Lust auf Schule (II) - der Lehrer Schnur

 

Neues war mir immer wichtig. Ausprobieren. Immer die gleiche Pizza zu bestellen, ist langweilig. Neues anzugehen, hält mich in Schwung, motiviert mich. Das Zweite, das mir wichtig ist, ist der Wettkampf. Ich glaube, dieses Gen habe ich von meinem Vater. Wir haben in der Familie immer um Geld gespielt. Mensch Ärger dich nicht oder Schach. Ein sonderbarer pädagogischer Ansatz, aber er hat gewirkt. Ich wollte besser werden und mein Taschengeld aufbessern. Auch im Unterricht möchte ich immer ein nächstes Level erreichen. Entweder sind es die Umsatzzahlen der Schülerfirma oder die Teilnehmerzahl einer Ausbildungsmesse. Ich kann versichern: Man kann aus ALLEM ein Battle veranstalten. Wenn ich es so recht überlege, bin ich nicht Lehrer geworden, um Schülern was beizubringen, sondern um meine Lust nach Wettkampf zu befriedigen. Und natürlich, um Emotionen ausleben zu können. 

 

Café Delight. Man sagt, das wäre mein Herzensprojekt. Ist es wohl auch. Hier kann ich mich am meisten austoben. Eine Firma, mit Schülern zusammen führen - ein Traum. Man lernt hier so viel. Auch ich selbst. So praxisnah wie möglich. Nimmt richtiges Geld ein und gibt es wieder aus. Sieht hautnah wie Erfolg und Misserfolg zusammenhängen. Kann experimentieren und kreativ sein. Oder auch einfach nur ein langweiliger Buchhalter*in. Schüler tun etwas gemeinsam und finden es tatsächlich SINNVOLL. Seit Beginn meines Jobs habe ich mich um eine Geschäftsidee bemüht. Die erste war nett, aber eine organisatorische Katastrophe. Gebrauchte Sachen übers Internet verhökern: Sell for you. Quasi eBay für Arme! Unsere Lagerkapazitäten wurden gesprengt. Viel zu viel Material, nix verkauft. Die zweite war auch ein finanzielles Desaster, hat aber eine Menge Publicity eingebracht: Die Cycle-Crew. Eine Fahrrad-Reparaturfirma. Wie waren schneller pleite als das Fahrrad von der Oma repariert war. Die dritte schlug dann ein wie eine Bombe. Café Delight - ein Schüler-Café, das in der Mittagspause für Verpflegung und Unterhaltung sorgte und für Schulveranstaltungen gebucht werden konnte. In dieser Nachhaltigkeitszeit natürlich häufig vegan, bio und plastikfrei. Es ist wirklich ein Highlight, wie sich Schüler *innen da reinknien und ihre Nische je nach Begabung finden. Die größten Arschlöcher*innen ordnen sich plötzlich dem großen Ganzen unter und zeigen, dass sie überhaupt keine Arschlöcher*innen sind. Ich habe Schüler*innen gesehen, die morgens notenmäßig nichts auf die Kette bekommen haben und mittags in der Praxis über sich hinausgewachsen sind. Scheiß auf die Zeugnisnote. Was zählt, ist die Praxis! 

Es wird sich nicht so schnell jemand finden, der das übernimmt. Viel Arbeit, viel Risiko, viel Konfliktpotenzial. Das muss man wollen. Und um einen Gedanken von gestern nochmals aufzugreifen: Warum sollte man sowas machen wollen, wenn man mit Hausaufgabenbesprechungen die gleichen Bezüge erhält. Ich bin gespannt, ob sich ein Irrer findet, der das Projekt weiterführt. 

 

Die schulische Ausbildungsmesse. Einfach geil: 80 Betriebe in der Schule zu haben, die Kontakte herstellen, die eigene Schule präsentieren, Schüler*innen, Eltern, Kollegen*innen motivieren, das Glücksempfinden, dass sich der ganze Stress emotional gelohnt hat, das Lob von den Unternehmen, eine gute Schule zu sein; das alles ist wie 5 Red Bull hintereinander. Auch hier wieder der Wettkampfgedanke: die 100. Sie wäre gefallen, da bin ich mir ganz sicher. Die Pandemie kam leider dazwischen. Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder eine derartige Messe organisieren werden kann und möchte. Rein körperlich nicht. Dabei gehen zu viel Körner flöten. Eine Megaaufgabe. 

