Das Süddeutsche Magazin hat ein Thema aufgriffen, das mir schon lange am Herzen liegt: Wir sollten leben mit dem Tod vor Augen. In diesem bemerkenswerten Artikel wird aufgezeigt, wie sinnvoll es sein könnte, wenn Menschen obligatorisch als Sterbebegleiter eingesetzt werden. Der Autor Tobias Haberl schildert eindrücklich, wie er selbst ein Nahtoterlebnis hatte und was diese Erfahrung mit ihm als Menschen machte. Er kreiert ein Gedankenexperiment: Welche Auswirkungen hätte es auf uns und auf die Gesellschaft, wenn jeder Bürger einen Sterbenden / Schwerkranken begleiten müsste. Er geht davon aus, dass sich die Gesellschaft zum Guten verändern würde. „Unsere Gesellschaft verdrängt das Sterben, dabei würden wir an Gemeinschaftssinn und Gelassenheit gewinnen, wenn wir uns mehr mit dem Tod beschäftigen. Zum Beispiel in Form einer obligatorischen Sterbebegleitung für alle.“ Auch der Philosoph Richard David Precht hat schon in seinem neuen Buch „Von der Pflicht“ von einem Art „Bürger-Dienst“ gesprochen. Haberl legt nun dar, welche positiven Effekte ein neuer „obligatorischer Zivildienst“ für uns alle hätte. Absichtlich provoziert er mit diversen Aussagen: „Die Menschen sterben schon noch, aber wir kriegen es nicht mit, weil wir gerade was bei Amazon bestellen.“ Ich kann jedes Wort aus dem Artikel unterstreichen. Auch mich hat die ehrenamtliche Hospizarbeit verändert, bereichert. Ich möchte keinen Augenblick davon missen. Man erhält einen anderen, intensiven Blick auf das Leben, auf das Menschsein. Es werden schnell Dinge überhaupt nicht mehr relevant, die man vorher als besonders wichtig betrachtet hat. Die Gespräche mit Timo hallen heute noch in mir nach. Frau P., deren Verfall ich hautnah erleben durfte, ließ mich mein eigenes Leben und Sterben reflektieren. Ich konnte sie noch vor dem Tod mit einem alten Lied von Hildegard Kneef zum Mitsingen animieren. Ein besonderer Glücksmoment meines Lebens. Dafür Sorge tragen zu können, dass ein Mensch auf seinem letzten Weg noch ein paar gute Stunden hat, macht mich selbst stärker, zufriedener. Es ist beglückend, etwas derart Gutes zu tun. Man verlässt den kranken/sterbenden Menschen nicht traurig, sondern voller Dankbarkeit. Ich höre oft: Alex, das könnte ich nicht. Wie schaffst du das? Ich würde es mir für denjenigen wünschen, dass er es doch auch tun und schaffen könnte. Werden wir nicht alle irgendwann ganz automatisch zu Sterbebegleitern: Die Eltern, der Ehepartner, der Freund, alle sterben sie. „Zwei Dinge haben wir alle gemeinsam: die Gehurt und der Tod.“ Wollen wir die Sterbebegleitung tatsächlich nur Profis überlassen? Ja, wir haben alle Angst vor dem Tod. Ist es aber wirklich so viel besser, diese Angst durch Verdrängen und durch Ignorieren im Zaum zu halten? Ich selbst habe wenig Angst vor dem Sensenmann. Ich sorge mich viel mehr um meine Liebsten. Ich möchte ihnen so wenig Kummer wie möglich bereiten. Wenn Anna und Nicole weinen, zerreißt es mir das Herz. Dieser Umstand ist bestimmt auch einer der Gründe, warum ich das hier mache: Blog schreiben. Ich möchte damit dem Schrecken ein Schnippchen schlagen. Ich habe eigentlich immer nach der Prämisse gelebt: Vorbereitung ist immer besser, macht sicher. Deswegen spreche, schreibe ich so offen über Krankheit, Tod und über Dinge, die mich beschäftigen. Es befreit mich, und vielleicht auch ein paar andere. Menschen sollen wissen, was in einem vorgeht, wenn man eine Chemotherapie über sich ergehen lassen muss. Menschen sollen wissen, was es mit einem macht, vor der eigenen Endlichkeit zu stehen. Menschen sollen wissen, wer man am Ende wirklich war. Einen bedeutsamen Haken hat Tobias Haberls Gedankenexperiment aber leider dennoch: Er geht davon aus, dass wir alle von der obligatorischen Sterbebegleitung profitieren würden. Wie würden dadurch mehr zu mitfühlenden Geschöpfen werden, die dann wüssten, was tatsächlich wichtig im Leben ist: Gemeinschaft und Solidarität. Genau da habe ich meine Zweifel. Ich habe im Verkauf meines Lebens einige Menschen kennen gelernt, die beruflich mit Krankheit und Tod zu tun hatten. Nicht jeder davon ist automatisch ein besserer Mensch. Sie sind genauso griesgrämig und empathielos, wie alle anderen auch. Die Krawallpflegekraft, die ins Krankenzimmer stürmt und ihr Genervtsein an die große Glocke hängt. Pflegekräfte, Ärzte, Psychologen, Sterbebegleiter sind nicht per se die besseren Menschen. Das ist ein Trugschluss. Empathie und die Fähigkeit zum Perspektivwechsel ist nicht einfach mal schnell erlernbar, nur weil man die kalte Hand eines Toten hält.
Hier geht es zum Artikel von Tobias Haberl
Des isch Lewe!
260 Höhenmeter auf 7 Kilometer. Gar nicht schlecht. Mrs. Bandscheibe und Mr. Hodgkin lassen sich nicht unterkriegen. Tempo war natürlich unterirdisch. Aber egal! Gschafft isch gschafft! Jetzt sind wir k.o. Hoffe, dass sich die Sauerstoffzufuhr positiv auf mein Blutbild morgen auswirkt.
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Patricia Glantz (Sonntag, 01 August 2021 16:07)
Hallo Alex,
Die damit beruflich zu tun haben….. halten nicht die Hand …sondern bauen eine professionelle Distanz auf. So ist man für die meisten Mediziner nicht der (Sterbende) Mensch - sondern ein Spiegel des eigenen Versagens und Du versaust die Statistik.
Damit wollen die meisten Mediziner dann lieber nichts mehr zu tun haben.
Das habe ich leider oft erlebt.
Wenn sie die Hand halten würden wüssten sie: sie können immer etwas tun. Dann wären sie keine Mediziner - sondern Ärzte �
Gute Besserung