08.54 Uhr - Fast 12 Stunden geschlafen. Schlafen heilt, sagt man. Na dann! Kalt is es. In mir oder außerhalb von mir. Nicht so ganz klar. Das war sie also, die vorletzte Retuximabgabe. Beim Marathon wäre ich jetzt bei Kilometer 30 angekommen. Die Antikörper, die dabei helfen, die Krebszellen zu töten, rauben mir ganz schön mein Ich. Icke beschwert sich schon, wann der Scheiß endlich aufhört. Er hasst es inaktiv zu sein. Ich auch. Ich auch. Mein Lieber! Schmerzen in den Lendenwirbeln. Schon ein paar Tage spüre ich da Druck, der in die rechte Seite ausstrahlt. Dr. Schi-Schu von gestern meinte, dass das nichts mit der Niere zu tun habe. Ich glaube auch, dass das wieder vom Gelenk kommt. Es ist aber auszuhalten. Schmerzempfinden liegt bei 2 von 10. Ich muss mir ja noch was aufsparen. Was ist Altern? Dass man langsam aber sicher aus einem Porsche ein Opel Meriva wird.
09.20 Uhr Müsli-Time
14.10 Uhr - Ankunft Heidelberg. Die Fahrerei wird immer besser. Kaum Stau. Nun warte im Vorraum auf meine nächste Sitzung.
Im Auto war das Altern das Thema. Männer macht das Altern weniger aus als Frauen, so die These meiner Fahrerin. Frauen empfinden sich schneller nicht mehr attraktiv genug für jüngere Männer, wobei ein Mann immer mit einer viel Jüngeren durchbrennen kann. Weiß nicht so recht, was ich darüber denken soll. Soll man das Altern tatsächlich nur auf Attraktivität und Erfolg auf dem Markt reduzieren? Heute Morgen habe ich ein interessantes Interview mit Marianne Koch gehört. 90 ist die Frau geworden und als Fernsehärztin bekannt. Hat ein neues Buch geschrieben: Alt werde ich später. Sie sah so frisch aus und ihr Geist hellwach. 4 Dinge seien für ein gutes Altern entscheidend. 1. Gesunde Ernährung - Obst und Gemüse. 2. Bewegung. Nur, die sich bewegen bleiben und fühlen sich jung. 30 Minuten am Tag. 3. Beziehungen. Freunde und Familie sorgen für das notwendige Netz, das einen auffängt. 4. Eine Aufgabe. Tun, auch im Alter sei elementar. Eine erfüllte Tätigkeit hält den Geist wach. Warum keine Gastvorlesungen an der Uni mit 80 besuchen?
Ich glaube, wenn man zufrieden auf die Vergangenheit zurückblicken kann, kann man auch gelassener altern.
14.35 Uhr - Es geht los. Eine Stunde Bendamustin. Lustige Stimmung. Ich versuche, ein wenig zu zeichnen. Habe mein Lernblock mitgenommen. Ein Zeichenkurs für Kinder. Picasso hat schließlich auch ganz klein angefangen.
15.15 Uhr - Meine Sitznachbarin heute eine junge Frau. Höchstens 20. Die Jüngste bis jetzt. Ihr erster Zyklus. Leukämie. Wird von der asiatischen Pflegekraft sozusagen in den Gepflogenheiten der Therapie eingewiesen. Ihr scheint sehr übel unter der Therapie zu werden. Sie solle dagegen auf jeden Fall ihre Tabletten nehmen. Sie dürfe kein Gewicht verlieren. Die Asiatin breitet vor ihr Babynahrungsgläschen aus. In allen Farben, in allen möglichen Geschmacksrichtungen. Ich kann mich erinnern: Vor 10 Jahren habe ich die mir auch teilweise reingepfiffen. Gott sei Dank verliere ich kein Gewicht und kann von Saumagen bis Neuen Wein alles zu mir nehmen. Mit leiser kaum hörbarer Stimme bejaht sie alles, was ihre Pflegerin ihr empfiehlt. Sie steht noch ganz am Anfang. Das Mädchen belegt gerade den schlimmsten Kurs im Erwachsenwerden, den es gibt.
19.00 Uhr - Nicht schlecht, nicht gut, irgendwas dazwischen. Es geht viele Milliarden Menschen bedeutend schlechter als mir, das ist gewiss!
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