Der Soundtrack meines Lebens - Die SWR1-Hitparade 2021 hat mich zu diesem Eintrag inspiriert. Sich zu überlegen, welche Songs in welcher Phase des Lebens Bedeutung hatten, finde ich sehr spannend. Mit 52 Jahren und einer bunten Biographie kommt man da auf einige Lieder. Wie viele es sein werden, weiß ich noch nicht. Vielleicht werde ich später den Eintrag noch entsprechend ergänzen oder abändern, weil mir etwas Wichtiges nicht gleich einfällt. Die Reihenfolge ist willkürlich gewählt. Das Unterbewusstsein entscheidet!
My Way von Frank Sinatra. Dieses Lied habe ich zuhause bei meiner Mama oft gehört. Sie liebte Sinatras einzigartige schmußig-männliche Stimme. Sie konnte kein Englisch, aber verstand das Mutmachende in dem Song auch so. Leider stand der Inhalt völlig konträr zu ihrem eigenen Leben. Ihren Weg hat sie mit der Heirat und der Mutterschaft völlig aus der Hand gegeben. Sie ordnete sich der Familie vollständig unter, ohne dies für sich wirklich zu wollen. Das Lied spiegelte ihre Sehnsucht nach Eigenständigkeit, nach Selbstbestimmung wider. Er wurde dann schließlich auf ihrer Beerdigung gespielt. Immer wenn ich das Lied höre, muss ich an meine Mutter denken und es macht mir bewusst, wie wichtig es ist, den eigenen Weg zu gehen, sich Einflüssen von außen so gut es eben geht, zu widersetzen.
One von U2. Ich weiß noch wie ich 1992 vom Album Achtung Baby enttäuscht war. Und dann gab es da dieses eine Lied. Das zu meinem Lied in den nächsten Jahrzehnten werden sollte. Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich als Musiker genau diesen Song so geschrieben hätte. Das alles was ich denke und fühle in diesem einen Stück Musik zum Klang und zur Sprache kommt. Damals lebte ich in einer WG mit zwei Mädels. Wir wohnten in meiner „geerbten“ Sozialwohnung mit Kater und Hund zusammen. Wir waren eins. Mit allem. Haben uns gegenseitig unterstützt, begleitet und geliebt. Gemeinsam das Leben ausprobiert. Meine Güte muss ich die armen Mädels mit diesem Song genervt haben. Immer wenn ich sentimental bin, lege ich nämlich ONE auf. Und ich war oft sentimental.
A-Team von Ed Sheeran. Von seinem Debüt-Album. Sagen wir mal so, es ist nicht unbedingt mein Lieblingslied von Ed. Aber es steht für etwas. Für das Konzert der Konzerte. Für das erste Konzert mit Nicole. New Pop-Festival in Baden-Baden 2012. Nach diesem Highlight startet Ed Sheeran seine Weltkarriere. Wenn in dir das Gefühl ist, dass du vor lauter Emotionen fast zu platzen scheinst, und dann von außen noch weitere Emotionen auf dich einprasseln, weißt du endlich, warum du diesem verdammten Planeten einen Besuch abgestattet hast. Auch wenn der rothaarige Barde später noch viel bessere Alben hingelegt hat, wird das erste Album doch immer ein besonderes für uns sein.
Ich weigere mich, aufzugeben von den Sternen. Anna wechselte vom OHG zu meiner Schule. Jeden Morgen fuhren wir zusammen. Gibt es bessere Rahmenbedingungen für einen Vater, der seiner Tochter die bunte Welt der Musik näher bringen will. Das Lied steht für diese wunderbare Zeit. Vater und Tochter täglich 40 Minuten eingesperrt in einem Auto mit Musikanlage. Und es steht für das Lebensmotto für die Schnurs und die Dreisis. Weigern kann man sich ja wenigstens.
