Schlaflos in Böchingen oder die Loki- und Helmut-Formel

Der Fastvollmond lässt uns nicht schlafen oder etwas anderes. Ich werde mich jetzt müde schreiben. Das kurze Gespräch über die Liebe mit Anna beschäftigt mich sehr. „Es muss knistern, es wird schnell langweilig und zäh. Viele Jungs in meinem Alter haben einen Knall. Ich bleib jetzt mal vorerst alleine, Paps.“ Hab ich auch so mal gedacht? Wahrscheinlich. Ist das Knistern elementar für eine Liebesbeziehung? Was ist die große Liebe? Wo findet man sie? Was macht sie aus? Ist sie einfach da, ohne Gründe? Sollte man überhaupt an sie glauben? Ist das nicht naiv? Heute Abend hatten wir 2 große Lieben im Fernsehen kennengelernt. Eine Frau, die ihren beim Motorradrennen verunglückten geliebten Mann aufopferungsvoll pflegt. Auf die Frage, was ihr fehlt, fällt ihr nichts ein. Sie kann mit ihm kommunizieren, obwohl er nicht mehr sprechen kann. Er ist ihr der wichtigste Mensch geblieben, obwohl er 24 Stunden Betreuung benötigt. So eine Situation wagt man sich nicht vorzustellen. Aber wenn man eine dauerhafte Beziehung eingeht, geht es auch um Verantwortung für den anderen. Ich glaube, je verantwortlicher man sich fühlt, desto größer wird die Liebe. D. h. natürlich nicht, dass der andere sich nicht alleine weiterentwickeln darf. Er muss es vielleicht sogar. Gemeinsam in eine ähnliche Richtung wäre bestimmt hilfreich für die Intensität der Bindung. 

Eine weitere große Liebe: Er, kleinwüchsig (140 cm) und Olympiasieger im Kugelstoßen bei den Paralympics 2016. Sie, eine schöne Frau, die ihren Mann ein ganzes Stück überragt. Eine große Liebe macht es vielleicht aus, die (bleibenden) Schwächen des anderen respektieren zu können. Ihn nicht „anders“ haben zu wollen. Gemeinsam über die Unpässlichkeiten lachen zu können. Sie sprachen aus, was ich immer denke: Wir lieben uns nicht nur, sondern sind auch beste Freunde. Ich glaube, nur dann gibt es die Chance, dass die Liebe dauerhaft groß bleibt. Es muss Freude bereiten, mit demjenigen, mit dem man Tisch und Bett teilt, gerne Zeit zu verbringen. Wie mit einem guten Freund. Heute geht das viel mehr als in der Generation meiner Eltern. Wenn das nicht so ist, dann ist es meist Pragmatismus oder/und Gewohnheit. Es gibt aber wie überall Ausnahmen. Ich nenne es die Loki-und Helmut-Formel. Loki und Helmut Schmidt. Wie sehr bewundere ich die Lebensleistung und Haltung dieser faszinierenden Menschen. Wenn sie nach dem Rezept ihrer langen Liebe gefragt wurden, nannten beide stets ihre große Kameradschaft. Rührend die Szenen, wenn er im hohen Alter wieder mal einen Ehrendoktor oder anderen Preis erhielt und sie ihm dann vor dem ganzen Publikum liebevoll über die Wangen strich. Und das nach 68 Ehejahren. 

Ungewöhnlicherweise haben wir dann noch zur später Stunde ein Film online ausgeliehen. In der Regel ist im Hause Schnur um 22.00 Uhr Schicht im Schacht. Flucht aus Pretoria hieß der Streifen.

Drei weiße Freiheitskämpfer fliehen während der Apartheidszeit in den 70er Jahren aus einem Gefängnis, in dem sie in akribischer Kleinarbeit Schlüssel aus Holz erstellten. Der Antrieb zur Flucht unter anderem: große Lieben. Dinge möglich zu machen, von denen man denkt, dass sie zum Scheitern verurteilt sind, das scheint mir auch ein Indiz für eine große Liebe zu sein. Diese imaginäre Kraft lässt einen über sich hinaus wachsen. 

Man muss aber realistisch bleiben. Es gibt immer Entwicklungen, in denen dann plötzlich alles gar nicht mehr so groß, sondern ganz klein erscheint. Veränderungen sind gut, können aber von heute auf morgen das ganze Leben in Frage stellen. Für eine große Liebe, braucht man ein stabiles Gemüt. Es scheint ein großes Glück zu sein, 68 Jahre später den ausgewählten Partner als seine große Liebe bezeichnen zu können. Anna wünsche ich von ganzem Herzen, dass sie DEN Richtigen finden wird und sich genauso angenommen fühlt wie ihr Paps. Dann könnte ich selbst auch viel beruhigter schlafen. 

Ich geh in Hain und Flur

Gedicht von Friedrich Rückert

Ich geh' in Hain und Flur
Nie ohne deine Spur;
Denn immer muß ich denken,
Wohin ich nur mag lenken,
Die Augen und den Schritt:
Hier gingest du einst mit.

Und werd' ich hingelangen,
Wo du nie mitgegangen,
So denk' ich wieder: hier
Gingst du noch nie mit mir;
O könnt' ich mit dem neuen
Spaziergang dich erfreuen! 


Wandern ist nicht, also müssen Spaziergänge herhalten. Noch ohne mich. Bald kann ich bestimmt wieder. Es ist aber auch schön, Eindrücke vermittelt zu bekommen. Auf einem Weg alleine tut sich mehr als man glaubt. Warum sollte man immer gemeinsam unterwegs sein. Endlich wurde der große Fotoapparat aktiviert. Die Natur ganz nah. Als wäre ich dabei gewesen. Wunderschön! Der Blick des anderen kann noch mehr erfreuen als der eigene. 

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