 

Schüleraustausch Tarnow-Wörth. Ich bin heute noch der lieben ehemaligen Kollegin dankbar, mich für dieses tolle Projekt gewonnen zu haben. Die polnischen Kollegen*innen sind mittlerweile meine Freunde geworden. Mit Jacek, dem verrückten Hund und mein Alter Ego bin ich bis heute regelmäßig in Kontakt. Wie gern würde ich Nicole die schönen polnischen Orte (Krakow, Tarnow) und den schrecklichsten Ort der Welt (Ausschwitz-Birkenau) zeigen. 5 Mal waren wir mit Schülern in dieser Brutstätte des unfassbaren Grauens. Ein utopischer Wunsch: Jeder Mensch sollte dieses Mahnmal des Bösen einmal im Leben besucht haben. Zumindest jeder Deutsche. Dann sieht man nicht nur, sondern „spürt“ man regelrecht, was Hass auf Andere, Elitedenken und Abschottung anrichten können. Zu sehen, wie deutsche und polnische Schüler*innen sich schätzen und lieben lernen und Vorurteile abbauen, in dem sie z.B. gemeinsam einen Kranz in Block 11 von Ausschwitz-Birkenau niederlegen, gehört zu den aufregendsten und emotionalsten Momenten, die ich als Lehrer erleben durfte. 

Wenn man will, kann der Lehrerberuf sehr besonders sein. Ich habe das Maximum an Erfahrungen für mich hier raus geholt. Ich habe als Mensch Schnur von Schülern und Kollegen*innen viel lernen dürfen. Eine statische und bürokratische Schule, ohne Herzensbildung wäre für mich nichts. Das Lernen sollte wenn möglich mit Erlebnissen und Erfahrungen verbunden werden. Eine Schule muss das Leben in ihre Klassenzimmer hinein holen. Es darf nicht nur bei Schulbuchbildern und Textaufgaben hängen bleiben. Die Millionen Haare, Koffer und Schuhe von vernichtenden Menschen in einer Vitrine zeigen nur wirklich Wirkung, wenn man davor steht. Ich verstehe die Menschen nicht, die davon sprechen, dass es jetzt doch mal auch gut ist mit dieser Erinnerungskultur. Vielleicht verstehe ich es nicht, weil mein Papa Jahrgang 1913 ist und Teil der Tötungsmaschinerie war. Ich habe ihn immer weinen gesehen, wenn er sprachlos versucht hat, vom Krieg zu erzählen. Diese Zeit ist kein "FLIEGENSCHISS der deutschen Geschichte". Wir MÜSSEN uns erinnern! Nicht jeden Tag, aber regelmäßig. Und wie man sieht, sind wir nicht automatisch davor geschützt, dass sich grausame nationale Geschichte wiederholt. Demokratie muss täglich hart verteidigt werden. Die Angst vor und der Hass auf Minderheiten verschwindet nicht einfach so von Heute auf Morgen. Ich habe mich als Lehrer stets bemüht, den Schülern, Empathie schmackhaft zu machen. Ohne Empathie und Verantwortungsbewusstsein hat man keine Chance in dieser irren Welt, ein guter Mensch zu werden. Sollte es nicht das oberste Ziel von Bildung sein: emphatische meinungsstarke Menschen hervorzubringen? Das reine „Funktionieren“ sollte ausgedient haben. 

 

Zuspruch, Verständnis und Unterstützung sind oberste Gebote als Pädagoge. Wer das nicht leisten kann, hat in diesem Job nichts verloren. Leistung muss nicht nur ein Schüler / eine Schülerin bringen, sondern die Erwachsenen auch. Sowohl Leistung im Kleinen, als auch Leistung im Großen. Jeder hat seinen Platz in der Gesellschaft verdient. Jeder hat verdient, als Mensch respektiert zu werden. Es ist immer sehr schön für mich, wenn ich sehe, wenn z.B. bei Café Delight die Starken den Schwachen unter die Arme greifen und die Schwachen durch die Aufgabe mehr Selbstbewusstsein erlangen. Da schreibt ein Schüler in der Klassenarbeit eine sehr gut, ist aber total unbeholfen, das Lager ordentlich auszukehren. Der Mitschüler, der nur eine "Ausreichend" geschafft hat, kehrt nicht nur herausragend, sondern räumt zusätzlich noch selbstständig die Ware ein. 

 

Der Lehrerberuf ist einer der schönsten und wichtigsten Berufe, die es gibt. Leider sieht man das nicht genug. 

 

Ich möchte wieder mehr Lehrer sein, und weniger Funktionsträger. 

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