Claire de Lune von Debussy. Meine Musiklehrerin in der 7. Klasse spielte es auf dem Klavier. Wahrscheinlich habe ich mich in das Musikstück verliebt, weil ich auch in die geile Pianistin verliebt war. Ich himmelte sie an. Bekam aber trotzdem nur eine 3. Trotz hormonellen Wallungen beruhigte mich das Stück. Es wirkt bis heute wie ein Beruhigungsmittel auf mich. Hoffnung macht sich breit. Hoffnung, das alles ein gutes Ende nimmt. Mein Papa und meine Mama stritten sich viel und lautstark. Immer wenn der Streit nicht enden wollte, legte ich eine Kassette mit Werken von Debussy in den Rekorder.
Nirvanas Where Did you Sleep Last Night. Eine Krebsdiagnose zu verarbeiten, ist ein Gefühlszustand, dem man keinem wünscht. Aber fetten Liebeskummer auch nicht. Und geht ein Leben ohne Liebeskummer? Kein Song wie dieser steht für dieses Gefühl. Tja, ich muss es sagen, viele Jahre war mein Weg gepflastert mit Steinen aus Liebeskummermaterial. Eine Mitbewohnerin, die ich an die Drogensucht verlor. Die sich nicht weniger quälte als der gute alte Kurt. Eine Lebensgefährtin, die alles dran setzte, dass ich mich von ihr entliebte. Die aber heute eine meiner besten Freundinnen ist. Ein anderes armes leidendes Geschöpf, die mit meiner Liebe und meiner damaligen Erkrankung nichts anfangen konnte, da sie von einem Burnout schwer gezeichnet war. Immer wieder musste ich dieses Lied abspielen und mich wie ein Masochist der Qual aussetzen. Heute höre ich das Lied, leide mit dem am Ende schreienden Kurt, muss aber auch schmunzeln. Albert Camus hatte recht: Liebe macht einen zum Idioten!
Nie werde ich den Tag vergessen, als A., meine süchtige WG-Mitbewohnerin, das Debüt-Album von Nirvana mitbrachte. Es war erst wenige Tage auf dem Markt und es schlug in unserer Musik-Gemeinde bereits ein wie eine Bombe. Das musst du dir unbedingt anhören, Schnuri, das ist soooo geil! Ja, wie recht du hattest, liebe A. Es wurde zu einem der meist verkauften Alben überhaupt.
Mit A. verband mich die Liebe zu den Doors und vor allem zu Jim Morrison. Gemeinsam haben wir sein Werk entdeckt. Über Monate haben wir uns gegenseitig seine Gedichte vorgelesen und bei THE END die Augen geschlossen und uns treiben lassen. Ich hatte einfach nur Glück, dass ich es immer wieder in die Realität zurück schaffte.
Nimmt Abschied Brüder. Manchmal aus heiterem Himmel, ohne Anlass muss ich es pfeifen. Irgendwo tief in meiner Seele haust dieses Lied und von Zeit zu Zeit drängt es an die Oberfläche. Wir haben es immer mit den Kids am Ende von einer Waldheim-Freizeit gesungen. Für die Nichtschwaben unter euch, dass ist eine Erholungsmöglichkeit in den Sommerferien für Kinder. Zuerst nahm ich als Kind teil und irgendwann wurde ich dann selber Freizeitleiter. Das Lied ist eine schottische Weise. Es ist ein Freundschaftslied und ehrt gleichermaßen die verstorbenen Liebsten. Huiii, das hatte ich bis dato noch gar nicht auf dem Schirm: Ein Lied wie geschaffen für meine Beerdigung.
