeden Fall. Fortschritt muss sein. Aber zu welchem Preis? Mit welchem Sinn verbunden? Wenn es nur zu Publicity-Zwecken und Gewinnmaximierung dient, dann muss man so einen Flug ablehnen. Soll der unbelehrbare Mensch tatsächlich Kolonien im Weltraum gründen? Soll seine Ignoranz, sein Machtstreben die Existenz anderer Spezies in der Milchstraße auch noch gefährden? Werden die ersten Weltraum-Siedler gute Menschen sein? Auch an Bord der Enterprise waren nicht alle gut. 

Ich selbst bin so weit weg, um in Jeff Bezos Rakete mitfliegen zu können. Höchstens als Asche in der Urne. Aber selbst das wird man sich so bald nicht leisten können. Ich habe von gestern auf heute mindestens 16 Stunden geschlafen oder gedöst. Ich habe mich nicht wie ein 90-Jähriger, der ins Weltall aufbricht, gefühlt, sondern wie ein 90-Jähriger, der null Schritte auf der Erde schafft. So muss sich ein Baum fühlen, der gefällt und zerheckselt wird. Ich krabble so langsam aus dem Tunnel. Kann diese Zeilen notieren, die mich aber zugleich wieder völlig erschöpfen. Mein Wille scheint für Stunden nach der Infusion gebrochen zu sein. Langsam kommt dieser Wille, sich seinem Schicksal nicht zu ergeben, wieder zurück. Hier bin ich dann doch ein klein wenig Captain Kirk!

 

11.14 Uhr

 

Ich bin froh, dass ich an Tag 2 und Tag 3 der Therapie immer erst um 14.00 Uhr in die Klinik fahre. Ich dürfte auch schon viel früher. Das ist alleine meine Entscheidung. 

Ich brauche diese Stunden der Erholung. Die Vorstellung, ich wäre schon wieder um 08.00 Uhr am Tropf, und das mit Bendamustin, dann wird mir ganz anders. So bin ich einigermaßen wieder klar und bereit für die nächste Dröhnung. Es ist gut, dass ich diese Entscheidungen noch selbst treffen kann. Für mich ist das der Gradmesser eines gelungenen Lebens: Wie viele Entscheidungen kann ich selbst treffen? Wie viel wird mir abgenommen oder vorgegeben? Wenn ich keine Entscheidungen mehr für mich treffen kann, dann kann man gern den Stecker ziehen. Dann macht das Leben für mich keinen Sinn mehr. Also - an die Leute, die mich schätzen und lieben, die sich für mich interessieren, die Anteilnahme bekunden, die mitzittern, beruhigt euch: Ich kann noch eine Menge Entscheidungen selbst treffen.

 

 

Auf der Fahrt in die Klinik geht einem immer so einiges durch den Kopf. Wir können uns in Ruhe lassen, müssen uns nicht durch ein Gespräch ablenken. Das finde ich ganz angenehm. Obwohl es manchmal  sinnvoll sein könnte, nicht seinen kruden Überlegungen nachhängen zu müssen. Ich habe an einem Satz im Buch „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ denken müssen. Auch der Philosoph Wilhelm Schmid hat etwas Ähnliches formuliert. „Wenn Sterbende das Gefühl haben, nichts Wichtiges mehr auf der To-Do-Liste stehen zu haben, dann können sie in Ruhe gehen.“ Ich habe noch viel zu viel auf so einer Liste. Meistens hat das Wichtige mit Dankbarkeit oder Versöhnung zu tun. Auch das intensive letzte Gespräch taucht da auf. Eine Art „Abschiedstour“, obwohl ich, das möchte ich betonen, gerade gar nicht an einen „endgültigen Abschied“ denke. Ich lebe noch zu gut und zu gerne. Die Menschen, die mir am Herzen liegen, haben zu viel zu tun, um an solche für mich wichtigen Dinge zu denken. Das muss ich für sie übernehmen. Dann stellt sich die Frage, wann ist der geeignete Zeitpunkt zu gehen. Gibts den überhaupt? Auch in einem Jahr habe ich mich vielleicht nicht mit allen wichtigen Menschen versöhnt und ein intensives persönliches Gespräch geführt. Ich müsste morgen gleich los legen, um meine Last-To-Do-Liste vollständig abarbeiten zu können. Müsste immer ausreichend Energie zur Verfügung haben. Dann kommt natürlich auch Icke ins Spiel: Lass einfach laufen, Bruder, sein Credo! Da wirst du nie fertig mit. Tu dir Gutes, halt die Klappe und die Füße still. Er hat leicht reden. Ihm ist ja nichts wichtig. 

14.25 Uhr 


Läuft wieder. Eine Pille gegen Übelkeit und vier Stunden nach der Infusion noch eine Paracetamol. Die muss ich seit Neuestem einnehmen. Das schwächt die Nebenwirkung ein wenig ab. Ich hasse Tabletten. Aber manchmal muss es eben sein. Eine kleine Oma sitzt mir schräg gegenüber. Alter ist schlecht zu schätzen. Auf jeden Fall alt. Kalkweiß im Gesicht. Pflegerin fragt: Wie geht es uns heute? Sie antwortet: Ich denke nicht darüber nach. Schlau, die Gute! Vielleicht sollte ich mir da einiges von ihr abschauen. Mich macht das Denken aus. Cogito ergo sum. Hin und wieder wird mir dieses ständige Denken und Bewerten zu viel. Aber es einfach „laufen zu lassen“, wie Icke das empfiehlt, gelingt mir eben auch nur unter aller größter Anstrengung. 


14.40 Uhr 


Nicole überbrückt ihre Wartezeit im Zoo und sendet mir Fotos von???

Keine Ahnung was das für ein Tier sein soll.

Schicke Frisur!  


17.00 Uhr 

Zurück in de Palz! 

Des isch do, wo die Sonn scheint! 
Best of Zoo! 


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