Suizid ist auch keine Lösung

Gestern ging körperlich nicht viel. Nicht viel? Korrigiere - nichts! Die Couch war mein Basislager. Nicht mal der Garten konnte mich motivieren, Luft zu schnappen.  Vielleicht hätte ich sogar mehr gekonnt, der Wille war aber weg. Es war schön morgens im Bett, sich über den Soundtrack des Lebens auszutauschen, und sich parallel die entsptechenden Songs dazu anzuhören. Man musste natürlich vorsichtig mit der Auswahl sein. So ganz so grob, will man ja nicht in den Tag starten. 

Eine kleine Überraschung erfolgte während des Frühstücks: Meine Halbschwester Inge aus Berlin rief mich an. Das hat sie noch nie gemacht. Eine Karte hatte ich Samstag von ihr erhalten. Das war schon ein schönes Highlight. 84 die Gute. Und so eine kräftige Stimme. Ich mag diesen Berliner Sing-Sang sehr. Ich mag SIE sehr. In ihrer Stimme liegt etwas Ausgeglichenes. Als ob sie über den Dingen des Lebens stehen würde. Als ob sie nichts mehr erschüttern könnte. Ein wenig traurig klang sie, als ich sie auf ihre Reiselust ansprach. „Ich habe ja niemand mehr“, meinte sie. Ihre letzte große Reise war wohl mit ihrem Sohn auf einem Kreuzfahrtschiff. Diese hat sie zum Geburtstag geschenkt bekommen. Fit halte der Garten, da könne sie noch fast alles selbst machen. Wenn Bewegung einen fit alt werden lässt, hat mich der gestrige Tag mindestens 10 Jahre gekostet. Das Gespräch hatte einen Fluss, obwohl wir in unserem Leben kaum miteinander ausführlich gesprochen haben. Aber schon unser Besuch vor drei Jahren verlief sehr herzlich und harmonisch.  Ich stellte in Aussicht, dass wenn ich wieder einigermaßen hergestellt bin, wir ja gemeinsam eine Reise machen könnten. Sie lachte. Ein schöner Gedanke sei das. Rita, unsere Schwester (88), war natürlich auch Thema. Inge hatte sie für 3 Tage in Meck-Pomm besucht. Leider geht es Rita nicht so gut. Die Hüfte. Sie weigert sich aber zum Arzt zu gehen. Dickkopf! Eine Schnur eben. Bis zuletzt geht man seinen Weg, auch wenn er kaum auszuhalten ist. Ob ich mein Projekt, beide nochmal zu sehen, bevor sie Mr. G. zu sich holt, umsetzen werde können? Ziele setzen darf man sich ja. 


DerWolke stattete uns ein Besuch ab. Babysittertime! In meiner dunklen Erinnerung liegen Katzen meistens rum und pennen. Oder wollen schmusen. DerWollke hat leider ausgeprägtes ADHS. Der Typ kann sich null konzentrieren. Ständig in Bewegung, auf irgendetwas drauf springend, schnuppernd, wühlend, abschleckend. Müsste meine Onkologin mal nach einem Ritalin-Rezept fragen. Ich schätze, wir müssen demnächst die Couch vorziehen und reine machen, denn was DerWolke bei seiner Höhlen-Erforschung an sich kleben hatte, war ziemlich eklig und undefinierbar. Bevor die Nachbarn aus dem Urlaub kommen, müssen wir DemDreckspatz ein Schaumbad verpassen, sonst verklagen W. und M. uns noch auf Schadenersatz. Da beide Helikopter-Eltern in nichts nachstehen und die Eltern-Kater-Beziehung für unser Dafürhalten einen pathologischen Touch beinhaltet, haben wir uns eine Art Schocktherapie ausgedacht. Frau und Herr Dr. Schnur überlegten sich, ob sie nicht Suizidsituationen wie bei Harold und Maude arrangieren sollten. DerWolke im Backofen. Bei 300 grad Ober- und Unterhitze, zumindest den Rest davon. DerWolke steinhart im Kühlschrank neben der Tofuwurst. DerWolke an seinem Katzenhalsband erhängt, aus dem Dachfenster in der Abendsonne baumelnd. DerWolke totgefressen neben  2 leeren 5 Kilo-Tüten vegetarischen Brekkis oder neben einer rauchenden Schrotflinte, Schnauze und Ohren mit Ketchup besudelt in der Garage liegend. Die Fotos würden an der Ostsee für diverse heilsame Nervenzusammenbrüche sorgen, so unsere Expertenvermutung. Haben wir ihn nicht doch durch unsere überbordende Liebe in den Tod getrieben, die alles erleuchtende Selbsterkenntnis. Aber vielleicht hat ja Hape Kerkeling doch recht und Katzen können gar nicht genug von menschlicher Zuwendung bekommen. Gemein, ich weiß, aber lustig war’s allemal, sich die verschiedenen Suizidarten und die darauffolgenden Reaktionen auszumalen. Wir haben DerWolke natürlich auch sehr lieb. 