Stichwort Freundschaft. Meine Güte gibt es da viele Songs. Eigentlich eine unlösbare Aufgabe. Ich versuchs trotzdem. Mit meinem Kumpel S. aus Stuttgart war ich auf meinem ersten Konzert. Saga. Mochte ich diese langweilige Band tatsächlich? Muss meine Popperphase gewesen sein. Wir waren 15 und bereit für die Welt. Die erste Kippe im Mund. Ich John Player, er Camel. Wie immer bei meinen Jungs, war ich es, der die Mädels blöd anquatschte. Wenn es in die Hose ging (haha) war ich der Idiot und wenn ich was klar machte, war ich der Held. Saga und Wind him up, damit verbinde ich wilde Knutscherei mit Zunge in dunklen Saalecken. Apropos! Mein erster „richtiger“ Stehblues mit Megaständer. Mit Norgard auf der Insel Schiermonnikoog. Ich war 14. Wurde zur Jugenderholung von der AOK dort hingeschickt. Norgard and I - ein Herz und eine Seele. Vor allem bei In the Army Now von Status Quo. Mir ist es ein Rätsel, wie wir darauf Stehblues haben tanzen können. Wahrscheinlich hätten wir auch auf Jump von Van Halen zärtlich miteinander geschwoft. Später wurde Norgard meine Briefreundin und ich besuchte sie in der Nähe von Ulm. Norgard hatte auch eine ältere Schwester. Edelgard. Die stand auf Heroes von David Bowie und Petting. Das gefiel mir besser, was wiederum Norgard nicht gefiel. Die Brieffreundschaft mit Norgard war somit schneller beendet als gewollt.
R., Metallicafan erster Stunde und exessiver Cannabiskonsument. Seine Zivi-Bude war mit Hunderten roten Seidentücher behangen. In der Mitte des Raumes stand ein riesiger Penis-Aschenbecher, der immer randvoll mit Kippen war. Im Headbangen war er unangefochtener Spitzenreiter. Er hatte immer eine Jeansweste an, mit allerlei Stickern von Bands und Konzerten darauf. Klar, Keine Macht für niemand durfte auch nicht darauf fehlen. Ich glaube bis heute, dass R. auch in dem Ding schlief. Ich werde niemals im Leben den Abend und die Nacht vergessen, als wir 12 mal Master of Puppets durchhörten und R. vollgedröhnt bis unter seine Heabangerlocken über die genialen Tempowechsel und das fantastische Schlagzeugspiel von Lars Ulrich referierte. R. war ein Freak, aber ich liebte ihn. Und seit dem besagten Abend eben auch Metallica und Master of Puppets.
S. alias L. Mein Seelenkumpel über mehrere Jahre. Gemeinsam Deutsch studiert und voneinander abgeschrieben. Gemeinsam gelitten und gefeiert. Das Duettpinkeln unter freiem Himmel bei jedem Treffen wie ein Indianerritual zelebriert. Musik war immer das Schmiermittel unserer Freundschaft. Er selbst Musiker. Viele verrückte Sessions haben wir absolviert. Aber auch über Gott und die Welt philosophiert. Ich glaubte damals tatsächlich, dass es niemand gibt, der mir näher steht. Mit S. alias L. verbinde ich natürlich viele Lieder. Trotzdem fällt es mir leicht eine Band und ein Musikstück zu präferieren: Toto. Die Band der Musiker. So richtig warm wurde ich nie mit dieser Band. Aber auch hier imponierten mir die leidenschaftlichen Vorträge über irgendwelche unspielbaren 11/4 Takte. Somit war Africa in einer Phase meines Lebens das bestimmende Lied. Der Verlust von S. schmerzt mich noch heute. S. war ein toller Typ, aber selbst für meine Verhältnisse zu sensibel. Mit meinen unbeabsichtigten Verletzungen konnte er nicht umgehen und beendete die Freundschaft mit einem Schlag in die Magengrube für immer.
C., ein weiterer Seelenbruder, der mir aber kein Bruder mehr sein will oder kann. Da wir einige Jahre zusammen lebten, wurde seine Musikbegeisterung auch zu meiner. C, Freigeist, Barfußläufer, Esoteriker, war auch Musiker und schrieb Songs. Verrückte geniale Songs. Jeden Tag mehrere Stunden. Ununterbrochen wurde geklampft, gesungen und na ja in der Pause davon auch gekifft. C. war für mich da, als mir meine erste Krebsdiagnose den Boden unter den Füßen wegzog. Ich komme nicht an diesem Lied vorbei. C, hatte es umgedichtet. 2010 Fußballweltmeisterschaft. Deutschland, ein Sommermärchen. Aus Lenas Satellite wurde Schland…oh…Schland! C. ist ein verdammt-verkanntes Genie. Mit etwas Glück wäre er berühmt und seine Songs hätten Platinstatus. Leider trennt uns noch die Stille. Sobald ich wieder lebe, wie ich es gewohnt bin, wird diese Stille unterbrochen. Versprochen!
