Es ist ein seltsames Stadium, in das ich mich zurzeit befinde. Die letzten Monate MUSSTE ich schreiben. Das Blogschreiben war wie ein Medikament, das für meine Heilung überlebenswichtig ist. Dieses Müssen ist einem WOLLEN gewichen. Mir ist noch nicht ganz klar, ob ich das gut finden soll. Ein Getriebener zu sein, lässt auch Kreativität sprudeln. Ich bin gelassener geworden, stiller, muss nicht immer poltern, habe mich arrangiert. Ja,mit was eigentlich? Meiner Lage, nichts ändern zu können. Einfach das Sein zu genießen. Ich mache aber auch nichts Besonderes, ganz alltägliche Dinge. Dinge, die der Arbeitende in seinen täglichen Ablauf eher hineinpresst. Ich verfolge die vielen Nachrichten über das schulische Kommunikationssystem. Ich lese die viele Organisation. Die Nachrichten beinhalten Stress, bedeuten, dass man selbst wahrscheinlich etwas zu kurz kommt. Ich, der es mit einer unheilbaren Krankheit zu tun hat, dem seine Zukunft auf wackligen Beinen steht , habe Mitleid mit meinen Kollegen*innen. Ich komme nicht zu kurz. Ich stehe im Mittelpunkt. Nicht bei anderen, jenes ist mir gar nicht so wichtig, sondern bei mir selbst. Der Tag vergeht und ich habe nichts Elementares gemacht, ein bisschen Büroarbeit hier, ein wenig Hausarbeit dort. Dazwischen NDR-Talkshow, Küchenschlacht oder New Amsterdam. Wir machen das jeden Tag, was Arbeitnehmer*innen und Eltern von Kleinkindern immer so sehr für sich wünschen: einfach mal abhängen. Gut möglich, das wir uns in der Abhängitensität gegenseitig sehr befruchten. Immerhin ist Nicole noch krank geschrieben. Wir sind ein Paar, das gern miteinander ist. Ich denke, es gibt Lebenspartnerschaften, da ist der Gedanke gemeinsam abzuhängen schon allein etwas ganz und gar Unvorstellbares. ER muss in der Garage am Motorrad rumschrauben; SIE pflanzt im Garten ein Beet. Wenn sie sich in Kaffeepausen treffen, sind sie mehr oder weniger sprachlos. Huch, du bist ja auch da! Nicole und ich dagegen stecken irgendwie immer zusammen. Der Nachteil davon - wenn es überhaupt ein Nachteil ist - mir geht ein wenig die Produktivität verloren. Allein bin ich umtriebiger, nervöser, so erscheint es mir.
Ich fühle mich prima! Gestern hatte ich wieder das Gefühl, dass die Chemokackscheiße rausgeschwemmt ist. Ich nicht mehr wie der Atommüllmann durch die Gegend schwanke. Dennoch werden meine Füße von Zyklus zu Zyklus immer mehr zu Betonklumpen. Deswegen darf man auch nicht meinen, dass ich mir das Bendamustin bis zum Nimmerleinstag reinpfeifen kann. Noch weitere 6 Zyklen und meine Latschen fühlen sich an wie einbetoniert. Mein Schreibstift lasse ich auch hin und wieder aus den Fingern gleiten. Das Schreiben mit Stift fällt mir unfassbar schwer. Als ob ich gerade eingeschult worden wäre. Auch hier sind die Endnerven geschädigt. Kann sich wieder regenerieren, muss nicht. Gegenüber Totsein, ist aber alles ziemlich erträglich. Vielleicht hilft mir bei der Bewertung des Status Quo meine aktuelle Lektüre. „Das Leben verstehen“ von Wilhelm Schmid. Diese Gespräche, die Schmid als Philosoph mit schwerkranken Patienten im Krankenhaus führt, therapieren auch mich mit. Wer sich für Themen „Wer bin ich“ und „Wofür bin ich auf der Welt“ interessiert, sollte mal einen Blick in dieses Buch werfen. Es ist mir fast jeder Satz zugänglich. Worte, die meine Gefühlswelt beschreiben. Ich glaube, das würde mir auch gut tun: einen ausgebildeten Philosophen im Haus. Meine Liebsten bemühen sich sehr, meine Welt als Krebskranker zu verstehen, sich in mich rein zu fühlen. Ich merke aber oft, dass es dann eine unsichtbare Hürde zu geben scheint. Icke und ich sind ja als Gesunde schon eine Zumutung, wer will uns da jetzt als Kranke verstehen.
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