Etwas - is immer!

Gestern war einer der Tage, da hätte man lieber im Bett bleiben sollen. Aber dann hätte ich auch nicht ein sehr abwechslungsreiches Gespräch mit meiner netten Kollegin führen können. Mit ihr war ich nun am längsten von allen „Taxifahrern“ zusammen, was an der Vollsperrung der B9 und der Rheinüberquerung mit Fähre lag. Mehr als 5 Stunden waren wir gemeinsam nach Heidelberg unterwegs. Da konnte man sich einiges erzählen. Jetzt bin ich schulisch auf den neuesten Stand gebracht worden. Es ist ja nicht so, dass mich gar nix mehr an der Schule interessiert. Ich habe nur die Motivation verloren, mich schulisch einzubringen oder mich an irgendwelchen Prozessen zu beteiligen. Aber mir anzuhören, wie sich alles entwickelt war recht spannend. Leider sind wir immer mal wieder von Krankenwagen und zerbröselten Motorradfahrern in unseren Redefluss gestört worden. Da die Pflegekräfte in der Tagesklinik freitags pünktlich Schluss machen wollen, waren sie natürlich nicht gerade erfreut, dass ich etwas später eintrudelte. Wurde aber dennoch sehr zuvorkommend behandelt. Als der Chemotag nun gelaufen war und ich froh war wieder in Böchingen zu sein, hatte der schlechte Lauf leider noch kein Ende. Ich freute mich auf einen grünen Tee und die Couch. Chemo macht immer ganz schön schlapp. Ich wunderte mich, dass die Haustüre nicht aufging und blickte auf meinen Schlüssel hinunter. 2/3 des Schlüssels steckte nun im Schloss, 1/3 baumelte an meinem Schlüsselbund. Scheiße! Der Schlüssel hatte wohl so einen Knacks, dass er wie ein Stück Butter in zwei Teile auseinander brach. Zuerst unternahm ich noch ein paar unbeholfene Versuche, die Türe zu öffnen. Der Ersatzschlüssel wurde von mir schnell organisiert. Der half aber auch nicht. Nicole konnte ebenfalls nichts tun; sie hatte großen Spaß mit ihrer Karlsruher Behörde im Johannishof in Siebeldingen. Betriebsausflug. Also blieb mir nichts Anderes übrig, als den Eintrag Nummer 3 in der Google-Suche anzurufen. Bei dieser Nummer stand als einziges „Rund um die Uhr geöffnet“. Eine Landauer Nummer. Nach ein paar Verständnisproblemen kam meine Notlage beim meinem Gegenüber schließlich an. Überlegte kurz, ob ich sagen sollte „ich habe Krebs“, um der Sache etwas Nachdruck zu verleihen, verwarf den Gedanken aber schnell. Der  Mitarbeiter sprach von 30 bis 45 Minuten Wartezeit. Es wurden 55 Minuten. Geht. Hätte ich vielleicht doch das Krebsding erwähnen sollen? Mit Handy und Warten im Auto kein Problem. Der fürsorgliche Nachbar bot mir ein Stück Kuchen an. Ich lehnte dankend ab, da ich nicht riskieren wollte, in dieser heiklen Lage auch noch zu kotzen.  Als ein Auto neben mir in der Einfahrt endlich parkte, freute ich mich, stutzte aber sogleich ein wenig: Karlsruher Nummernschild. Als ich „brauchen Sie Hilfe“ hörte, wusste ich, dass der Typ sich nicht verfahren hatte, sondern von mir telefonisch bestellt wurde. In Landau gab es eine Vertretung des Karlsruher Schlüsseldienstes. Wenn ich das vorher gewusst hätte. Typ? Hm? Dieses Wort passt hier nicht. „Etwas“ schon eher. Das Etwas war ca. 1,50 m klein. Na ja vielleicht 1,52.  Gewogen hat er so zwischen 40 und 50 kg. Also bildlich gesehen: Das Etwas war einfach die Hälfte von mir. Aber um einiges älter als ich und an den Armen und am Hals tätowiert. Hätte er diese Furcht einflößende Drachen nicht auf den Unterarmen gehabt, wäre ich mir nicht sicher gewesen, ob er meiner Türe überhaupt irgendetwas antun konnte. Die körperliche Konstitution von Etwas irritierte gar nicht mal so sehr - wenn man Herr-der-Ringe-Fan ist. Was an Etwas absolut irritierte, waren seine Augen. Waren es Augen? Augen blinzeln. Seine Augen blinzelten nicht. In Augen bewegten sich die Pupillen. Seine blieben am gleichen Fleck. Augen agieren dynamisch. Seine waren die ganze Zeit bis zum Anschlag aufgerissen und starr, als würden Godzilla und King Kong gleichzeitig direkt vor ihm stehen und nach ihm schnappen wollen. Das waren die ungewöhnlichsten Nicht-Augen, in die ich jemals hineinblickte. Gibt es eine Starr-Krankheit? Wenn ja, war Etwas von ihr heimgesucht worden. In seine starren Augen herunter zu