M. Nächstes Jahr werden es 30 Jahre. Wie bei C. Solange kennen wir uns alle. Auf dieser berühmten Freiburger Party, auf der mein Exilleben begann, trafen wir uns zum ersten Mal. Musik hat in unserer Freundschaft immer schon eine große Rolle gespielt. Ohne geht nicht. Vielleicht haben M. und ich nicht diesen einen gemeinsamen Song. Sondern eher eine Richtung. Die Richtung heißt Mash-Mucke. Der legendäre Landauer Musik-Club war der Hort dieses Musikgeschmacks.
Ich weiß noch wie ich auf The Passenger von Iggy Pop und The Four Horseman von Aphrodites Child auf der Tanzfläche total abging. Ich tanzte als gebe es kein Morgen mehr. Das tat ich immer. Irgendwie musste das auf dieser einzigartigen Freiburger Party Anno 1992 nicht nur abgeschreckt haben.
Nächstes Stichwort: Tanzen. Vor der Hochzeit meldeten wir uns zu einem Salsa-Kurs an. Also ich kann es vielleicht so aussehen lassen, als wäre ich der beste Salsa-Tänzer, bin aber eher ein ewiger Tanzschüler mit Demenz. Trotzdem hatten Nicole und ich wunderschöne lustige Abende. Chan-Chan (Buena Vista Social Club) haben wir dann halbwegs gekonnt aufs Parkett gebracht. Hochzeit! Da war doch noch ein Song. Unser Song. All of Me von John Legend. Der Text gilt heute immer noch. Ich könnte keine Beziehung leben, ohne Romantik. Ich habe gehört, dass Romantik häufig zu kurz kommt. Meistens ist es der Mann, der in Sachen Romantik ein wenig stoffelig daher stolpert. Ich verstehe das nicht. Das ist doch das Salz. Romantik ist ein elementares Gewürz in Sachen Liebe. Und was ist romantischer wie ein gemeinsames Lied. Wir haben es zum ersten Mal gehört - und wussten sofort, das is es.
Hm…seltsamerweise fällt mir gerade ein Lied ein, das aber nicht annähernd in die Nähe von Romantik kommt. Trotzdem ist es ein zentrales Lied für eine ganze besondere „romantische“ Phase meines Lebens. Ein böses Lied für eine wundervolle Zeit: Schwangerschaft und Geburt von Anna. Wir waren Neuzeit-Alternativ-Hippies. Wäre es ein paar Jahre früher gewesen, hätte man uns bestimmt in Indien wiedergefunden. Im Rückblick kann ich es eigentlich nicht anders sagen: Wir waren total durchgeknallt. Optisch die reinste Katastrophe. Deswegen rufe ich den panischen Eltern immer zu: Nur ruhig Blut, das wächst sich alles raus. Wenn ich heute nochmal Vater werden würde, was würde ich da für eine Musik auswählen? Ludovico Einaudi? Bach, gespielt von Igor Levit? Und damals? Wollte ich Anna tatsächlich mit Killing In The Name von Rage against the Machine auf dieser Welt begrüßen. Obwohl die heutige Welt ja aussieht, wie sich dieses Lied anhört. So abwegig war das also gar nicht mal. Ich kann froh sein, dass die Kindsmutter einigermaßen bei klarem Verstand war. Man stelle sich dieses Trauma vor!
Sommer 1991, ein Jahr bevor ich mich der kaum vorhandenen Anna in Ulis Bauch vorstellen durfte, war ich auf ein Fanta 4-Konzert in Sindelfingen. Ein Jahr später kam der Durchbruch mit „Sie ist weg“. Wenn es eine Band gibt, der ich stets „Troy“ war und die mein Altern mit ihrer Musik begleitete, dann waren das die Fantas. Ich war mir sicher, da sie sich nicht lange halten werden. So kann man sich täuschen. Jedes Fanta-Event ist ein Ereignis und beamt einen wieder in die schwäbische Jugendzeit zurück. Ich wähle zwei Lieder von den Fantas: Tag am Meer und Schizophren. Die 4. Dimension war die Platte, die ich mir am häufigsten anhörte. Und Icke darf ich bei meinem Soundtrack des Lebens auch nicht ganz außer acht lassen, sonst wird er sehr böse. Es war glaube ich 1993 als er bei mir einzog und begann, mir erheblich auf die Nerven zu gehen. Schizophren ist sein Lied! Ich glaube, er grinst gerade.
