Wonderwoman

Wonderwoman. Ich bin sehr froh, dass ich sie habe. Ausnahmsweise spreche ich hier nicht von Nicole, sondern von meiner Ärztin in Heidelberg. Sie regiert über meine Genesung. Sie ist meine Kanzlerin. Sie würde ich immer wieder wählen. Oberärztin mit Hämatologie als Fachgebiet. Natürlich sind weitere Spezialisten und Professoren beteiligt, aber sie koordiniert, erklärt, betreut und motiviert. Gerade das letzte macht sie vorzüglich. Sie versteht es stets, meine nicht geäußerten Zweifel zu erspüren und mit einem coolen Spruch wegzuwischen. Ich bin froh, dass noch andere Menschen sie jetzt kennenlernen dürfen, weil ich sonst befürchtet hätte, mir ihren Heldenstatus nur einzubilden. Nicole findet sie auch ziemlich kompetent. Vor 10 Jahren hatte sie mich bereits vor dem Aufgeben bewahrt. Alles war da viel schlimmer. Kein Vergleich zu heute. Ich konnte nicht mehr. 18 Pillen am Tag und ein Monster als Spiegelbild. Unerträgliche Rückenmarksschmerzen, wenn ich Leukozyten „geboren“ habe. Isolation, Liebeskummer und Einsamkeit haben mein sonniges Gemüt verdunkelt. Wonderwoman hat mir den Glauben an mich zurück gegeben. Und Gott sei Dank habe ich keine weitere Chemo und keine Bestrahlung benötigt. Der Krebs war besiegt. Vorerst. Auch heute hat mir ihre Zuversicht und ihre Wertschätzung wieder einen Schub eingebracht. Nicht, dass ich ihn dringend brauchen würde. Ich bin diesmal viel weniger allein und von Liebe, Zuneigung und Unterstützung geradezu umzingelt. Ich bin psychisch relativ stabil. Trotzdem tut es gut, ihre positiven Worte zu hören. Mit dem Prof. in der Tagesklinik war sie sauer, weil sie von statistischen Zahlen im Umgang mit Patienten nichts hält. 58 Prozent sind 58 Prozent und sehr gut. Punkt! Damit muss man zufrieden sein. Eine statistische Garantie gibt es nicht, ob jetzt 70 Prozent besser wären.  Das ist eine richtige Einstellung. vermute ich. Für einen wissbegierigen Patienten, der einen Blog mit dem Titel „Wissen ist Macht“ schreibt, natürlich etwas unbefriedigend. Ich habe eher Angst vor dem Ungewissen. Ich muss mich an „Wissenslücken“ erst noch gewöhnen. Ich kann ja gut im jetzt und hier leben, aber das Morgen ist mir schon auch wichtig. Ich werde auf jeden Fall so leben, dass ich mich nicht mehr unnötig stressen lasse. Dass ich in erster Linie das tue, was mir Freude bereitet und mir sinnvoll erscheint. Nun gut, ein paar unangenehme Dinge muss man natürlich jeden Tag auf sich nehmen, aber mit guter Musik, einem Podcast, Hörbuch und einem guten Glas Wein lassen sich diese Sachen auch angenehm gestalten. Begegnungen, Erlebnisse, Erkenntnisse und Seelenreinigung stehen jetzt im Mittelpunkt. Ich bin Rossi, suche das Glück aber nicht mehr, sondern möchte es pflegen, bis es mir aus den Händen entwischt. Es wird  entwischen, da geht leider kein Weg daran vorbei. Es ist wie mit einer Glückssträhne im Casino. Irgendwann ist sie garantiert zu Ende. Auf diesen Moment möchte ich mich und meine Liebsten vorbereiten. Dass der Schmerz für uns alle ein wenig kleiner wird. Wenn man Tag für Tag Unterricht plant, viele Situationen im Voraus bedenken muss, dann entwickelt man automatisch einen Hang zur Kontrolle. Ich möchte die nächsten Schritte in meinem Leben so kontrollieren, dass wir alle bestmöglich vorbereitet sind. Wenn ich das nicht mehr wahrnehme, bekomme ich Probleme. Das war damals in der Versicherung so, das ist jetzt im Schuldienst so. Aufgaben dauerhaft zu erledigen, die einem gegen den Strich gehen, die dem eigentlichen Wesen widersprechen, lassen mich verstärkt am Sinn des Tuns zweifeln. Veränderung ist dann angesagt. Bei der Heimfahrt gestern kam mir ein Gedanke. Ich weiß, dass ich viele mit meinem „Denken“ überfordere. Meistens Nicole. Sie muss da einiges aushalten. Aber es muss raus aus meinem Kopf, sonst wäre nur Icke da, dem ich das erzählen könnte. Dann wäre nicht nur die Hämatologie meine Anlaufstelle, sondern auch die Neurologie. Mein Gedanke: Wird Wonderwoman auch mein Sterben begleiten? Sie ist genauso alt wie ich. Nici meinte, nach dem sie meinen verrückten Gedanken ein wenig verdaut hatte, dass sie evtl. noch andere Karriereschritte planen würde, in der ich dann keine Rolle mehr spiele. Ich hätte sie gern auch am Ende in meiner Nähe. Sie könnte mich dann wieder etwas motivieren und mir die Angst nehmen. So meine naive Vorstellung. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0