Ich will keinen Stress mehr. Auch nicht einer, der mich nicht überfordert. Es ist so schön, alles geordnet zu haben. Es ist schön, Dinge machen zu können, zu denen man im Berufsalltag so gut wie nicht kommt: die Hausapotheke entmüllen zum Beispiel. Habt ihr das mal in letzter Zeit gemacht? Eine halbe Kiste mit Zeug kommt da schnell zusammen. Ich habe gelesen, dass die Apotheken die abgelaufenen Medikamente zurücknehmen müssen. Das älteste Medikament hatte einen Stempel von 2016. Ich schätze, gegen Durchfall hätte es nicht mehr gewirkt, eher verursacht.
Oder Visitenkarten mit einer neuer App scannen und in Kontakte einpflegen. Wann macht man einen solchen unnötigen Schwachsinn? Mit einem Hörbuch is es aber ganz spaßig. Jetzt habe ich alle meine Ärzte mit Schuhgröße und Bauchumfang im digitalen Adressbuch. Und noch vieles mehr lässt den Krankenstandstag kurzweilig werden. Noch ein paar Monate und alles hat seinen Platz und wurde mindestens einmal in die Hand genommen und abgestaubt. Auch die kreative Produktivität ist grenzenlos. Ich liebäugle, mit dem Malen anzufangen. In YouTube gibt es sogar richtige Kurse. Einen bunten Schmetterling - krieg ich hin! Aktmalerei, wollte ich schon immer mal machen. Nicole darf sich ja nicht soviel bewegen. Der Garten steht gut da und wird von Tag zu Tag hübscher. 5 Säcke Rindenmulch müssen verarbeitet werden, da freue ich mich drauf wie ein kleines Kind, das Sandburgen bauen darf. Allein der Mirabellenbaum wird uns ein paar Stunden Arbeitszeit kosten: pflücken, Marmelade und Chuttney machen. Schöne Arbeit! Jetzt wird wieder die Frage gestellt: Fehlt dir nicht doch etwas. Nein, mir fehlt nullkommanullnichts. Seit April bin ich jetzt krankgeschrieben und mir fehlt überhaupt kein bisschen. Dies erschreckt auch mich, aber nur für einen kurzen Moment. Würde man mich zahlreich vermissen und mir das auch bekunden, wäre das vielleicht was anderes. So fällt mir das Nichtdrandenken und Nichtmehrmitfühlen umso leichter. Das einzige, was ich mir für mich wünschen würde, dass meine Kondition wieder auf 100 % zurückkehrt. Ich schätze, ich bin bei 60 Prozent. Natürlich sollen auch alle anderen Wehwehchen verschwinden. Die Liste ist lang, aber alles auszuhalten. Zurück in den Beruf? Puuuh, kann ich mir im Moment nicht vorstellen. Sowohl physisch als auch psychisch nicht. Als Lehrer muss man topfit und motiviert sein, sonst fährt man unausweichlich gegen die Burn-out-Wand. Jeden Tag aufstehen und genau das machen zu können, was man (meist) möchte, ist purer Luxus und ja, man kann sich durchaus daran gewöhnen.
Ab nächsten Mittwoch liege ich natürlich wieder für ein paar Tage danieder. My body is a Cage! (Geiler Song von Peter Gabriel!) Ich habe das große Glück, dass dieser Zustand nicht dauerhaft bestehen bleibt. Außerdem bin ich nicht allein. Mittlerweile sind so viele an meiner Seite: Kumpels, die uns einen Schreibtisch, an dem Nici ihre Nähprojekte durchführen wird, von der Garage hoch in den 2. Stock tragen, der Schwager, der mit seinen kleinen Söhnen, uns das Brennholz stapelt, ein französischer Freund, der uns leckeres Brot backt, Anna, die kommt, um uns zu pflegen. Meine Ettlinger Familie, die sich ständig sorgt und Tag und Nacht zum Löschen zur Verfügung steht, wenn’s brennt. Viele, die uns grüßen und uns Zuversicht vermitteln. Wer hätte vor ein paar Monaten gedacht, dass mir meine Ex-Schwiegermutter so ans Herz wächst: der Blog macht’s möglich. Natürlich gibt es Enttäuschungen, aber auch eine Menge wunderbarer Begegnungen. Ich will keinen Stress mehr. Vor allem nicht mit Menschen.
Ich habe die App Calm ausprobiert. Ohne Nici neben mir, kann ich nicht gut einschlafen. Auch was Neues für mich. Die Einschlafgechichte handelte von Nepal. Mehr weiß ich nicht mehr. 8 Sekunden und ich war weg. Hat also prima funktioniert. Im Alltag, der von fremd gesteuerter Arbeit geprägt ist, kann ich mir nicht leisten, das hier am frühen Morgen zu tippen und die Blitze am Himmel zu bestaunen. Oder einen Traum aufzuschreiben, den ich nicht detailliert erzähle, weil ihn niemand interessiert. Aber vielleicht so viel: Nicis im Rollstuhl sitzender Onkel ist in unserer Obhut in Berlin verschollen. Ich war verantwortungslos, in dem ich ständig alkoholisiert war (Wunsch?) und versuchte das vor allen zu verbergen. (Zur Zeit trinke ich keinen Tropfen Alkohol.) Ich bin aufgewacht und habe mich tatsächlich miserabel gefühlt. Wenn ich durch einen Traum schlecht fühle, robbe ich immer nah an Nici ran. Nie werde ich ihr da zu viel. Ich träume wieder intensiv. Während der Chemotherapie träume ich nicht - zumindest nicht bewusst. Es scheint, als ob dadurch auch mein Hirn lahm gelegt wird.
Der Regen prasselt auf die Dachfenster. Ich liebe dieses Geräusch, ich liebe Gewitter. Schon immer. Wenn sie nicht gerade mein Zuhause wegschwemmen. Gut, dass ich den Sonnenschirm im Garten noch schnell eingeholt habe. Unnötig war es, heute Abend gegossen zu haben. Die Pflanzen können die doppelte Bewässerung bestimmt verkraften.
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