Während meiner ersten Krebsdiagnose vor 2010 gab es 2 Platten, die mich auf dem Weg begleiteten: Mensch von Herbert Grönemeyer und Ein bisschen mehr Herz von Enno Bunger. Beim Hören von Der Weg stellte ich mir immer vor, das singt jemand, der mich sehr liebt, über mich. Ein schöner beruhigender Gedanke. Alles wird gut von Enno Bunger. Na ja, liegt ja irgendwie nahe, dass man das als haarloser Krebspatient ziemlich toll findet. Pass auf dich auf, macht ebenso Sinn! Enno Bunger hatte ich damals bei Innas Nacht entdeckt und war sofort verliebt. Die Platte lief rauf und runter! Einen Song nicht zu vergessen war in dieser existenziellen Phase absolut Lebenselixier für mich. Und wenn ich es richtig bedenke, eigentlich schon seit dem Zeitpunkt als der Musikstil „Grunge“ die Welt eroberte. Wenn ich Frust hatte, mich motivieren musste oder einfach nur meine Emotionen freien Lauf lassen wollte, haute ich mir diesen genialen Rocksong um die Ohren: Alive von Pearl Jam. Ja, ich bin am leben. Und nur das zählt.
Was fehlt noch? Oder besser wer fehlt noch? Muss mich entscheiden: Brüder oder Vater zuerst. Na dann Brüder. Ich hatte es schon an anderer Stelle erwähnt: Meine Brüder haben mich musikalisch sozialisiert. Viele Lieder habe ich da in den Ohren. Aber 3 werden’s dann. Natürlich muss etwas von Deep Purple dabei sein. Das war die Lieblingsband von beiden Brüdern. Ich glaube Lazy lief am häufigsten, gefühlt zumindest. Ich schätze das passte auch zum Alltag der beiden Teenager. Die anderen Songs stehen mit Konzerten in Verbindung: das eine war Rory Gallagher im Rockpalast 1982 und das andere Eric Burton. Bei Burton weiß ich leider nicht mehr wann und wo. Beide Konzerte erlebte ich mit meinem Bruder Wilfried. Das eine vor dem Fernseher und das andere live. Es ist heute noch so: Wenn ich beide Musiker höre, denke ich an die guten Zeiten, die ich mit meinem Bruder hatte. Es waren leider nur wenige. Welche Songs nehme ich auf meinen Soundtrack des Lebens? Na klar: A Million Miles Away und Tobacco Road.
Ein weiteres legendäres Konzerterlebnis steht natürlich auch für die Musikpräferenz meiner Brüder. Pink Floyd, The Wall, 21.07.1990, Potsdamer Platz. Die größte Baustelle Europas. Staub, Staub, nichts als Staub. Irre, Nicole war da. Trotz Verbot, fuhr sie nach Berlin. An irgendwelchen elterlichen Ärger kann sie sich gar nicht mehr erinnern. Ein gutes Zeichen!? Das Gelände wurde irgendwann gestürmt, weil der Andrang zu groß war und man den Zuschauern noch kein Anlass gewähren wollte. Auf meine Liste? Comfortumbly Numb. Klar, oder? Man hatte das Gefühl, unsterblich zu sein, nichts konnte einem was anhaben. Dieses Konzert nach dem Fall der Mauer an dieser Stelle aufzuführen, hat eine einzigartige unvergessliche Stimmung heraufbeschworen.
