Nein! „Normal“ ist das alles in der letzten Zeit nicht. Keinen Berufsstress. Keine Termine. Viel Freude. Viel Lebensqualität. Tag ein Tag aus kreative Selbstverwirklichung. So gesehen will ich die Normalität gar nicht mehr zurück haben. Das einzige, auf das ich verzichten könnte, wäre der Medizinkram. Die Normalität, die wir alle jeden Tag leben, wird noch eine harte Nuss für mich werden. Ich glaube, ich kann kein guter verständnisvoller Kollege mehr sein. Rücksicht und Nachsicht stets walten zu lassen, wird eine noch viel größere Herausforderung sein. Ich lese gerade ein sehr inspirierendes Buch: Leben lernen von Wilhelm Schmid, ein Philosoph und Bestseller-Autor. Ich werde zur Lektüre noch einen gesonderten Eintrag verfassen. Die dort erzählten exemplarischen Gespräche sind nicht in ein paar Zeilen zu packen. Vieles was ich da lese, sind auch meine Gedanken. In therapeutischen Gesprächen mit Patienten von Schmid geht es häufig um den Sinn des Lebens, der entweder verloren gegangen ist oder noch niemals hinterfragt wurde und mit einem Mal (meist durch eine Krise) in den Vordergrund tritt. Die Arbeit als Lehrer und später als Stufenleiter und Mitglied der Schulleitung hat mir diesen Sinn gegeben. Die Arbeit hat mich erfüllt und ausgefüllt. Sie ist nun zwangsweise nicht mehr vorhanden und trotzdem bin ich erfüllt. Zufriedener. Diese Erkenntnis erschüttert mich. Ja, sie macht mir Angst. Ich kann doch nicht einfach „aussteigen“. Wie soll ich den ganz normalen Berufsalltag bewältigen können, empathisch mit empathielosen Wesen umgehen, mit dem Wissen das meine Zeit begrenzt ist. Gut, das wissen wir alle, aber ignorieren es doch gekonnt zumeist. Ich kann es nicht mehr ignorieren. Nichts ist mehr wichtiger, als das was MIR wichtig ist. Und wichtig ist mir, so viel Zeit wie möglich mit meinen Liebsten zu verbringen. Ich mache meinen Job recht gut, aber nach mir läuft es auch weiter. Meine Arbeit wird in Vergessenheit geraten. Das muss man sich nichts vormachen.
Ich habe jetzt jeden Tag geschrieben. An sportliche Betätigung muss ich mich immer erinnern, an das Schreiben nicht. Das heißt doch was! Der „normale“ Alltag wird die Kreativität wieder killen. Eine Horrorvorstellung. Da hilft auch kein detaillierter Zeitplan. Alles schon ausprobiert. Nach einem Arbeitstag ist man nicht nur zu erschöpft für Sport. In meiner Hospizarbeit habe ich Sinn gefunden. Dankbarkeit und Zuspruch habe ich hier in kurzer Zeit in Hülle und Fülle erhalten. Wenn die Arbeit, obwohl sie für die Psyche eine große Herausforderung darstellt, den Akku bis zum Anschlag auflädt, dann will mir das bestimmt auch etwas sagen. Ich kann doch meinen eigentlichen Beruf nicht nur so nebenher ausüben. Klar, zu allererst muss ich wiederhergestellt und zu 100 Prozent leistungsfähig sein, dann sieht man weiter. Dies wird noch Monate dauern. Ich höre sie schon alle sagen: Schnur, du bekommst schon wieder die Motivation für deinen Job, dein verlorener Sinn wird schon noch zurückkehren. Ich bin leider mit meinen Gedanken viel weiter und mir ist dabei ein wenig mulmig zumute.
