Heute vor 9 Jahren haben Nicole und ich uns das erste Mal live gesehen. Davor hatten wir uns nur gelesen und gehört. Der erste Höhepunkt einer aufregenden Liebesgeschichte. Ich hatte bereits mit der Liebe abgeschlossen - und vielleicht hat mich gerade das frei im Kopf gemacht. Ich wusste endlich was ich nicht wollte: Probleme in der Liebe, Verstellen, Streit, Zaudern und Zögern. Leider hatte ich es dennoch mal wieder zuerst gewaltig vermasselt. Wie konnte ich Nashorn ein badisches Mädel freitags zum ersten Date zur Nussdorfer Weinkerwe in die Pfalz einladen. „Alex, trinken die hier alle Wein aus so großen Gläsern?“ Nach dieser Frage wollte ich tatsächlich schon meine Flinte ins Korn werfen. Schade, der gemeinsame Spaziergang vorher von Landau nach Nussdorf hatte mich noch mehr unsterblich verlieben lassen. Ich konnte von der ersten Minute an mit dieser Frau über alles reden, sie hielt mich verrückten Hund aus und brachte mich sowohl zum Lachen als auch zum Nachdenken. Vor allem: Sie wollte mich nicht auf Biegen und Brechen verändern, wie so viele vor ihr. Die grölenden Menschenmassen waren aber eindeutig zu viel für ein romantisches Kennenlernen. Mein schräger betrunkener Busenfreund Schlemi lief uns dann zu allem Ungemach auch noch über den Weg. Nici schlug sich tapfer, was ich aber zum damaligen Zeitpunkt noch nicht registrieren konnte. Nach Aperol Spritz und zwei Rieslingschorle, die ich so gut wie alleine trank, hatte ich die geniale Idee - Pfälzer können es schon erahnen - nach Landau mit dem Schoppenbähnle zurück zu fahren, oh happy day! Keine Ahnung, aber irgendwie tuckerte das Scheißding nicht an diesem Abend. So mussten wir den langen Weg nach Landau wieder zu Fuß zurücklegen. Als ausgebildeter Gentleman begleitete ich die badisch Partymaus natürlich bis zu ihrem Auto. Irgendwas sagte mir bei der sehr neutral gehaltenen Verabschiedung: Schnur, du verkorkste Amöbe, du hast’s mal wieder krass vergeigt. Und so wars dann auch: die Kerwe und ich oder ich und die Kerwe haben Nicole mental so ruiniert, dass ich mir am nächsten Tag einen fetten Korb einhandelte: „Äh, du, ich glaub das wird nix mit uns!“ Ich: „Hab ich’s doch gewusst, liegt bestimmt an meiner zu großen Knubbelnase!“
Da ich aber trotz Verliebtsein saucool agierte und mir eine Beziehung total schnuppe war, fing ich nicht an zu jammern und zu kratzen, sondern signalisierte ziemlich offensiv: Pech gehabt, meine Gute. Doch - es gab etwas, was ich unglaublich vermisste: unsere lustigen Mails, unsere Schlagabtausche. Nicole sagt immer über sich, dass sie nicht schreiben kann. Nein, sie konnte herrlich witzig formulieren, war kreativ im Kopf, genau so, wie ich es mag. Und ich muss es ja wissen. Bei jeder Nachricht von ihr machte ich von Neuem Luftsprünge vor dem PC. Clemens alias Schlemi, mit dem ich damals zusammenlebte, überforderte ich zusehends: Alter, ist bei dir noch alles klar in der rosaroten Birne? Ne, nichts war klar mehr. Ich machte sogar im Internet-Café einen Zwischenstopp, weil ich das Warten bis zuhause nicht aushielt. Gestern gab es nicht mehr, nur das Jetzt und das Morgen. Ich wollte nur noch Sachen von dieser famosen Frau lesen, lesen, lesen. Und wenn ich nichts Neues hatte, las ich alte Mails immer und immer wieder. Sie begeisterte mich, hielt mich in Atem und sah dazu noch unfassbar hübsch aus. Aber wie oben schon erwähnt: Ich wusste was ich nicht wollte: keine Probleme mehr. Überhaupt nicht damit gerechnet habe ich, dass es dem badisch Mädel auch so erging wie mir: Sie vermisste meine Mails und mich. Hurra! Wir hatten beide keine Mittel gegen unsere Sucht. Schnell wurde uns klar, das muss weitergehen mit uns. Nun machten wir immer ganz besondere Dates aus. Keine freitägliche Nussdorfer Kerwe, sondern gemeinsames Vegi-Kochen, Joggen, Wandern, Rheinstrand-Chillen, Tanzen, Picknicken - und das unvergessliche Ed-Sheeran-Konzert beim New Pop Festival in Baden Baden. UNSER Konzert! Mit jedem Event stand es mehr und mehr fest: Wir werden nie wieder ohne einander leben können. Das letzte Date war dann das gemeinsame Finya-Profil-lösch-Date. Ein Parallelklick und wir waren für niemanden mehr zu haben. Der Markt der Sehnsüchte war für uns von nun an tabu.
Ich liebe den Autor Heinz Strunk (Fleisch ist mein Gemüse). Er hat nun ein neues Buch geschrieben (Es ist immer so schön mit dir), das von einer zerstörerischen Liebe handelt. In einem Interview mit Titel Thesen Temperamente erzählt Strunk davon, dass er kaum ein Paar kennt, das sich nicht schon längst hätte trennen müssen. Er verstünde nicht, warum man sich diesen gegenseitigen Horror zumutet und immer den richtigen Zeitpunkt der so hilfreichen Trennung verpasst. Die unendliche Liebe gebe es nur als Ausnahme.
Lieber morbider Heinz, ich möchte dir nicht vollständig widersprechen, dafür schätze deine geniale Kunst zu sehr, aber ich möchte dir durch das Megaphon zurufen: WIR sind diese Ausnahme und ich werde alles dafür tun, dass dies bis alle Ewigkeit hin auch so bleibt. Amen!
Lotte = ich
Rolfi = Nicole
Wir hatten uns Folgendes scherzhaft ausgemalt: Was wäre, wenn wir nicht die Person sind, die wir vorgeben zu sein. Nici wäre Rolfi, ein stotternder hässlicher Finanzbuchhalter und Alex wäre Lotte, eine frigide putzsüchtige Hausfrau. Puuh, da haben wir beide aber richtig Schwein gehabt.
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