Stimmung, Konzerte! Hat jetzt nichts mit meinen Brüdern zu tun. Oder doch? Natürlich muss da noch Rock am Ring und Wacken fallen. Herrliche Roadtrips mit Kumpels. Mehrere Hammererlebnisse. Bekomme sie gar nicht alle hier erzählt. Mein ausgekugelter Arm bei Korn. Der Nachbar, der Mitten in der Masse von Menschen sein Ding auspackt und anfängt zu strullen. Die Partytruck der Häschdener Fraktion. Meine wilde Hauensteiner Zeit. Das berühmte Rock am Ring, an dem ich zahlreiche meiner Schüler*innen aus Annweiler traf. Alder, isch des net der Schnur, wie cool is das denn.
Rock am Ring, Wacken. Was soll ich da bloß auf meine Playliste nehmen? Das ist schwer! Tool! Unbedingt! Tool mit C. Zwei Irre im VW-Bus unterwegs. Durch C. habe ich Tool erst kennengelernt. Wie oft haben wir in unserer Nussdorfer Wohngemeinschaft Lateralus aufgelegt und die Welt um uns herum vergessen. Schism unser damaliger WG-Song! Mit M. muss das Clawfinger-Konzert in Wacken 2018 genannt werden. Jubiläumskonzert vom Debüt Deaf Dumb Blind (1993). Alte Männer, die vergaßen alte Männer zu sein. Catch me!
Mein Papa hatte nicht viel mit mir am Hut. Ich war ihm zu weich. Was will man auch von einem preußischen Kriegsveteranen, der mit 55 nochmal ein Kind zeugt, erwarten. Wenn ich an meinen Vater denke, dann gibt es zwei Dinge, die uns miteinander doch etwas verbunden haben: Schach und die Vorabendserien. Hier ganz besonders „Ein Colt für alle Fälle“. Keine Folge haben wir verpasst. Papa hinter mir am Schreibtisch, meistens nackt. Ich auf dem fetten Fernsehsessel vor ihm. Der Titelsong der Serie erklang jahrelang aus dem heimischen Wohnzimmer. „The Unknown Stuntman“ MUSS auf die Liste, auch wenn unsere Beziehung nicht gerade von Liebe gesegnet war. Aber dafür kann ja Colt Seavers schließlich nichts.
Hier wollte ich eigentlich enden. Aber ein paar Stücke sind mir dann doch noch in den Sinn gekommen. Das eine - wie konnte es mir entgehen: das Pipi-Langstrumpf-Lied. Pipi war über viele Jahre hinweg meine absolute Heldin. Sie entführte mich aus dem Kinderzimmer und eröffnete mir eine Welt der puren Freiheit. Wie fieberte ich mit, wie freute ich mich auf das nächste verrückte Abenteuer. Wie beneide ich Eltern mit vielen Kindern. Sie können immer wieder von neuem ihren Jungs und Mädchen die wunderbare Welt von Pipi zeigen. Michel liebte ich auch. Aber Pipi überstrahlte alles.
Am Ende soll nicht ein einziges Lied stehen, sondern ein ganzer Soundtrack. Ein Soundtrack zu einem Film, der mein persönliches Lebensgefühl widerspiegelt. Alle Emotionen des traurigen, aber auch so wunderbaren Lebens kommen in dieser Zusammenstellung zum Ausdruck. All diese Musikstücke bin ich selbst ein bisschen. Mal mehr, mal weniger. Sie sind so wild zusammengewürfelt, wie das Leben eben so ist. Sentimentalität und Ausgelassenheit im ständigen Wechsel, mit dem immerwährenden Versuch, sich die Würde in all dem Ungemach zu bewahren. Und manchmal braucht man einen lustigen „ziemlich besten Freund“, um weiterhin aufrecht durch das Leben zu gleiten und um jeden Augenblick des Daseins gemeinsam abzufeiern. Aus dem Filmsoundtrack habe ich 3 exemplarische Musikstücke für meinen eigenen ausgewählt:
Fly (Ludovico Einaudi), September (Earth Wind and Fire) und Feeling Good (Nina Simone).
Wäre es nicht unheimlich spannend, wenn wir uns alle von Zeit zu Zeit den eigenen Lebenssoundtrack vorspielen und die passenden Geschichten dazu erzählen würden!
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