Artikel über die Kommunikation mit Krebspatienten:
https://www.doccheck.com/de/detail/articles/34611-diese-sprueche-hassen-alle-krebspatienten?utm_source=DC-Newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=DocCheck-News_2021-07-30&utm_content=asset&utm_term=article&sc_src=email_1418206&sc_lid=117322523&sc_uid=Ti2weCZfmo&sc_llid=24423&sc_customer=4a5f790ebcefb080a5999d76d6038376
Ja, natürlich gibt es Bullshit-Reaktionen.
Aber wenn man den Artikel so liest, könnte man meinen, dass alles Mist ist, was man in solchen Situationen zu sagen pflegt.
Im Prinzip ist alles sinnvoll was mit Gefühl und Empathie zu tun hat. Auch das simple „wie geht es dir?“ Jeder sagt das, was er kann und möchte. Schweigen und Untätigkeit ist viel schlimmer. Dadurch entfernt man sich vom Betroffenen. Manchmal ist das auch in Ordnung, dann weiß man woran man mit diesem Menschen ist. An den getätigten Äußerungen kann man natürlich einiges ablesen: Unsicherheit, Kreativität, Erfahrung, Angst, Betroffenheit, Gleichgültigkeit, Gefühlslosigkeit, Überforderung, usw. Machen ist immer gut: Kommen und Hilfe anbieten, Zeit teilen! Auch wenn der Betroffene die Hilfe nicht annimmt, weiß er doch, dass da jemand für einen da ist. Da sein hat einen viel größeren Wert als das obligatorische Blablabla. Vor ein paar Tagen hat mich ganz spontan eine Kollegin angerufen. Sie hat in der RHEINPFALZ eine Buchempfehlung gelesen. Ein Autor verarbeitet in einem Roman seine Hodgkin-Erkrankung. Die Kollegin fragte mich, ob ich sowas lesen würde. Sie möchte mich demnächst besuchen und mir das Buch schenken. Das sind Gesten, die Gehalt haben. Einfach eben mal machen. Sätze wie: Ich weiß gar nicht was ich sagen soll, haben auch ihre Berechtigung. Sie zeugen natürlich nicht gerade von vorhandener kommunikativer Kreativität und Lebenserfahrung. Aber hier kann ich gern immer helfen. Ich bleibe da meistens nicht stumm. Im Gegenteil. Ich erwidere dann immer: Sage, was dir durch den Kopf geht, was du fühlst. Das wird schon das Richtige sein. Scheiße? In Ordnung! Das Schlimmste, was einem widerfahren kann, ist bürokratisches emotionsloses Geschwätz. Das kann man wahrlich nicht brauchen. Was mich auch immer wieder berührt, wenn man nicht nach mir fragt, sondern nach Nicole oder Anna. Hey, man denkt mit, geht mir da gleich durch den Sinn. Man scheint zu wissen, dass bei so einer Geschichte, wie ich sie durchmache, noch viel mehr Menschen involviert sind. Nicht nur dem Kranken geht es nicht gut, sondern seiner Familie auch nicht. Interesse bekunden ist das Stichwort. Man muss immer nur überprüfen, was man für sich selbst in so einer Situation möchte. Möchte man das alles tatsächlich mit sich alleine ausmachen? Möchte man verstummen und möchte man, dass die anderen stumm und passiv sind.
Sprechen ist wichtig - nicht nur wenn jemand Krebs hat. Schweigen ist in Gefühlsangelegenheiten meistens nicht der richtige Weg? Eine Lösung ist auch, einfach mal eine Frage stellen. Was macht die Chemotherapie mit dir? Wenn man mein Blog liest, gibt es bestimmt viel Stoff für Fragen. Vielleicht auch für kritische Anmerkungen. Mir ist klar, dass ich provoziere, gar polarisiere. Ich bin stabil und kann ganz gut mit Kritik umgehen. Reibung muss nicht schädlich sein, sondern lässt oft produktive Prozesse entstehen. Ich kann jetzt nur für mich sprechen, ich glaube aber, dass auch viele andere, die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie ich bestimmt mehr ertragen können, als man gemeinhin annimmt.
Es trifft mich nur immer sehr, wenn ich Oberflächlichkeit wahrnehme. Je älter ich werde, desto weniger kann ich Oberflächlichkeit und Stumpfsinn ertragen. Dafür ist mir einfach meine Zeit zu schade. Wenn man genau hinhört, merkt man sehr schnell, ob sich jemand wirklich für einen interessiert. Ich begegne oft Menschen, die hören gar nicht mehr zu. Drehen sich sofort um sich selbst. Geben Sprachhülsen von sich wie ein programmierter Sprachcomputer. Macht das folgende Experiment. Antwortet auf die Frage „Wie geht es dir?“ einfach mal „total kacke“. Schildert euren miserablen Zustand in aller Deutlichkeit. Ich bin mir sicher, der Frager / die Fragerin reagiert überfordert und sprachlos und bietet eben nicht unmittelbar seine Hilfe an. „Wie geht es dir“ ist eine Allerweltsfrage und es ist schwierig als Krebspatienten eine zufriedenstellende Antwort zu geben. Es herrscht das Chaos im Körper, aber im Prinzip fühlt man sich doch gar nicht so schlecht. Problematisch diesen seltsamen sowohl psychischen als auch physischen Ausnahmezustand mit den richtigen Worten zu beschreiben. Wenn man nett ist, will man den Fragesteller*in ja nicht zu arg überfordern. Was sagt man? Gut! Und das Thema ist vom Tisch. Erleichterung auf beiden Seiten!
Was in Ahrweiler in den letzten Tagen passiert, dient gut als Blaupause in Sachen Kommunikation mit Krebspatienten. Auch hier wieder: einfach mal machen, anpacken, Müll wegräumen, Schlamm entsorgen. Vielleicht reden, vielleicht auch nicht, aber auf jeden Fall sich unterstützen und füreinander da sein. Ich habe noch kein Hochwasseropfer im Interview gesehen, das nicht von großer Dankbarkeit erfüllt gewesen wäre.
Vögelnde Dromedare sieht man auch nicht alle Tage. Leider war ich bei der Hinfahrt zur Blutentnahme knapp dran, sonst wäre ich stehen geblieben. Aber bei der Rückfahrt hatte ich dann ein paar Minuten, um die schönen Tiere zu beobachten. Es ist immer herrlich an ihnen vorbeizufahren - Mitten in der City. Ihr behäbiges Zermalmen der Wiesenblumen hat geradezu eine meditative Wirkung.
Am Hospiz bin ich dann abgebogen. Man wird unweigerlich nachdenklich, wenn man daran vorbeifährt und „Gäste“ beim Luft schnuppern oder Kaffee und Kuchen sitzend sieht. Auch schön, dass das so ein Haus in Mitten der Stadt gibt. Kurz kommt mir der Gedanke: Werde ich da vielleicht irgendwann mal selbst landen? Dieser Gedanke erschreckt mich nicht! Immerhin habe ich mit einer Geburtstagsspende eine Türklinke mitfinanziert.
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