blicken, war aber nicht das Unangenehmste. Sondern ihn zu riechen. Er roch wie ein voller Aschenbecher, der mehrere Tage nicht entleert wurde. Ich dachte, ich hätte diesen Geruch aus meinem Leben verbannt. Etwas frischte meine Geruchserinnerung wieder auf. Eigentlich war mir Etwas scheißegal. Hauptsache, er lässt mich jetzt zu meinem grünen Tee. Ich dachte bei seinem Anblick nur die ganze Zeit: Blog! Ich kann mir nicht vorstellen, dass es schrägere Schlüsseldienstangestellte auf der Welt gibt. Ach ja ein Sprachfehler hatte er auch noch. Nichts Schlimmes. Könnte aber auch daran liegen, dass er die Kippe kaum aus dem Mund nahm. Sein Spitzname „Voller Aschenbecher“ muss ja schließlich irgendwo her kommen. Etwas stammte von Bilbo Beutlin ab, das war mal sicher, da er mit äußerster Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit meine Türe aufbrach, ohne eine einzige Schramme zu hinterlassen. In dem Kostüm eines verzauberten Hobbits steckte ein wahres Türschlossaufbrechgenie. Mit einer dünnen Plastikscheibe war in 60 Sekunden die Türe auf. Ich schätze mal, wir werden mit dem Vermieter demnächst ein ernstes Wörtchen reden müssen. Mit Schraubenzieher und einem Ölspray befreite er dann auch noch das letzte 1/3 von meinem Schlüssel. Was sich wohl im Nachhinein als glückliche Fügung herausstellte, da ich sonst keine 223, 13 € hätte löhnen dürfen, sondern  mindestens 400. Schwein gehabt. Etwas verkaufte mir meinen beschissenen Tag tatsächlich als Glückstag. Er hätte von seinem Chef die Anweisung bekommen, das Schloss komplett auszutauschen. Was mich natürlich viel teurer gekommen wäre. Er würde aber für mich lügen wollen und es so darstellen, dass ich selbst das Reststück rsusgefriemelt habe. Da ich so ein netter Kerl sei. Echt feiner Zug! Ich versuchte ihn noch ein wenig anzustacheln, dass er in seiner Firma die Revolution der Anständigen ausrufen solle, hielt dann aber dann doch weitesgehend meine Klappe. Er lehnte es ab, die Rechnung am Esstisch zu schreiben, sondern schrieb sie im Schneidersitz auf dem Boden vor der geöffneten Haustüre. Nun sah er aus wie ein Hobbit, der sich ins schlüssellose Nirwana meditiert. Ich war über seine Entscheidung nicht ganz unfroh, sonst hätten wir wohl das ganze Haus neu streichen müssen. Ich schätze mal, Etwas putzt sich auch die Zähne mit der Kippe im Mund. Eine elementare Pflicht aus einem Kaufvertrag ist natürlich die Bezahlung des Kaufpreises. Dem wollte ich mich nicht entziehen. Ich stellte mir vor, dass ich mir ganz gemütlich den Samstag mit einer Online-Überweisung versauen würde. Nö Nö, auch hier meinte Etwas mit mir wieder gut. Ich musste GLEICH zahlen. Also quälte ich mich in den 2. Stock, überwies am Rechner die Kohle und druckte ein Nachweis aus. Der heutige Samstag ist somit, dank des starrenden Zwerges dann doch gerettet. Wir plauschten noch ein wenig, erzählten uns das eine oder andere Anekdötchen. Dabei kam mir hin und wieder der gruselige Gedanke, Etwas in unserem Holzofen zu verfeuern. Zwischen seinen Zähnen ragte auf jeden Fall ausreichende Glut heraus. Wäre aber ziemlich dämlich gewesen, da ich ja bereits den Rechnungsbetrag überwiesen hatte. Mein zusätzlicher Vermerk auf der Überweisung lautete übrigens: Im nächsten Leben gründe ich eine Schlüsseldienstfirma. 


Babysittertime!

DerWolke wird von uns diese Woche versorgt. Nachbarn sind wie jedes Jahr im Herbst an der Ostsee. Versuchen DerWolke genauso Kunststücke wie Lotta beizubringen. Ich glaube der Kater ist bildungstechnisch auf einem sehr niedrigen Level einzuordnen. Das wird pädagogisch eine echte Herausforderung. 

Es geht mir gut. Ich bin einfach nur schlapp und im Hintergrund ist eine leichte Übelkeit mein ständiger Begleiter. Trotzdem konnte ich die leckere gefüllte Zucchini von Nicole genießen. Übelkeit und trotzdem Hunger ist sehr seltsam. Der obligatorische metallene Geschmack nach der Bendamustin-Gabe ist jetzt auch nicht gerade angenehm. Man kann aber fast sagen, dass ich mich daran gewöhnt habe. Auch der gesunde Nachtisch wurde von mir nicht verschmäht. Übelkeit hin oder her! 

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