08.14 Uhr - So früh war ich noch nie getestet im Wartezimmer der Tagesklinik. Lag wohl heute an meinem Profifahrer. Immer wieder etwas Neues: Nun muss man einen Impfnachweis vorzeigen. Auch wenn man doppelt geimpft ist, muss man sich testen lassen. Das Ankunftsformular hat sich auch geändert. Meine vorausgefüllten Exemplare sind somit obsolet. Taximan habe ich in der Cafeteria geparkt. Am Empfang der Tagesklinik beschwert sich ein Mitpatient über den Security-Mitarbeiter am Eingang der Klinik. Dasselbe ist mir auch aufgefallen. Sehr unfreundlich und pampig. Das war noch nie so der Fall. Ein Halbstarker, der durch seine Position das erste Mal Anerkennung erfährt. Ältere Herrschaften raunzte er an, weil sie nachfragen. Indiskutabel. Die Fahrt mit meinem ehemaligen Kollegen war sehr unterhaltsam. In einer Stunde wurde die ganzen Probleme der Innen-und Außenpolitik abgehandelt. Es gab nicht nur Übereinstimmungen, aber gerade das macht es ja gerade so unterhaltsam. Die geäußerten Thesen verbreite ich jetzt hier mal nicht, sonst wäre das ja eindeutig Wahlbeeinflussung.
08.40 Uhr - Nix los und trotzdem muss ich warten. Mir schwant nichts Gutes!
09.07 Uhr - Arztgespräch durch. Junge Asiatin, die mich sogar untersucht hat und sich nach meinem Befinden erkundigt hat. „Wie gehts ihnen, Herr Schnur?“ Wahnsinn! Ja, Ja, die Asiaten haben’s drauf mit dem Medizinischen!
09.10 Uhr - Ich fühle mich noch gut. Dummdideldumm…Die FFP2 nervt ein bissel. Dummdideldumm…
09.12 Uhr - Eine Sportskanone sitzt neben mir. Joggingoutfit. Dynamisch, agil. Würde gern wissen, was dich der hier abholt. Muss an melnen Bettnachbarn von damals denken. Der sah anfänglich auch noch ganz schnucklig aus. Nach 12 Monaten war er tot. Die Stammzellentherapie hatte nichts gebracht. Ein cooler Typ war der. DJ. Sehr lebensfroh. Generation Party for ever! Wenn man da nach dem Sinn fragt, kommt man ganz schön an seine Grenzen.
09.30 Uhr - Portnadel sitzt. Heute werde ich vielleicht exklusiv betreut. Das junge Mädel fragt mich, welche Nadel ich denn benötige. 14.17,20 oder 27? Ich: Äh? Sie fragt, ob ich denn den Portpass dabei habe. Ich: Äh? Das hat mich alles noch nie jemand gefragt. Ihre Kolleginnen machen einfach immer. Sie fordert mich auf, mein T-Shirt auszuziehen, damit sie besser an den Port kommt. Dabei wurde es gerade zu diesem Zweck von mir ausgesucht. Ich: Äh? Nun gut. Strecke ich dem hübschen Ding also meine nackigen Titten entgegen und friere. Die beschreibt jeden einzelnen Schritt. Mir kommt es so vor, als muss sie die Schritte aus ihrem Gedächtnis kramen. Dann die Krönung: Welches Pflaster möchten Sie denn? Transparent oder bedeckt? Ich: Äh? Entscheiden Sie! Ihr egal. Mir auch! Machen Sie das Ding halt zu! Ich gehe nochmal auf für „ältere“ Kolleginnen ein, die alle einfach nur machen und keine Fragen stellen. Meine Begründung: Na ja, deren Ausbildung liegt ja auch schon eine Weile zurück. Sie: Ich bin (Blabla)Studentin und nur für kurze Zeit hier. Ich: Achso!
Auf jeden Fall sitzt der Port und ist rückläufig!
Und ich warte mal wieder…
09.59 Uhr - Angedockt! Der Trip kann los gehen. Heute mit einer Paracetamol. Vielleicht wird der Trip nicht ganz so dolle.
10.05 Uhr - Schabumm!!!
Ich glaube, wenn man viele Drogen in der Vergangenheit ausprobiert hat, kommt man mit einer medizinischen Therapie ganz gut klar. Es fehlt nur dieses Seligmachende, das Erheiternde, der Lachflash!
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