Während Nicole etwas gegen das vorzeitige Sterben unternahm und ihre Serie „Insekten und Pflanzen“ fortführte, vollendete ich meinen Soundtrack-des-Lebens-Eintrag. Auch das hat große Freude bereitet. Mir wurde plötzlich klar, dass Musik eine große Rolle in meinem Leben gespielt hat und immer noch spielt. Außerdem habe ich festgestellt, dass die Trackliste genauso irre ist, wie ich selbst. Icke meinte zum Abschluss zu mir: Hey, Alter, ich bin mir nicht sicher, wer hier mehr was an der Waffel hat, du oder ich. 




Ich glaube mich hat das Fatique-Syndrom fest im Griff. 


„Krebspatienten können im Laufe ihrer Erkrankung an einen Punkt völliger körperlicher, emotionaler und/oder geistiger Erschöpfung kommen. Fehlender Antrieb, anhaltende Müdigkeit und Kraftlosigkeit, die in keinem Verhältnis zu vorangegangenen körperlichen oder geistigen Anstrengungen stehen, sind durch Schlaf und Erholungsphasen nicht mehr auszugleichen. Außerdem können Konzentrationsschwäche und Gedächtnisprobleme hinzukommen. Oft hält dieser Zustand wochenlang an, was das gesellschaftliche, berufliche und ganz persönliche Alltagsleben zusätzlich erschwert. Dennoch gibt es Möglichkeiten, mit diesem Syndrom, das als tumorbedingte Fatigue bezeichnet wird, zurechtzukommen.“ (www.Krebsgesellschaft.de) 


In den letzten Monaten war ich Montags nach den 3 Tagen Therapie eigentlich immer schon auf dem aufsteigenden Ast unterwegs. Zur Blutabnahme nach Landau fuhr ich sogar mit dem Fahrrad. Heute ist der erste Montag, an dem mich die oben beschriebene Symptome immer noch fest im Griff haben - Plus Übelkeit. Es ist aber nicht so, dass ich gar nichts essen mag. Es ist nur permanent der Geschmack im Mund, den man morgens nach einem Alkoholexzess verspürt. Ich habe überhaupt keinen Antrieb. Ich überlege mir zweimal in den dritten Stock zu gehen. Oben angekommen, was erstmal seine Zeit braucht, bin ich total aus der Puste. Ich hätte, ein paar Dinge daliegen, die ich machen müsste. Es fällt mir unglaublich schwer, mich aufzuraffen, sie zu erledigen. Meine Gliedmaßen kribbeln, wirken „wie vollgelaufen“. Wahrscheinlich ein Effekt der Chemotherapie. Nicht wahrscheinlich, das SIND alles die Effekte. Aber immerhin bin geduscht, angezogen und kann das hier aufschreiben. Bin aber viel müder dabei als sonst. Heute fiel es mir auch schwer, eine adäquate Antwort auf die Frage der Arzthelferin, wie es mir denn geht, zu geben. Ich wollte nicht jammern, aber auch nicht „supi“ sagen. Hab mich zu einem „es geht“ durchgerungen. Sie ist aber nicht doof, und hat gleich gemerkt, dass ich anders drauf bin als sonst. Man glaubt, dass sich mein Körper an den Scheiß schon gewöhnen wird. Heute weiß ich, dass das definitiv nicht so ist. Die Bemerkung von Wonderwoman beim letzten Befundgespräch hätte mich schon stutzig machen können: Man wird sehen, wie Sie die weiteren Zyklen verkraften. Das Medikament kann jederzeit noch das Rückenmark schädigen. Mit was könnte ich das Stadium vergleichen? Mit einem Halbmarathon vielleicht. Zwei habe ich ja schon absolviert. Bis Kilometer 17 alles im grünen Bereich. Man läuft das Tempo, das man sich vorgenommen hat, und dann kommt der Einbruch. Die letzten 4 Kilometer werden zur absoluten Qual. Man will aufgeben, rettet sich auf den letzten Körnern ins Ziel. Wenn jetzt jemand sagen würde, Schnur lauf noch nen Kilometer? Dann würde man in Panik ausbrechen. Ich bin bei Kilometer 17. 

Badenmarathon 2010

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